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Th. W. Adorno+A -A |
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Autor |
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Joachim49
Inventar |
#51 erstellt: 29. Mrz 2009, 19:44 | |||
Hallo Aladdin, wenn das teils bedenkliche Niveau der Adorno-Beiträge ein Gutes hat, dann gewiss dies, dass Du Dich dann doch hast verführen lassen im Adorno Thread zu posten. Recht hast du auch, gerade wenn man sich über Adorno empört, die Genauigkeit einzuklagen bezüglich der Herkunft der beanstandeten Äusserungen. Was die Bemerkungen zu Bruno Walter betrifft, muss ich mich, hoffentlich erfolgreich, auf die Suche begeben. (Ich muss sozusagen zur Strafe in den Ferien Adorno lesen). Was ich zu dem 'Gedichte nach Auschwitz' Komplex gesagt habe, basierte auf dem 'Gerede'derer, die Adorno meist nur vom Hôrensagen kennen. Aber dass es ein inhaltlich entsprechendes Original-Zitat gibt, glaubte ich schon zu wissen (aber war im gegensatz zu Dir zu faul zum Suchen). Nachdem ich das Originalzitat gelesen habe fühle ich mich ehrlich gestanden nicht ganz beschämt. Mein Gedanke war, gut, wenn man nach Auschwitz .... nicht mehr tun darf, warum soll das auch nicht für Kulturkritik Adorno'scher Provenienz gelten? Wenn ich mich blamiert habe, dann dadurch, dass ich Adorno diesen Gedanken nicht selbst zugetraut habe - obwohl er ihn ja im selben Atemzug ausgesprochen hat. Ursprünglich wollte ich etwas dazu sagen, das sogar der Selbstkorrektur Adornos in der Negativen Dialektik recht nahe kommt. Ich möchte es nicht ausführen, da dies ein Thema ist dem ich nicht gewachsen bin. Zur Frage des Positivismusstreites möchte ich hier zurückhaltend sein, da es ja ein Musikforum ist. Das meiste dazu findet man in einem Buch von H.J. Dahms: Positivismusstreit. Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus (1994)und einem niederländischsprachigen Artikel der 2003 in der Zeitschrift 'Krisis' erschienen ist. Wittgenstein wäre auch nicht ganz unergiebig, wenn's um Musik und Vorurteile geht. Die durch Wagner'sche Klischees beeinflussten leicht anti-semitischen Urteile in seinen Notizen über Komponisten. Sein nun wirklich konservativer Geschmack, der so gar nicht dazu passen will, dass viele in ihm einen geistigen Wegbereiter avantgardistischer Tendenzen in der Musik seiner Zeit sehen. (Er verlies sogar den Saal wenn der Schleiertanz aus Strauss' Salome gespielt wurde). Wie gerne erwähnt man seine Spende an österreichische Dichter, aber wie gerne vergisst man, dass er einen viel höheren Betrag zur Bewaffnung der österreichischen Armee gestiftet hat). Und was den Lehrer betrifft: er war halt ein sehr aufbrausender, ungeduldiger Mensch. Ein schwieriger Charakter. Noch mehr als die Schläge, die er seinen Schülern verpasste, hat ihn beschäftigt, dass er einmal, als er zur Rede gestellt wurde, dies bestritt. Das hat ihn verfolgt. Er hat später dem Schüler einen ergreifenden Entschuldigungsbrief geschickt, und diese Lüge war oft Thema in den Beichten, die er ablegte (W bat entfernte Bekannte ihnen seine Sünden bekennen zu dürfen. Eine andere Sünde, die er bekannte, war seine Neigung seine (grösstenteils) jüdische Herkunft zu leugnen). Aber wir schweifen ab. Mehr als über Adorno zu schimpfen, habe ich schon das Bedürfnis ihn zu