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Der Jazzrock – Fusionen, Helden, Platten (eine Geschichte)

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Mr._Lovegrove
Inventar
#1 erstellt: 01. Sep 2020, 18:08
Der Jazzrock – Fusionen, Helden, Platten (eine Geschichte)

Von all den verschiedenen Fusionen, von all den verschiedenen Versuchen, den Jazz, der ehedem selber ja eine populäre Musik war, bevor der Rock´n´Roll ihn überrollte, mit anderen Stilen und Spielweisen zu vermischen, war und ist der Jazzrock oder die Fusion sicher immer noch seine faszinierendste und populärste Unterart.
Geboren in die goldenen Sechziger und pünktlich groß geworden zum (oder gar durch) den „Summer of Love and Peace“ entwickelte sich der Jazzrock von anfänglich sehr zaghaften und minimal vernehmbaren Versuchen alsbald zu einem Experimentierfeld und einer Projektionsfläche einer Szene, die durch Rock´n´Roll und Beatmusik, aber auch durch Motownklänge und Soulmusik an einen kommerziellen Rand gedrängt wurde und so eine Überlebensstrategie benötigte, um nicht ganz vom Teller zu fallen.
Doch die Geburt des Jazzrock war keineswegs von einer einzigen gewaltigen Explosion ausgelöst worden, auch war es mitnichten Miles Davis, der diese Musik „erfand“. Nein, es war ein langsames Erwachen, welches ab Mitte 1967 durch einige sehr unterschiedliche Protagonisten und Klangerneuerer in Gang gesetzt wurde und Mitte 1969 in die entschei-dende Phase seiner Entwicklung trat. In diesem Jahr trat mit Miles Davis die zentrale Figur in dieser Entwicklung auf den Plan. Davis, schon seit Beginn seiner Karriere auch immer ein exzellenter Katalysator, scharte zur richtigen Zeit die richtigen Musiker um sich und hatte zu richtigen Zeit die richtigen Visionen, um die Idee des Jazzrocks mit ebenso kreativen wie kommerziell höchste erfolgreichen Meilensteinen entscheidend weiterzubringen und ihre endgültig aus dem Mutterleib zu helfen.
Ab diesem Zeitpunkt traten Jazzrock, Rockjazz und artverwandte Fusionen ihren Siegeszug um den Planeten an; Musiker wie Al Di Meola oder John McLaughlin und Jazzrockbands wie Weather Report oder Return To Forever füllten die größten Hallen weltweit und sorgten so auch dafür, dass der Jazz seinen Platz in der Welt der Musik behielt, auch wenn der kommerzielle Erfolg ab den 1980ern wieder radikal abnahm.
Die Fusionmusik durchlebte während ihrer langen Geschichte denn auch mehrere Metamorphosen; sie wurde mit der Zeit kommerzieller, glatter, zugänglicher, aber auch melodischer und mehrheitsfähiger. Schon Mitte der 1970er blieb von den Experimental-klängen der frühen Alben und deren faszinierender Forschungseindrücke kaum etwas übrig. Der Markt gierte nach Virtuosen, nach einer kunstvollen Zurschaustellung überragender Instrumentenbeherrschung, aber auch später im Jahrzehnt nach radiotauglicher Verweichlichung. Und so wurde Jazzrock um die Jahrzehntwende zu Smooth Jazz, einer watteweichen Unterart, die mit improvisierter Musik kaum mehr etwas zu tun hat. Diese Verweichlichung hatte zur Folge, dass der Jazzrock der alten Tage in einen cryogenen Tiefschlaf versetzt wurde, von dem er bisher nicht wieder erwacht ist.
Heute wird Jazzrock oftmals im Kontext seiner Vergangenheit gesehen, selbst die alten Helden dieser Ära führen dessen Weg nicht mehr konsequent fort, neue Jazzmusiker bewegen sich zumeist wieder in akustischen Gefilden und besinnen sich eher auf die Zeit vor dem Jazzrock.

Doch die goldenen Jahre (es waren ja nahezu anderthalb Jahrzehnte) haben eine nahezu unüberschaubere Anzahl an oft hochkarätigen Platten hervorgebracht, dass ein Blick in die Vergangenheit einen gar unendlichen Moment andauern kann. Selbst die Anzahl der großen Klassiker dieses Genres beträgt ein paar Dutzend, so dass jeder Neuentdecker dieser faszinierenden Welt auf ewig genug Holz für sein Feuer hat.

Dieser Thread ist der Geschichte des Jazzrock gewidmet, weshalb hier einigermaßen chronologisch vorgegangen werden soll. Jedes vorgestellte Album sollte also mindestens aus dem gerade besprochenen Jahr stammen, eine Reihenfolge nach Release- Datum muss aber nicht eingehalten werden.
Die Einhaltung der zumindest jahresbasiert chronologischen Reihenfolge ist aber für die Idee des Thread sehr wichtig, denn er soll ja sowohl für Neulinge, Einstieger, als auch Fortgeschrittene und Experten einen detaillierten und gut nachvollziehbaren Überblick bieten und so den Horizon eines jeden mit toller Musik und ihrer Geschichte erweitern.

Tja, und jede Geschichte findet selbstredend ihren Anfang….
Mr._Lovegrove
Inventar
#2 erstellt: 01. Sep 2020, 18:54
1967 - ein langsames Erwachen

So etwas wie die Geburtsstunde des Jazz gibt es sicher nicht. Genauso wie bei vielen anderen Jazzstilen unterliegt auch der Jazzrock einer eher schleichenden und mehrgleisigen Entwicklung, die immer exponentieller zu einer immer klarer werdenden Emanzipation fort schritt.
So vermischte Dave Pike auf seinem Klassiker "Jazz for the Jet Set" Jazz mit souligen Styles, Easy Listening und der einen oder anderen beatig- rockigen Harmonie. Miles Davis als wichtigster Protagonist der frühen Jazzrockära war selber zwar noch innerhalb seines zweiten Quintetts auf rein akustischen Wegen unterwegs, doch auf dem Album "The Sorcerer" von 1967 birst das Titelstück schon von den härteren Rhythmen, die man nur unwesentlich abgewandelt auf auch Bitches Brew vernehmen konnte.
Jedoch sind sich viele Experten einig, dass Vibraphonist Gary Burton und Gitarrist Larry Coryell die ersten entscheidenden Impulse für eine Fusion von Jazz und Rock gegeben haben. Folgende beiden Alben sind dafür der auf Band gebrachte Beleg.