verstehen. Aber er macht's uns nicht leicht. (Muss er auch nicht, aber warum so übertreiben?) Suhrkamp sollte vielleicht den Rat behzerzigen, den Wittgenstein dem Verlag gegeben hat, der den Tractatus auf Englisch publizierte: ein paar Seiten freilassen, auf denen die Leser ihre Flüche und Verwünschungen notieren können. Danke für deine 'Hart aber Fair' Klarstellungen. Joachim [Beitrag von Joachim49 am 29. Mrz 2009, 19:47 bearbeitet] |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#52 erstellt: 29. Mrz 2009, 22:01 | |||
Lieber Joachim, wie wär's, wenn Du Deine Abschweifung produktiv machen und einen Thread zum Thema "Wittgenstein und die Musik" eröffnen würdest? Mich persönlich würde das weitaus mehr interessieren als noch eine Adorno-Diskussion... Ich weiß sehr wenig über Wittgenstein und kenne aus eigener Lektüre nur den "Tractatus" und die späten "Philosophischen Untersuchungen". Mit den letzteren habe ich mich vor allem deswegen beschäftigt, weil Bernd Alois Zimmermann im Prolog seines Requiem für einen jungen Dichter Wittgensteins kritische Auseinandersetzung mit dem Sprachbegriff des Augustinus zitiert und damit eine Art poetologischen Referenzpunkt für die "Sprachspiele" herstellt, die er in diesem "Lingual" nachfolgend gewissermaßen auskomponiert. Über Wittgensteins Verständnis von Musik oder die Frage, inwieweit Musik in seiner Philosophie thematisch ist, kann ich dagegen nichts sagen. Ich erinnere mich zwar, vor ziemlich langer Zeit eine Fernsehsendung gesehen zu haben, in der Zusammenhänge zwischen Wittgensteins Philosophie und der Musik der zweiten Wiener Schule dargelegt werden sollten, doch habe ich die Argumentation damals wohl nicht verstanden und mittlerweile auch vergessen. Um so interessierter wäre ich, das Ganze einmal von Dir und anderen Wittgenstein-Kundigen dieses Forums erklärt zu bekommen. Ganz herzliche Grüße Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 29. Mrz 2009, 22:02 bearbeitet] |
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Joachim49
Inventar |
#53 erstellt: 30. Mrz 2009, 14:40 | |||
Bei dem Vorwurf Adorno behandle Bruno Walter wie einen Trottel, der von Beethoven keine Ahnung hat, habe ich mich auf mein Gedächtnis verlassen, und die Erinnerung an auffällig abschätzige Bemerkungen zu Bruno Walter (d.h. ich erinnere mich genau, abschätzige Bemerkungen gelesen zu haben, aber nicht an deren Inhalt. Bei der Meinung sie seien im Beethovenbuch zu finden, kann es sich um einen Irrtum handeln. Das Buch ist z.Zt. nicht in meiner Reichweite. Aber abschätziges zu Bruno Walter war leicht zu finden. Hier Zitate aus "Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion" (2001) "Es ist erstaunlich, wie arm die Skala der meisten Interpreten ist. So kennen sie im grossen oft nur 2 Charaktere: den brillianten (Allegro) und den lyrisch Gesanglichen (Adagio); und darauf reduzieren sie eigentlich alles und fassen, was sich nicht so reduzieren lässt, als blossen Übergang auf. z.B. Herr Bruno Walter, der so etwas auch theoretisch vertritt. Der Unsinn lässt sich an seinen Mahler-Platten im einzelnen dartun." (S. 102) Ausser dem Vorwurf des Unsinns in seinen Mahlerinterpretationen ( er ist vielleicht berechtigt, vielleicht gilt er auch für Mahler, wenn er eigenen Werke dirigierte), und dem Vorwurf interpretatorischer Schwarz-Weiss Malerei möchte ich ganz besonders auf eine auffällige Passage hinweisen, die mir für die Haltung Adornos typisch erscheint. Ich meine das "Herr Bruno Walter". Jeder im Lesen Erfahrene weiss, dass es eine abschätzige, herablassende Art gibt, jemanden mit 'Herr' zu titulieren. Das ist genau das, was ich meinte, wenn ich von Adornos 'Gehässigkeit' sprach. Auch eine abschäzige Bemerkung Kolischs notiert A. in seinem unveröffentichten Entwurf (ich nehme an zustimmend): "Zwei Aussprüche von Kolisch: "Selbst die virtuose Dirigierkunst Bruno Walters vermochte nicht das NBC-Orchester zur Unpräzision zu veranlassen" (S. 14) Vielleicht finde ich noch anderes. Freundliche grüsse Joachim [Beitrag von Joachim49 am 30. Mrz 2009, 14:42 bearbeitet] |
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Klassikkonsument
Inventar |
#54 erstellt: 30. Mrz 2009, 20:23 | |||
Hallo Aladdin,
Aus der Erinnerung einer länger zurück liegenden Lektüre habe ich nicht besonders sorgfältig formuliert. Mir war sogar noch klar, dass Adorno Toscaninis antifaschistische Haltung durchaus erwähnt, meinte aber, dass er das ästhetische Selbstverständnis des Dirigenten irgendwie in die Nähe des Faschismus rückt. Das Stichwort "Führerpersönlichkeit" in folgendem Zitat meint aber wohl den Kult um große Persönlichkeiten, der nicht schon selbst spezifisch faschistisch ist: "Genau darauf: auf die suggestionskräftige Wiederherstellung eines bloß vorsubjektiven Standpunkts durch ein gewaltsames Subjekt, sprechen die Hörer an. Ihnen ist der Maestro beides, Ersatz für Führerpersönlichkeit und Religion, und Ausdruck des Sieges von Technik und Verwaltung über die Musik; bei ihm fühlen sie sich, als nun auch musikalisch Verwaltete, sicher und geborgen." (Musikalische Schriften I-III, S. 66) Dirigenten werden wohl eh' leicht Gegenstand von Personenkult ohne dass sie viel dafür tun müssten. In Bezug auf Toscanini habe ich Adorno so verstanden: Die ersten Dirigenten (18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts?) waren noch nicht Interpreten im heutigen Sinn, sondern befanden sich auf dem "vorsubjektiven Standpunkt" des Taktschlägers, der mit seiner recht mechanischen Funktion das Orchester zusammenhielt. Die romantische Dirigier-Tradition, die wohl von Liszt und Wagner geprägt wurde, und die z.B. von Furtwängler gepflegt wurde, etablierte zwar eine interpretatorische Subjektivität. Doch die entfernte sich von der "Sache", dirigierte z.B. Beethoven oft langsamer als dessen Metronom-Angaben verlangten und mit willkürlich verzerrendem Rubato. Mit dieser Tradition räumte Toscanini auf, wohl von Verdi ausgehend, der forderte, man solle so spielen, wie's in den Noten steht. So kam er zu ähnlichen Resultaten wie Vertreter der Neuen Sachlichkeit (z.B. Hindemith), blieb aber im Gegensatz zu dieser Strömung "frei von Langeweile und asketischer Kargheit" (52 f.). Im Großen und Ganzen ist diese Entwicklung der Interpretation ja mittlerweile geläufig und auch in diesem Forum nachzulesen. Das Besondere an Adorno ist nun aber, dass er diese Entwicklung nicht wertfrei als Wechsel von Moden ansieht, sondern zum einen innermusikalisch das Verhältnis von Notentext und interpretatorischer Subjektivität betrachtet, aus dem hoffentlich eine sinnvolle Aufführung entsteht. Zum