jpc.de
Gary Burton
Duster aufgenommen 18-20.04.1967
Bass – Steve Swallow
Drums – Roy Haynes
Guitar – Larry Coryell
Producer – Brad McCuen
Vibraphone – Gary Burton

Larry Coryell, auch als "Godfather of Jazzrock" bezeichnet und der erst wenige Jahre zuvor die Bühne betretende Gary Burton sind mit diesem Album ganz sicher noch sehr weit entfernt von dem, was 2 Jahre später zum Jazzrock wurde, doch Coryell gibt mit beatartigen Harmonien und eher rockigen denn jazzigen Soli die irgendwo zwischen Bop, Psychedelic und Beachboys liegen, ganz entscheidende Impulse in Richtung Fusion. Auch die Grundtextur der Musik wiegt sich in teils psychedelischen Klangfarben und Rhythmen und ist dennoch sehr eingängig.

R-2862994-1304528035.jpeg
The Free Spirits
Out Of Sight And Sound, 1967

Bass Guitar, Vocals – Chris Hills
Drums – Bobby Moses
Guitar – Columbus "Chip" Baker*
Guitar, Sitar – Larry Coryell
Saxophone – Jim Pepper

Auch dies ist ein Projekt des frühen Larry Coryell und er beleuchtet auf diesem Album die Idee einer Jazzrockfusion von einer komplett anderen Seite. Er und seine Band finden sich in schwer- psychedelischen Gefilden wieder, Chris Hills ist ein durchaus typischer Sänger einer Rockband dieser Zeit. Und doch gibt es durch wilde und freie Soli von Jim Pepper einen schweren Jazzeinschlag. Dieses Album weist trotz fast noch eindeutiger als o.g. "Duster" in eine Richtung, die nur unwesentlich später deutlichere Konturen annehmen sollte. An dieser Konturenformung sind zwar andere Jazzmusiker deutlich präsenter beteiligt, als Larry Coryell, dennoch gab er entscheidende Impulse und war einer der Einleiter der Geburt der Fusion (und später einer der eher tragischen Figuren dieser Musik).

So, der Anfang ist gemacht. Ich hoffe auf eine rege Beteiligung und Blut, Schweiß (aber keine Tränen) bei den nächsten Nennungen.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 01. Sep 2020, 18:58 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#3 erstellt: 02. Sep 2020, 09:22
Zuerst mal Dank für die Eröffnung dieses neuen Threads. Das wird sicherlich interessant, auch wenn ich - ausser den bekannten Namen - wahrscheinlich nicht sehr viel in der Sammlung habe und/oder kenne.

Ich habe erst etwas gezuckt, als ich den fixen Beginn mit dem Jahr 1967 gelesen habe, denn wenn man so will gab es zB bei Blue Note schon in den 1950ern Platten, die ganz klar in die R&B und spätere Rock-Richtung deuten, aber natürlich noch stark dem Jazz-Idiom verhaftet sind. Aber nach etwas Überlegen ist das Jahr 1967 kein schlechter Ausgangspunkt.

Eine vermutlich weniger bekannte Platte aus diesem Jahr, die für mich eindeutig in Richtung Rock-Musik zeigt, ist Gabor Szabo - The Sorcerer - Live at the Jazz Workshop Boston, April 1967 - Impulse 1967. Die Besetzung ist ein Quintett mit zwei Gitarristen (Szabo und Jimmy Stewart), Bass, Drums und Percussion. Thematisch zwar teilweise noch dem Jazz verhaftet, führen die Gitarristen die Stücke weit davon weg, Anspieltipps What is This Thing Called Love oder Space. Besonders letzteres erinnert schon stark an die Jams von Bands wie Grateful Dead, die zur gleichen Zeit entstanden. Carlos Santana kombinierte dann Szabos Gypsy Queen mit Peter Greens Black Magic Woman zu dem bekannten Stück auf der Abraxas. Das Original von Szabo ist übrigens aus 1966, zu finden auf der LP Spellbinder, auf der wiederum Ron Carter den Bass zupft ... der Kreis schliesst sich).

Mehr zu den gezeigten Platten immer unter dem Link unter den Bildern, idR gibt es da auch Anspielmöglichkeiten.

R-2124086-1345000635-7693.jpeg
https://www.discogs.com/Gabor-Szabo-The-Sorcerer/release/5132040



Und noch eine fällt mir ein: Tom Scott with the California Dreamers - The Honeysuckle Breeze - Impulse 1967. Nun, da muss ich nicht viel schreiben, das Cover spricht Bände. Das ist Jazz meets Psychedelic pur. Für heutige Ohren eher schmalzig, aber ich fand die Platte immer vergnüglich ... später arbeitete u.a. Joni Mitchell mit Tom Scott zusammen (Miles of Aisles). Ich kenne nicht mehr viel von Scotts Sachen aus den 1970ern, das was ich kenne, war mir dann zu seicht.

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https://www.discogs....eeze/release/2825292


[Beitrag von arnaoutchot am 02. Sep 2020, 09:46 bearbeitet]
Gomphus_sp.
Inventar
#4 erstellt: 02. Sep 2020, 18:29
Wenn ich den Begriff Jazzrock höre oder lese, muss ich sofort an Klaus Doldingers Passport
denken. Klaus Doldinger, einer der größten Jazzmusiker überhaupt, gründete die Band Passport
1971. Und das erste Album hieß dann auch Passport. Auf der Platte ist das berühmte Schirokko

a67.

zu hören. Bei diesem Debut spielte Lothar Meid von Amon Düül II die Bassgitarre. Am Schlagzeug
saß Udo Lindenberg. Dies ist meine Pressung.
höanix
Inventar
#5 erstellt: 02. Sep 2020, 19:56

Mr._Lovegrove (Beitrag #1) schrieb:
Dieser Thread ist der Geschichte des Jazzrock gewidmet, weshalb hier einigermaßen chronologisch vorgegangen werden soll. Jedes vorgestellte Album sollte also mindestens aus dem gerade besprochenen Jahr stammen

Irgendwas läuft hier falsch.

Mr._Lovegrove (Beitrag #2) schrieb:
1967 - ein langsames Erwachen
Mr._Lovegrove
Inventar
#6 erstellt: 02. Sep 2020, 21:01
Na ja, kann ja mal passieren. Ist ja im ECM Thread auch mal vorgekommen. Deshalb sei nochmal betont, dass wir uns hier Jahr für Jahr vorarbeiten wollen. Ein wildes durcheinander posten führt die Idee der chronologischen Aufarbeitung ad absurdum.
Ich melde mich dann morgen wieder mit musikalischem Input. Jeder andere Begeisterte ist selbstverständlich eingeladen diesen Faden zu einer gelungenen Angelegenheit wachsen zu lassen. Im ECM Thread ist uns das ja wirklich brilliant gelungen.
andreas3
Inventar
#7 erstellt: 02. Sep 2020, 21:36
Hallo Michael,
das ging ja schnell mit dem neuen Fred..

Das einzige was mir zu 1967 einfiele wären Soft Machine, aber die haben auf ihrem Erstling noch kaum Jazzeinflüsse gezeigt. Außerdem habe ich die Platten schon lange nicht mehr. Ich denke auch, dass es keinen Erfinder des Jazzrock gab, sondern es war der Zeitgeist: Auf zu neuen Ufern! Am Schirm hatte ich noch Don Cherry, aber der war zumindest 1966 noch mit Free Avantgarde beschäftigt.
Gomphus_sp.
Inventar
#8 erstellt: 02. Sep 2020, 22:51
1967 ist vielleicht nicht ganz richtig. Vermutlich gehen die Anfänge des Jazzrock noch weiter zurück. Manfred Mann und Mike Hugg haben da sicherlich auch was zu beigetragen, als sie sich zu Beginn des Chapter One´s noch The Mann Hugg Blues Brothers nannten und mit Hilfe engagierter Bläser Blues und Jazz Standards spielten. Das ging bis Mitte der 60er Jahre. Mittlerweile hieß die Band Manfred Mann. Mitglieder waren natürlich Manfred Mann Keyboards, Mike Hugg Schlagzeug und Vibraphon, Mike Vickers Gitarre, Saxophon und Flöte, Tom McGuinness (der Dave Richmond ablöste) Bassgitarre und Paul Jones Gesang, Mundharmonika und Perkussion. Aus dieser Zeit stammen auch die Stücke, die auf dieser Compilation drauf sind:

g20

Manfred Mann ‎– Soul Of Mann (Instrumentals) von 1985

Chapter II (die Mike d´Abo / Klaus Voormann Phase) kann man, was den Weg zum Jazzrock anbelangt getrost überspringen.
Als sich Manfred Mann (Chapter II) 1969 auflösten, gründeten Manfred Mann und Mike Hugg Manfred Mann Chapter III. Und jetzt war man beim Jazzrock angekommen.

c100.

Manfred Mann Chapter Three ‎– Manfred Mann Chapter III − Volume 1 von 1969, hier als Reissue von 1979.
Progressiver Jazzrock mit einem sehr starken Hang in Richtung Underground.

Und in diesem Stil hätten Manfred Mann und Mike Hugg weitermachen sollen... nee, die Earthband musste ja her

Gruß Heiko
Mr._Lovegrove
Inventar
#9 erstellt: 03. Sep 2020, 06:25
Die frühen Manfred Mann Sachen kannte ich noch gar nicht. Ihre Nennung ist aber wichtig für die Tatsache, dass sich der Jazzrock durchaus auf beiden Seiten des Atlantik entwickelt hat.
Wobei auch bei den Manfred Mann Sachen noch ganz klare R´n´B Einflüsse durchzuhören sind. Die Vermengung von Blues, Soul und Rock war ja in den frühen Sechzigern gerade durch die Stones bekannt geworden. DIe Mann Sachen werden aber durch eine gewichtige Portion Jazz angereichert.

Arnaoutchots Nennnug von Gabor Szabo sowie Tom Scott kann ich dann noch durch diese hier ergänzen
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Bob Thiele And His New Happy Times Orchestra / Gabor Szabo With The California Dreamers And Tom Scott & Bill Plummer ‎
Light My Fire 1967
Aufgenommen im August und September 1967 präsentiert Produzent Bob Thiele eine zeittypisch obskure Revuemischung aus Pop, Psychedelic, Easy Listening, Rock und Jazz. Einige Nummern sind, wie der Name "New Happy Times Orchestra" aussagt, eher fröhlich gehalten, andere aber schon härterer Gangart und weisen schon klar in Richtung Fusion. Thiele gibt auch der Sitar einen prominenten Platz; sie war ja gerade trendy geworden. Da passen sich Szabos Gitarre und Tom Scott ja geradezu perfekt ein.