andern setzt er dieses Verhältnis (für mich nicht immer leicht greifbar) zu gesellschaftlichen Verhältnissen in Bezug. Anhand einiger Beispiele (vor allem aus Beethovens 9., Brahms' 4. und Wagners Meistersinger-Vorspiel) möchte Adorno zeigen, dass Toscanini sich einerseits zu sehr der vorromantischen Taktschlägerei annähert und seine Subjektivität nicht einsetzt, um motivische Zusammenhänge sinnvoll darzustellen. Andererseits zeige auch er wieder interpretatorische Willkür, mit der er auch in Sinfonien entweder das Orchester aufputsche wie bei Verdischen Stretten oder "mit drastischem Mangel an Geschmack" und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang klangschöne Stellen auskoste (58). Die Beispiele (ich hab' sie fast alle in meiner Sammlung) müsste ich noch mal nachhören. Aber mit einem Einwand bin ich nicht einverstanden: Adorno beklagt, Toscanini biete nur eine glänzende Oberfläche. So spricht er im Zusammenhang mit dem Meistersinger-Vorspiel von "Toscaninis Gewohnheit, Oberstimmenmelodien auf Kosten der [...] harmonischen Kontrapunkte kraß in den Vordergrund zu rücken" (60). Nun scheinen mir aber Toscaninis Aufnahmen trotz der damaligen Technik oft transparenter als spätere Aufnahmen in Stereo - z.B. die choralmäßigen Teile im Tannhäuser-Vorspiel, wenn ich das mit Sawallischs Live-Aufnahme in Bayreuth vergleiche. Es geht Adorno nicht darum, die Person Toscanini zu denunzieren, er betont sogar deren Integrität. Aber er sieht dessen Neigung zu geistloser Taktschlägerei als Rückschritt an, bei dem er in Verbindung mit dessen Wahrnehmung durch das Publikum einen Zusammenhang zur Gesellschaft herstellt: "Das Phänomen Toscanini und seine Wirkung kommt überein mit den herrschenden Tendenzen zu Regression." (65) Ein spekulativer Schritt, der mir zwar nicht ganz unplausibel erscheint, bei dem ich aber dennoch ziemlich ins Schwimmen komme. Denn was bedeutet hier "Regression" genau? Zunächst ist das ja ein psychoanalytischer Begriff, also ursprünglich auf einzelne Menschen bezogen, der nun wohl massenpsycholgisch zu verstehen ist. Anscheinend ist das unkritisch Toscanini-begeisterte Publikum ein Beispiel für eine kollektive Regression: Nach dem Zitat weiter oben unterwirft es sich einem "gewaltsamen Subjekt", das sie wie die Musik verwaltet, ohne auf individuellen Bedürfnisse bzw. Erfordernisse einzugehen. Regression als der nicht gerade autonome Wunsch, beherrscht zu werden. Meint er das so? Ich bin mir aber schon nicht sicher wie weit man gesellschaftliche Entwicklungen psychologisch beschreiben kann. "Bei größter subjektiver Integrität, größtem handwerklichen Vermögen bereitet Toscaninis handwerklich beschränkte Anstrengung Unheil. Sie verwandelt Musik in eine durchs bloße Am-Schnürchen-Gehen imponierende Macht, leer im Inneren. Indem er den objektiven Geist der Epoche höchst angemessen verkörpert, und nicht mehr, zeigt er sich dem verschworen, wogegen er seinem Bewußtsein nach, so tapfer und kompromißlos stand: einer von denen, die durch Kunst die Übermacht des bloß Daseienden über das, was anders wäre, über die utopische Möglichkeit, nochmals ratifizieren." (66) Da bleibt bei mir diffus zurück: Toscanini war als Mensch schon mehr als o.k., aber wenn ich seine Aufnahmen gerne höre, habe ich ein irgendwie falsches Bewusstsein.
Wie schon angedeutet, habe ich davon mal gehört. Das wäre für mich ein eigenes Projekt, das mich aber prinzipiell interessiert. Viele Grüße |
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Klassikkonsument
Inventar |
#55 erstellt: 30. Mrz 2009, 20:35 | |||
Hallo Joachim,
mir scheint diese polemische Verwendung der Anrede "Herr" eher altertümlich und deshalb mittlerweile unfreiwillig komisch zu sein. Ich stelle mir vor, diese Formulierung stamme aus der Anfangszeit der bürgerlichen Öffentlichkeit, in deren Debatten diese höfliche Anrede immer noch übrig blieb, wenn man schon sonst kein gutes Haar mehr am Angeredeten ließ. Jedenfalls meine ich diese Anrede gelegentlich auch in unpolemischer Weise gelesen zu haben. Wenn dem Schreiber selbst das "Herr" nicht mehr über die Feder kam, verlagerte sich der Zwist wohl auf die persönliche Begegnung beim Duell. Wahrscheinlich lese ich zu viel Max Goldt. Viele Grüße |
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Kings.Singer
Inventar |
#56 erstellt: 01. Apr 2009, 08:34 | |||
Hi. Ich lese seit geraumer Zeit mehr oder weniger interessiert mit. Warum ich noch nichts zum Thema beigetragen habe? Ich habe Adorno damals im Deutsch-LK kennengelernt, da unser Lehrer dankenswerterweise bekenennder Adornist (kann man das so sagen? ) war - und in uns Schülern so den Hass auf Adorno ins Unermessliche steigern konnte. Viele Grüße, Alex. |
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Martin2
Inventar |
#57 erstellt: 02. Apr 2009, 08:07 | |||
Hallo Alex, kann ich nur zu gut verstehen. Übrigens sagt man vermutlich eher Adorniten als Adornisten. Ich denke, die Tendenz, sich in seiner Weltanschauung an irgendeinen August anzuhängen, ist leider weit verbreitet. Deshalb schätze ich auch Religion, sofern sich aus der Religion alles und nichts heraus lesen läßt, so daß das Phänomen der Gefolgschaft erträgliche Züge annehmen kann. Jedoch die Gefolgschaft hinter irgendeiner philosophischen Sekte ist ein schwerer erträgliches Phänomen. Ich fände es trotzdem interessanter, über Adornos Lebensphilosophie zu reden als über seinen Musikgeschmack, da ich nicht weiß, warum er mich interessieren sollte. Das komische bei Adorno ist im übrigen, daß er höchst ideologiekritisch daherkommt, mir persönlich aber durchaus ideologisch erscheint. Etwa die Analyse von Strawinsky und Hindemith nach "Klassengesichtspunkten", in dem diese Komponisten zu bloßen Trägern ihrer gesellschaftlichen Klasse degradiert werden und man Hindemith als Kleinbürger fertigmachen kann, erscheint mir persönlich höchst ideologisch. Ich glaube eben doch, daß Adorno Staub angesetzt hat. Mehr als zum Beispiel Nietzsche. Nietzsche mag durchaus ein Kind seiner Zeit sein, der persönliche Radikalismus seiner Lebensphilosophie aber erscheint mir zeitlos, so kritisierbar er auch ist und deshalb empfinde ich seine Schriften immer noch als frisch. Dagegen empfinde ich Adorno als jemanden, der innerhalb der damaligen Diskussion irgendwie verortbar ist und der von daher auch sicherlich schneller verstauben wird als Friedrich Nietzsche. Denn die Gesellschaft schreitet ja auch irgendwie voran. Meine Großmutter etwa hat sicherlich "Klassengesellschaft" anders erlebt als ich. Da gab es Tanzlokale für die Proletatier und welche für die Kleinbürger und welche für die Großbürger und vermutlich noch für den Adel. So lebte jede gesellschaftliche Klasse gewissermaßen ihr Eigenleben. Adorno ist sicher auch ein Spiegel solcher Zustände, während man das heute eigentlich schon gar nicht mehr richtig