Aber auch hier hört man, dass das ganze zwar etwas osbkur gemischt ist, aber eben noch keinen Laborcharakter hat, wie es einige Protagonisten nur kurz später exerzieren werden.
vampula
Stammgast
#10 erstellt: 03. Sep 2020, 09:20
R-10459703-1497884829-9767.mpo

finde die gehört bei dem Jahr 1967 definitive dazu
Brian Auger, Julie Driscoll And The Trinity ‎– Open

Psychedelic Rock, Soul, Jazz-Rock,von allem etwas
Arranged By – Brian Auger, Richard Hill
Bass Guitar – David Ambrose
Drums – Clive Thacker
Lead Guitar – Gary Boyle
Vocals – Julie Driscoll
Vocals, Organ, Piano – Brian Auger
Mr._Lovegrove
Inventar
#11 erstellt: 04. Sep 2020, 07:24
Wenn keiner mehr was aus 1967 hat, gehe ich heute abend ins Jahr 1968 über.
Mr._Lovegrove
Inventar
#12 erstellt: 06. Sep 2020, 08:13
1968 - Die Dinge fügen sich

Im Jahr 1968 wurden an vielen Stellen der Welt wichtige Teile für das Puzzle namens Jazzrock zusammengelegt und langsam aber sicher ergab sich daraus ein erkennbares Bild.
Ich beginne mal mit einem Zitat von Miles Davis aus seiner Biographie:
"Das Jahr 1968 brachte wieder unheimlich viel Veränderungen. Aber das Aufregendste passierte in der Musik. Es führte mich in die Zukunft und hin zu In A Silent Way.
Zu den musikalischen Neuheiten gehörte zum Beispiel Charles Lloyd. In seinen besten Zeiten hatte er Jack DeJohnette und den jungen Pianisten Keith Jarrett in der Band.....Sie spielten eine Mischung aus Jazz und Rock, eine sehr rhythmische Musik."

Dieses Zitat ist nicht nur eine gute Einleitung in dieses spannende Jahr, sondern zeigt auch auf, dass Miles Davis ein aufmerksamer Beobachter war, Einflusse von außen dankbar annahm, um diese dann entscheidend weiterzuentwickeln und daraus selbst entscheidende Impulse für andere zu geben. Außerdem waren DeJohnette und Jarrett ja bekanntlicherweise kurze Zeit später in seiner Band zu finden.

1968 veröffentlichte Lloyd in der Tat noch nicht einmal ein Album (abgesehen vom bereits 1962 und 1965 aufgenommenen "Nirvana"), aber sein Quartett und die Gruppe von Miles Davis spielten "Ende 1967 oder Anfang 1968" beide im Village Gate und Davis ging öfters zu Konzerten von Lloyd, denn er wollte sich Jack Dejohnette anhören. Nur um ihn kurze Zeit später tatsächlich abzuwerben.

Lloyd hatte aber schon 1967 Auftritte im Fillmore Auditorium in San Francisco mitschneiden lassen, die trotz rein akustischer Besetzung einen eindeutigen Fingerzeig in richtig Fusion machten:
LOve-In
Charles Lloyd Quartet
Love-In 1967

Journey
Charley Lloyd Quartet
Journey Within 1967
beide:
Bass – Ron McClure
Drums – Jack DeJohnette
Piano, Soprano Sax – Keith Jarrett
Tenor Saxophone, Flute – Charles Lloyd

Das Quartett des Saxophonisten, der seine Bandmitglieder damals angeblich sehr schlecht behandelte, war zu dieser Zeit auf einem Beliebtheitshöhepunkt und verzückte sein Publikum mit in der Tat sehr rhythmischer Musik, die gerade durch Jarretts fast schon liebliche Meldodien und sein fröhlich gesonnenes Klavierspiel und natürlich DeJohnettes rockig-poppige Attitüde fast mehr Rock als Jazz im Herzen hatte. Diese Musik ist so wunderbar zeitgeistig, nimmt den Summer of Love mental vorweg und hört sich teilweise von Marihuana durchzogen an.

Der Auftritt in ähnlicher Besetzung (Cecil McBee ist hier am Bass) beim Monterey Jazz Festival 1967 ist hier eine Aufnahme, die diese Stellung weitgehend untermauert:
ff
Charles Lloyd
Forest Flower - At Monterey 1967

Erstaunlicherweise spielt selbiges Quartet in Europa nur ein Jahr später gänzlich andere Musik, die so kaum in Richtung Jazzrock weist, sondern enorm frei und modernistisch klingt. Festgehalten ist dieser Wandel auf "In Europe", einer Aufnahme aus Oslo. Sie ist wirklich gut und zeigt einen überragenden Jarrett, hat aber mit der Entwicklung des Jazzrocks kaum zu tun. Ähnliches gilt für das 1967 in Tallinn mitgeschnittene Album "In the Soviet Union", das aber erst 1970 auf den Markt kam.

Nichtsdestotrotz hatte Lloyd Einfluß auf die Entwicklung des Jazzrock, auch wenn seine eigenen Fusionalbum Anfang der 70er anders klangen, als die vieler früher Jazzrockprotagonisten.

Doch 1968 war ein Jahr, in dem noch einige andere Musiker aus Rock und Jazz anfingen, beides zu fusionieren...


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 06. Sep 2020, 08:13 bearbeitet]
Mr._Lovegrove
Inventar
#13 erstellt: 06. Sep 2020, 08:23
...und das auch auf der anderen Seite des Atlantiks in Europa. Terje Rypdal veröffentlichte 1968 sein Debütalbum. In Norwegen war er schon seit Mitte der 60er als Gitarrist der Vanguards bekannt geworden, eher er sich 1968 löste und von da an als Jazzrockgitarrist für Furore sorgte.

jpc.de
Terje Rypdal
Bleak House 1968

Ich übernehme hier der Einfachheit halber meinen Text aus dem Jazz- Thread:

Wenn man das Aufnahmedatum (Oktober 1968) betrachtet und zudem seine nordeuropäische Herrkunft, so ist zu sagen, dass die Überleitung vom Jazz zum Jazzrock und zur Fusion eine deutlich weltumspannendere Angelegenheit war, als es so mancher im Gedächtnis hat.
Immerhin waren die oftmals als Geburt des Jazzrock titulierten Miles Davis Meilensteine "In a silent Way" (aufgenommen im Februar 1969) und "Bitches Brew" (Aufnahmen aus dem August 1969) noch weit entfernt, als Rypdal hier z.B. im Titelstück unter enormen Pressdruck des Drummer Jon Christensen rockig- harte Akkorde in den Chorus der kleinen Big Band knallt.
Aber eins nach dem anderen: In seiner Gesamtwirkung ist dieses Album natürlich auch eine Experimentierfläche, ein Reagenzglas stilistischer Mixturen. Den Opener "Dead Man´s Tale" gestaltet der Norweger eher als winterkaltes und progressives 60´s Rockstück inkl. einer durchaus gelungenen Gesangseinlage. "Wes" ist eine Big Band- angereicherte Hommage ans Wes Montgomery und geizt nicht mit Fülle und Kraft.
Doch danach wird es richtig interessant. Rypdal schwenkt in seinem Reagenzglas die Stoffe zusammen, die in der Tat richtig wirkungsvoll fusionieren. Moderne Big Band Arrangements, Free- Elemente, rockige Härte und teils drückende Rhythmen zeigen ganz eindeutig den Willen auf, hier etwas ganz neues zu erschaffen. Dabei klingen diese Experimente so ganz anders, als die der amerikanischen Musiklaboranten. Rypdal unterfüttert seine Musik schon damals mit einem ganz eindeutigen nordischen Gestus; mit teils unterkühlten Harmonien und Klängen ist er auch einer der Geburtshelfer dieses nordischen Jazz, der kurze Zeit später ebenso wie die Fusion ein Erwachen erfahren würde. Das letzte, als intimer Folkausflug gehaltene Stück "A feeling of harmony" ist dann ein beredter Schlusspunkt für diese These.
Im Übrigen sind mit Jan Garbarek und dem schon erwähnten Jon Christensen zwei weitere Hauptprotagonisten des nordeuropäischen Jazz auch hier schon prominent zu hören. Alle drei wurden ja nur kurze Zeit später bei ECM die treibenden Kräfte des auch kommerziell enormen Erfolges dieser Ära.
vampula
Stammgast
#14 erstellt: 06. Sep 2020, 11:26
auch 1968 sind diese Herren aufgetaucht.Finde ein grandioser Erstling.
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Blood, Sweat And Tears ‎– Child Is Father To The Man

Alto Saxophone, Piano, Other [Good Judgment] – Fred Lipsius
Backing Vocals – Melba Moorman, The BS&T Soul Chorus, Valarie Simpson*
Bass [Fender] – Jim Fielder
Cello – Alan Schulman, Charles McCracken
Drums, Percussion, Vocals – Bobby Colomby
Guitar, Acoustic Guitar, Lute, Vocals – Steve Katz
Organ, Piano, Synthesizer [Ondioline], Vocals – Al Kooper
Trombone – Dick Halligan
Trumpet, Flugelhorn [Fluegelhorn] – Jerry Weiss, Randy Brecker
Viola – Manny Vardi, Harold Coletta
Violin – Anahid Ajemian, Manny Green, Gene Orloff, Harry Katzman, Harry Lookofsky, Julie Held, Leon Kruczek, Paul Gershman
Mr._Lovegrove
Inventar
#15 erstellt: 07. Sep 2020, 18:01
Womit du uns zu den von der Rockseite kommenden Hauptprotagonisten des Jazzrock gebracht hast. Ich kann mich daran erinnern, dass die Gruppe sogar im Schulunterricht erwähnt wurde, als es um Jazz ging (der bei mir auf der Schule zumindest auf eine äußerst gruselige Art und Weise behandelt wurde).
Das erste Album ist allerdings noch deutlich durch Al Kooper geprägt und bietet gar nicht mal so viel Jazz, sondern eher eine bläserdurchtränkte Rockrevue mit Blues und R´n´B Einflüssen.
Erst mit den Weggang Koopers (und nebenbei Randy Breckers) und der Verpflichtung des Sängers David Clayton- Thomas fand die Band zum Jazzrock. Das zweite (und extrem erfolgreiche) Album, in den USA noch im November 1968 erschienen, manfestierte den Ruf der Band als Jazzrockgruppe.
jpc.de
Blood, Sweat & Tears
s/t, 1968

Wobei der Grundstock der Musik immer noch den Mechanismen der Rockmusik und deren Songstrukturen unterworfen war, die Band aber geschickt verschiedene Jazzelemente und Harmonien aus Blues und improvisierter Musik einwob. Längere instrumentale Passagen, swingende Bläserarrangements und Rhythmen und einige Soli verfestigten diese Art der Fusion. Der Jazzrock hatte mit diesem Album eine wichtige Hürde übersprungen. Auch wenn viele Jazzer, die sich der Fusion zuwandten, von anderen Seiten beeinflußt wurden, so ist der Wert dieser Platte nicht zu unterschätzen.

Und ganz nebenbei enthält das Album, dass sich ca. 3,8 Millionen Mal verkauft hat, mit "Spnning Wheel" den größten Hit der Band und einen Klassiker dieses Jahrzehnts.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 07. Sep 2020, 19:07 bearbeitet]
Mr._Lovegrove
Inventar
#16 erstellt: 09. Sep 2020, 17:24
Ein weiterer Musiker, der 1968 schon auf erstaunlich homogene Weise Jazz und Rock kombiniert hat, war Steve Marcus. Sein Debütalbum ist eine sher zugängliche und dennoch raffinierte Platte, die man heute zwar eher in die poppige Instrumentalecke stecken würde, auf der der Saxophonist aber recht direkt zur Sache kommt.
R-2772440-1300365277.jpeg
Steve Marcus
Tomorrow Never Knows, 1968

Bass – Chris Hills
Design – Haig Adishian
Drums – Bob Moses
Guitar – Larry Coryell
Piano – Mike Nock
Producer – Herbie Mann
Soprano Saxophone, Tenor Saxophone, Leader – Steve Marcus