versteht. Der Dünkel stirbt zwar nie aus, aber mit diesem ausgeprägten Klassenbewußtsein ist es doch vorbei. Deshalb kann ich auch mit dem Marxismus und dem "Sieg der Arbeiterklasse" herzlich wenig anfangen. Also meinetwegen hier im Forum interessiert es mich nun wirklich einen feuchten Kehrricht, ob jemand ein "Arbeiterkind" ist, oder dem Hochadel entstammt oder was weiß ich. Adorno betreibt jedenfalls gesellschaftliche Analyse mit den Mitteln seiner Zeit. Nicht nur sind dabei diese Mittel fragwürdig geworden, sondern auch die Gesellschaft hat sich gewandelt. Zu dieser Gesellschaft wird innerhalb der Individualisierung von gesellschaftlichen Reaktionen auch gehören, daß ein gewisses klassenbewußtes Cowboy und Indianerspielen niemals aufhört. "Klassenlosigkeit" läßt sich eben nicht von oben verordnen. Das ist mir allerdings letzlich nicht wichtig. Es gibt beispielweise hier in Hamburg auch einen hanseatischen Ruderclub, wo Du ariernachweismäßig dein Hanseatentum bis in die dritte Generation nachweisen mußt. Aber interessiert mich dies? Wichtig ist doch nur, daß wir eine Mehrheitsgesellschaft haben, die all solche Dinge auch ironisiert. Und von einem solchen Standpunkt müßte Gesellschaft heute analysiert werden - das heißt weder in den Kategorien der Vergangenheit, die Dinge wie "Klasse" noch blutig ernst nähme, noch aber auch von einem bloßen gesellschaftlichen Optimismus, der meinte, Chancengleichheit sei gesellschaftlich erreicht. Gesellschaftliche Zuordnungen haben für mich heute auch ein bißchen einen "Spielcharakter" und diese Bedeutungsverschiebungen müßten genauer analysiert werden. Gruß Martin |
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Klassikkonsument
Inventar |
#58 erstellt: 02. Apr 2009, 13:29 | |||
Hallo Martin & Alex,
Dass einem etwas in der Schule verleidet wurde, sehe ich nicht als Argument gegen die Sache, natürlich auch nicht dafür. Hört man ja oft genug gerade auch in Hinblick auf klassische Musik. "Weltanschauung" ist eine fragwürdige Vokabel, weil sie sich von vornherein von dem Versuch verabschiedet, sich von Ideologie freizumachen. Man schaut halt auf die eigene Weise auf die Welt, und hofft auf eigene Faust in ihr bestehen zu können. Adorno schrieb durchaus gegen Ideologien an. Ich vermute, dass hinter seinem apodiktischen (argumentarmen, quasi daher erzählendem) Stil (der mich an Hegels Lehre vom Sein erinnert), eigentlich eine aufklärerische Intention steckt, die nur leider nicht unbedingt aufgeht: Adorno klotzt nur Resultate hin, ohne zu sagen wie er da hingekommen ist, um fragwürdig, hinterfragbar, nicht ohne weiteres zuverlässig zu bleiben. Er wollte keine neue Religion stiften. Das setzt aber voraus, dass seine Leser selbsttätig denken: "Häh, Wieso?", wenn sie etwas nicht nachvollziehen können. Zuzugeben, dass man etwas nicht nachvollziehen kann, ist allerdings meist mit nicht so positiven Emotionen besetzt. Dafür sorgen nicht zuletzt Schule & Uni. Zu dem Thema ist Adornos Aufsatz Meinung, Wahn, Gesellschaft vielleicht nicht das Schlechteste.
Die hartnäckigste Ideologie ist doch wohl die von der Ideologiefreiheit. Wenn jemand wertet, riskiert er sofort den Vorwurf ideologisch zu sein. Das ist dann aber häufig bloß ein Zweifel an der moralischen Redlichkeit, der die Frage ersetzt, ob an dem Gesagten überhaupt etwas dran sei. Die Grundlage aller Wertung ist doch die Frage "Was hat das mit mir zu tun?" bzw. "Was habe ich denn davon?". Daraus speist sich die Polemik, die nicht einfach alles so hinnehmen will wie es halt gerade ist.
Ärgerlich wie erfreulich an Adorno & Nietzsche ist, dass sie auf einen akademisch abgesicherten Stil verzichten, z.B. nicht immer alles mit Zitaten belegen. Das ist ja unter GeisteswissenschaftlerInnen eine weit verbreitete Krankheit: über der Frage, wo etwas steht, wo etwas in welcher Diskussion verortet werden muss, wird vergessen, ob man es überhaupt mit einem interessanten Gedanken zu tun hat. Viele Grüße [Beitrag von Klassikkonsument am 02. Apr 2009, 13:33 bearbeitet] |
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Joachim49
Inventar |
#59 erstellt: 03. Apr 2009, 19:59 | |||
Ich habe nicht die Absicht, noch wochenlang weiter auf Adorno herumzuhacken, aber ich möchte noch ein paar Zitate zu Bruno Walter nachreichen. Sie sind nicht, wie ich ursprünglich vermutete, aus dem Beethovenbuch (aus Adornos Nachlass) sondern aud dem schon erwähnten Nachlmassband 'Zur theorie der musikalischeh Reproduktion". Bei der ersten Durchsicht hatte ich sie übersehen. S. 109 (14. Juli 1953) "Wenn z.B. im langsamen Satz der Pasrorale (...) ein Takt dreimal hintereinander wiederholt wird, so bedeutet dies eine Stauung, gleichsam ein nicht Loskommen, in äusserster Absicht (Form als Mittel des Ausdrucks). Also darf auch die Interpretation nicht 'fliessen'. ... die Phrasen müssen .... seis durch noch so minimale Luftpausen voneinander getrennt sein. Bruno Walter ve'rsucht sie sinnwidrig im "Fluss" zu halten und lässt das Fagott ohne jede Phrasierung spielen, wie er überhaupt die Neigung hat, Phrasen zu verschleifen. Sein Musizieren ist durch die Angst determiniert, der Hörer könnte 'ausgelassen' werden, nicht durch die Sache. Entweder er verliert sich, pikfein abschmeckend, an Details (...) oder er treibt, wo er Langeweile fürchtet. Er spielt bewundernswert auf dem Orchester Klavier, aber das Orchester ist kein Klavier. (....) ein Orchester kann nicht auf die gleiche Weise frei spielen wie ein Quartett oder ein Klavier, weil sonst das Improvisatorische scheinhaft wird; die Abweichungen müssen im Orchster viel feiner sein. Walter weiss das nicht - etwas Ordinäres in seiner Empfindungsweise, Differenziertheit, die mit Keulen dreinschlägt. Lyrischer Theaterkapellmeister; ohne Sinn fürs Antithetische, Durchbrechende. (...) In der Egmont Ouvertüre vertuscht er die Dissonanzen; bei der Modulation im Seitensatz, wo er um der Perspektive willen ausspielen lassen müsste, hastet er aus Angst vorm rhythmischen Stillstand weiter." Nun schön, davon können wir uns ja gerne selbst überzeugen, wenn wir uns die frühen Walteraufnahmen der Symphonien Beethovens anhören (die mit den New Yorkern). Ich selbst hätte eher die Neigung im Hinblick auf Adornos Text von einer Differenziertheit zu sprechen, die mit Keulen dreinschlägt. Gerechtigkeitshalber: es gibt auch eine positive Bemerkung zu Bruno Walter: "Bewundersnwert nur seine Abwehr des Mechanischen (alles bei Walter ist Abwehr). Wie er z.B. den Vogelimitationen in der Pastorale durch ein minimales, Mahlersches Unregelmässiges der Einsätze, das Lächerliche nahm, das macht ihm sobald niemand nach. Einzelne vorzügliche Tempi mit dem Moment des Gebremsten, auch Gelassenen; nur hält ers nicht lang aus, es muss etwas geschehen. " Auch zum Siegfriedidyll findet sich eine zustimmende Bemerkung. (110) Wurde gerade noch in Walters Pastorale das Fehlen einer Luftpause bemängelt, da wo sie auf keinen Fall sein darf, fordert