Marcus, dem 3 Jahre später die einmalige Ehre zu Teil wurde, mit "Something" die allererste kommerzielle Digitalaufnahme der Geschichte machen zu dürfen, hatte für sein Debüt recht bekannte Pop/Rocksongs der Ära umarrangiert und daraus teils noch recht geradlinige, aber teils auch schon recht frei- lärmende Instrumentals gemacht. Die Besetzung zeigt auch auf, wohin es geht. Auch hier ist Larry Coryell zu hören und ist somit an einer weiteren Pioniertat der frühen Fusion prägend beteiligt.
Erstaunlicherweise klngt das Album mit jedem fortschreitenden Titel jazziger, experimenteller, härter, freier und weniger poppig. Bis die Gruppe mit einem psychedelischen Fusionarrangement des Titelsongs (einer Beatles Nummer) die Platte in einen finalen Höhepunkt leitet und Chris Hills am Tieftöner die Solisten über eine einzige Bassnote improvisieren lässt und ihnen unglaubliche Freiräume gibt, die Marcus, Nock und Coryell gnadenlos nutzen.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 09. Sep 2020, 17:24 bearbeitet]
Mr._Lovegrove
Inventar
#17 erstellt: 13. Sep 2020, 08:23
Wie schon erwähnt, war für Miles Davis das Jahr 1968 ein aufregendes und er selber sorgte dafür, dass es noch aufregender wurde. Denn glech im Januar 1968 ging Davis nicht nur ein erstes Mal für das später im Jahr erscheinende Album "Miles in the Sky" ins Studio, sondern es erschien mit "Nefertiti" das letztes vollakustische Album seiner Laufbahn und somit der Abschluß des zweiten Quintetts in seiner puren und reinen Form. Aufgenommen in Juni und Juli 1967 ist von Fusion, Jazzrock und experimentellen Klängen hier noch nichts zu hören. Und doch schwebt die Loslösung von Konventionen und dem Korsett des klassischen Jazz durchaus über dieser Musik und Davis wähnt sich hier schon geistig einen Schritt weiter. Auch das Cover mit Miles Davis und seinem suchenden Blick darauf zeugt von einem Umschwung.
Doch kommen wir zum zweiten Release von Davis im Jahre 1968 und seiner Trennung vom akustischen Jazzkontext:
jpc.de
Miles Davis
Miles In The Sky, 1968

Bass – Ron Carter
Drums – Tony Williams
Piano, Electric Piano – Herbie Hancock
Tenor Saxophone – Wayne Shorter
Trumpet – Miles Davis
Guitar (on "Paraphernalia") - George Benson

Schon das psychedelisch anmutende Cover von Victor Atkins prophezeit eine Wandlung in Miles Davis Musik. Zunächst sind da die damals durchaus neuen Klänge des E-Pianos, das erst drei Jahre zuvor marktreif präsentiert wurde. Mit diesem Instrument veränderte sich auch, bzw. gerade im Jazz extrem viel. Der Klang des Instrumentes und seine Variatiosnmöglichkeiten ermöglichten ganz neue Dimensionen und das Fender Rhodes wurde neben der E-Gitarre der essentielle Bestandteil der anstehenden Revolution im Jazz.
Über Nacht berühmt wurde des Klang des Rhodes durch "Mercy, mercy, mercy" von Cannonball Adderley. Das von Joe Zawinul komponierte Stück wurde ein Top-10 (Billboard Pop Charts wohlgemerkt) für Adderley und Zawinuls Einsatz auf dem E-Piano machte es somit weltberühmt.
Hancock spielt das Rhodes hier allerdings nur auf "Stuff". Das als Opener ausgewählte Stück entstammt aus den Mai- Sessions und ist ein enorme funkiges Stück, was quasi als Blaupause für die Musik angesehen werden kann, die Miles gerade ab "Bitches Brew" machen würde.
Der Rest des Albums ist konventioneller und fast rein akustisch gehalten. George Benson gibt ein funky Gastspiel und Davis löst die Ketten der Konvention weiter auf, was wunderbar im freieren und treibenden "Black comedy" und fast noch besser im Abschlußstück "Country son" zu hören ist, auf dem Davis schon mit Dämpferklängen experimentiert, die seine darauffolgenden Alben mitbestimmen werden.

Und schon im Juni 1968 vollzog Davis einen größeren Teil der Wende hin zu elektrischen Klängen, in dem für sein nächstes Album den Flügel ganz über Bord schmiss und zudem neben Hancock Chick Corea ins Boot holte und sich so immer weiter der Fusion annäherte.
Das Album "Filles de Kilimanjaro" leutet mit seinem Release im Februar des darauffolgenden Jahres auch in diesem Thread das für den Jazzrock eminenteste Jahr 1969 ein....
Mr._Lovegrove
Inventar
#18 erstellt: 19. Sep 2020, 09:37
1969 - Die Fusionen explodieren

...doch es war erst der Anfang eines Jahres, das als das Schlüsseljahr in der Geschichte des Jazzrock beziffert werden kann. Dabei gibt sich das schon erwähnte Album von Miles Davis als konzeptionell eher noch unfertiges Experiment auf dem Weg ins Ziel:
jpc.de
Miles Davis
Filles de Kilimanjaro

Bass – Dave Holland (tracks: A3, B2), Ron Carter (tracks: A1, A2, B1)
Drums – Tony Williams
Piano, Electric Piano – Chick Corea (tracks: A3, B2), Herbie Hancock (tracks: A1, A2, B1)
Tenor Saxophone – Wayne Shorter
Trumpet – Miles Davis

Wie an der Besetzung zu sehen, probierte Davis es nun neben den noch angestammten seines damaligen Quintetts auch mit anderen Musikern, auf die er eh schon ein Auge geworfen hatte. Er ließ Carter dabei auf den Stücken "Toute de suite" und dem Titelstück E-Bass spielen. Hollands Parts sind auf dem Kontrabass zu hören. Er weigerte sich ja bekanntlicherweise später, E-Bass zu spielen.
Das Album ist gekennzeichnet von einem Suchen und Finden und einem Ergebnis. das man getrost als Work in Progress bezeichnen kann. In sich gesehen sind die Stücke und ihr Sound zwischen den letzten Atemzügen des Contemporary Jazz und der neuen Luft des Jazzrock durchaus schlüssig, aber ist man sich als Hörer noch nicht ganz sicher, wohin der Entdecker mit der Trompete will. "Frelon Brun" klingt noch stark nach den Quintett- Sachen, allerdings schon freier und härter, während "Toute de Suite" schon ganz eindeutig in Richtung des Sounds deutet, den Davis kurze Zeit später etablieren sollte. Und in "Mademoiselle Mabry (Miss Mabry)", das seiner kurzzeitigen Ehefrau Betty Mabry gewidmet ist (die auch das psychedelisch anmutende Cover von Hiro ziert), bedient sich der Innovator des Jazz ganz offentsichtlich bei Jimi Hendrix´ "The wind cries Mary". Hendrix hatte damals großen Einfluß auf Davis und sogar eine gemeinsame Platte beider stand im Raum, die aber dann doch nicht realisiert wurde.
Das Album entstand, wie schon erwähnt, noch im Jahre 1968 und noch während es Februar 1969 erschien, ging Davis im selbigen Monat wieder ins Studio, um einen der ganz großen Meilensteine der Fusion aufzunehmen. Doch nicht nur er hatte nun festere Vorstellung, wie Jazz und Rock zusammenfinden könnten, auch andere wichtige Protagonisten und Helden der Szene sammelten Ideen und setzten sie in Platten um.