Walter sie natürlich: ... um keinen Preis zwischen beiden die geringste Atempause (wie bei Walter)" (111) Nicht im Zusammenhang mit Bruno Walter liest man auf S. 108. "Und wenn man mit Retuschen anfängt, hört man dann nicht mit Hollywood-Adaptionen und Herrn Korngold auf." wieder das geschmacklose "Herr". Ja, der Korngold, dieser Dummkopf. Warum ist er denn nicht in Wien geblieben? S. 117 : "Was ich von Bruno Walter sagte, gilt auch für Pianisten: sie verfügen nur über zwei Charaktere: den 'schöner Anschlag' und den 'brilliant'. S. 150: "... man kann nicht auf dem Orchester Klavier spielen, das gegenüber der mimetischen Unmittelbarkeit eine Schicht der Vermittlung setzt, und wer es doch tut, macht es schlecht, schauspielerhaft, indem er jene Schicht der Vermittlung leugnet (Bruno Walter)". Den Stümperhaften Schwarz-weiss Maler Bruno Walter erkennt man auch in seinen Mahlerinterpretationen: "Wenn wie bei Herrn Walter, die Entwicklung nicht zu dem flotten Tempo führt (denn vorher melodisiert er ja!) sondern, um des Einzelcharakters willen, abrupt einsetzt, wird's falsch. S.161: "Oberster Grundsatz Bruno Walters: der Kunde darf nicht ausgelassen werden, nie sich langweilen. Also entweder schwelgen oder mitreissen, mitnehmen. Was dabei aus der Musik wird, ist ihm gleichgültig". S. 191 "Fritz Langs Beschreibung von den Cabaretmädchen, das 'Schöner Gigolo' mimisch illustriert. Genau so singen manche Sänger, so Herr Patzak, natürlich unter Herrn Walter", im Lied von der Erde. ... Die plötzlichen Temporückungen .. alle falsch in der Proportion. Und das gilt für Mahlers Erben". Liebe Forianer ihr seid gewarnt lasst die Finger weg von Bruno Walters Aufnahmen. Der Mann wird euch zwar entertainen (hat er nicht in der Nähe Hollywoods gelebt?) aber die Musik ist ihm gleichgültig. Verkaufe meistbietend: 2 x alle Neune (New York und Columbia) 2 x alle vier (New York und Columbia) Späte Mozartsymphonien und KV 466 (mit dem Stümper selbst am Klavier) Schubert 8 und 9 (alte Zählung) diverse Symphonien von Dvorak, Berlioz, Barber (!) .... Diverse Mahlersymphonien (ausser 3, 6, 7 und 8 )und diese schändliche Deutung des 'Lieds von der Erde' an der ja auch die Ferrier mitgewirkt hat. Aber wer will dafür noch einen Pfennig hinlegen? Freundliche Grüsse Joachim [Beitrag von Joachim49 am 03. Apr 2009, 20:00 bearbeitet] |
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op111
Moderator |
#60 erstellt: 04. Apr 2009, 07:25 | |||
Die traumwandlerische Sicherheit Adornos in seinen Urteilen zu Mahlerscher Musik kann man auch in seinem "Mahler" bewundern. Er besass bereits damals eine so präzise analytisch-krititsche Partiturausgabe, die mir als gewöhnlichem Konsumenten nicht zur Verfügung stand. Vor etlichen Jahren habe ich mal versucht die angemerkten Partiturstellen aufzufinden - Fehlanzeige. Das der gewöhnlichen Öffentlichkeit zugängliche Material enthält diese Stellen gar nicht, vermutlich sind es gar andere Werke - vielleicht die von Korngold. Adornos Urteile über fachfremde Themen sind für mich mitunter genau so informativ wie die anderer Prominenter, sei es nun Scholl-Latour über Malerei, H. Klums Wagnerbrevier, Biolek über Fussball, Kerner über Tiermedizin - der Bekanntheitsgrad sichert den Absatz und die Fans kaufen es bestimmt. [Beitrag von op111 am 04. Apr 2009, 14:02 bearbeitet] |
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