Und gerade weil 1969 das Schlüsseljahr im Jazzrock ist und viele Protagonisten sich hier zum ersten Mal daran probieren, ist die Skizzierung dieser Entwicklung anhand der Aufnahmedaten dieser Schlüsselalben in chronoligischer Reihenfolge eine enorm spannende Sache....


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 19. Sep 2020, 09:39 bearbeitet]
Mr._Lovegrove
Inventar
#19 erstellt: 19. Sep 2020, 09:44
Natürlich dürfen alle hier gerne mitmachen, deshalb hier mal die Liste der weiteren Alben, die ich mit Veröffentlichung für das 1969 in Sachen Jazzrock/Fusion notiert habe:

Dave Pike Set - Noisy Silence, Gentle Noise
Elvin Jones - Poly-Currents
Frank Zappa - Hot Rats
Herbie Hancock - Fat Albert Rotunda
Herbie Mann - Memphis Underground
Jack DeJohnette - The DeJohnette Complex
Joe Henderson - Power to the People
John McLaughlin - Extrapolation
Larry Coryell - Coryell
Larry Coryell - Lady Coryell
Miles Davis - In a Silent Way
Steve Marcus - Count´s Rock Band
Terumasa Hino Quintet - Hi-Nology
Wayne Shorter - Schizophrenia
Wayne Shorter - Super Nova

"Bitches Brew" ist natürlich auch im Jahre 1969 entstanden, fand seine Veröffentlichung aber erst 1970, weshalb es hier nicht gelistet ist.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 19. Sep 2020, 09:46 bearbeitet]
Gomphus_sp.
Inventar
#20 erstellt: 19. Sep 2020, 19:05
In Deutschland bildete sich natürlich auch eine Fusion Szene in der Jazz mit Weltmusik oder Jazz mit Rock verbunden wurde. Zu nennen seien da besonders Klaus Doldinger, Volker Kriegel oder Wolfgang Dauner. Berühmte Musiker und Komponisten, die primär aus der Jazz Ecke kamen.
Einen ganz anderen Weg schlug die in Wiesbaden gegründete Band Xhol Caravan mit ihrem Album Electrip ein, das 1969 erschien.

g96.

Die Band, die zwei Jahre zuvor noch unter dem Namen Soul Caravan unterwegs war und Soul und Funk mit einer gewissen "Krautrock Note" spielte,
löste sich auf, als der US Amerikansche Sänger Ronnie Swinson zurück in die USA ging. Ronnie Swinson nahm wohl den Soul mit in die USA, denn die Band nannte sich nun Xhol Caravan und spielte eine Mischung aus Kraut, Psychedelic und besonders Jazz Rock.
Das Album Electrip, dessen Originalpressungen heute rar und teuer sind und von dem ich eine sehr gute Pressung aus dem Bereich Reissue / Unofficial Release besitze fängt dann auch gemäß dem Krautrock Motto "Weg mit der alten Scheiße, es lebe die neue Rockmusik" mit einer Klospülung an, scheinbar symbolisch dafür, das der Dreck und Mief der Vergangenheit weggespült wird. Sozusagen eine politische Aussage. Nicht politisch waren die "Spezials", die sicherlich vor und während der Auftritte geraucht wurden, wenn die "psychedelisch Jazz Rock geschwängerte Underground Musik" zelebriert wurde.
Mitwirkende auf der Platte waren: Bass ~ Klaus Briest, Drums ~ Skip Van Wyck, Flute, Soprano und Alto Saxophone ~ Hansi Fischer, Noises [Kloabzug] ~ Peter Meisel, Organ, Electric Piano, Noises [Plastikgesäuse] ~ Öcki Brevern und Tenor Saxophone ~ Tim Belbe
Zumeist wurden die Instrumente noch elektronisch verstärkt, was folgendes Video zum Abschluss dokumentieren soll.

Xhol Caravan - All Green 1970

Zum Schluss sei noch erwähnt, das die Band sich später nur noch Xhol nannte und das Caravan wegließ. Anscheinend wegen der Progressive Rock Band Caravan aus England.

Gruß Heiko
vampula
Stammgast
#21 erstellt: 19. Sep 2020, 20:24
sauber hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm.
arnaoutchot
Moderator
#22 erstellt: 23. Sep 2020, 19:38

Gomphus_sp. (Beitrag #20) schrieb:
In Deutschland bildete sich natürlich auch eine Fusion Szene in der Jazz mit Weltmusik oder Jazz mit Rock verbunden wurde. Zu nennen seien da besonders Klaus Doldinger, Volker Kriegel oder Wolfgang Dauner.


Ja, absolut. Das Dave Pike Set hat 1969 sogar zwei Platten an den Start gebracht: Zuerst Noisy Silence - Gentle Noise, dann Four Reasons, beide im MPS Studio aufgenommen und auf dem Label veröffentlicht. Besetzung ist bei beiden gleich, Pike (vib), Volker Kriegel (g), Hans Rettenbacher (b), Peter Baumeister (dr). Augenfälliger kann der Bezug zur damaligen Rockmusik nicht sein, man lese nur die Titel der Tracks. Auf der Noisy Silence bringt Kriegel Mother People von Zappa als Stück ein, ansonsten viel Beatles & Sitar. Hat mir schon immer gefallen.

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andreas3
Inventar
#23 erstellt: 23. Sep 2020, 22:13
arnaoutchot schrieb:


Dave Pike Set ... Mother People


Da gibts noch eine Live- Aufnahme, die kann ich aber erst 1971 einbringen. Aber wie von Mr._Lovegrove bereits erwähnt läuft gerade:

extrapolation

extrapolation2

John Mclaughlin - Extrapolation

Gemeinsam mir John Surman / sax, Brian Odges / bass und Tony Oxley / drums hat Gitarrist John McLaughlin hiermit einerseits eine klassische Jazzaufnahme, andererseits aber bereits eine Vorausschau auf sein Mahavishnu Orchestra veröffentlicht. Ähnlich wie Davis auf den oben erwähnten 69er Aufnahmen hört man in den Jazztönen den Aufbruch zu neuen Ufern, exemplarisch in meinem Favourit Binky´s Beam (B2). Extrapolation gibts in zwei verschiedenen Covers, die Musik ist die Gleiche..

Ebenfalls zu neuen Ufern bewegte sich Don Cherry. Mit dem Rock bändelte er erst einige Jahre später an, aber er fusionierte auf seine Weise mit der türkischen Folklore:

Ankara

Don Cherry - Live Ankara

Gemeinsam mit türkischen Musikern zelebriert er hier ein Fest der Völkerverständigung: Eigene Stücke sowie von Ornette Coleman, Pharoah Sanders und Leon Thomas wechseln sich ab mit traditionellen türkischen Musikstücken, die von Maffy Falay gesammelt und für Jazzband arrangiert wurden. Was Cherry / trumpet, piano, vocal, flute, Selcuk Sun / bass, Okay Temiz / drums und Irfan Sümer / tenor sax, percussion hier abfeiern reisst noch heute mit.
Mr._Lovegrove
Inventar
#24 erstellt: 24. Sep 2020, 06:09
Hier kommen ja richtig interessante Scheiben ans Tageslicht. Ich habe im Moment wenig Zeit ausführliche Postings zu schreiben und komme u.U. erst am Sonntag zur Fortsetzung. Aber das hier wird noch sehr spannend...
arnaoutchot
Moderator
#25 erstellt: 24. Sep 2020, 11:45
Die Don Cherry - Live in Ankara kenne ich gar nicht .... kommt auf die Hörliste !

Hier noch zwei Platten aus 1969, die eher vom Rock kommen, aber mE beide Bezüge zum Jazz haben, alleine schon wegen der für den Rock untypischen Bläserbesetzung. Die erste ist sehr bekannt, Chicago Transit Authority (CBS 1969). Hier war die Band noch frisch, unverbraucht und vor allem experimentierfreudig. Das hatte sich dann schon wenige Jahre später zum Mainstream-Rock-Pop verwässert. Aber Stücke wie I'm a Man oder Questions 67 & 68 sind schon starke Nummern. Und Free Form Guitar ist eine deutliche Hommage an freie Musik, sei es nun Free Rock oder Free Jazz. Ausgabenempfehlungen entweder die MFSL-SACD oder die nurmehr schwer zu findende Quadro-DVD-Audio.

Etwas weniger bekannt sind heute The Flock, ebenfalls ein Septett mit Bläsern und einem Geiger, Jerry Goodman, der tatsächlich der bekannteste Musiker der Band bleiben sollte durch seine spätere Tätigkeit beim Mahavishnu Orchestra (kommt dann hier 1971 und 1972 ). Das erste gleichnamige Album ist noch etwas unausgegoren und war auch kommerziell kein Erfolg, das zweite Album Dinosaur Swamps von 1970 gefällt mir besser. Musikalisch sind beide eine zeitgenössische Mischung aus meist instrumentalem Rock, Jazz, Blues und ein wenig Folk ... Ausgabenempfehlung die Doppel-CD Truth mit den beiden ersten Platten, da hat man alles zusammen.


R-6681432-1540090878-2187.jpeg
https://www.discogs....rity/release/6681432


R-11120078-1510224287-1322.jpeg
https://www.discogs....970/release/11120078
andreas3
Inventar
#26 erstellt: 24. Sep 2020, 13:11
arnaoutchot schrieb:


Die Don Cherry - Live in Ankara kenne ich gar nicht .... kommt auf die Hörliste !


Dann bitte nicht über die Klangqualität erschrecken: Das Konzert in der U.S. Botschaft in Ankara ist ein Zeitdokument



Stilistisch eher Free / Avantgarde, aber soundmäßig durch den Einsatz extrem verzerrter E- Gitarrentöne eine Annäherung an den Rock:

esoteric circle

Jan Garbarek with Terje Rypdal - Esoteric Circle
Rec Oslo 1969

Garbarek hat hier sein bestehendes Trio (Jon Christensen / drums und Arild Andersen / bass) um Terje Rypdal erweitert, der auf aufregende Weise seine Gitarrenklänge in den Jazz brachte. Garbarek und Rypdal spielten zu der Zeit mit George Russel, der an neuen Konzepten des Jazz arbeitete und auch diese Aufnahme produzierte.
Mr._Lovegrove
Inventar
#27 erstellt: 27. Sep 2020, 15:26
Ich habe mal die von mir notierten Releases des Jahre 1969 in Bezug auf Fusion/Jazzrock nach Aufnahmedatum sortiert:

Miles Davis Filles de Kilimanjaro 19.06/24.09.1968
Jack DeJohnette The DeJohnette Complex 26./27.12.1968
John McLaughlin Extrapolation 18.01.1969
Dave Pike Set Noisy Silence - Gentle Noise 21.01.1969
Miles Davis In a Silent Way 02.02.1969
Joe Henderson Power to the People 23./29.05.1969
Wayne Shorter Super Nova 20.08./02.09.1969
Frank Zappa Hot Rats 08. bis 09.1969
Herbie Hancock Fat Albert Rotunda 10.bis 12.1969
Tootie Heath Kawaida 11.12.1969
Larry Coryell Coryell 1969
Steve Marcus Count´s Rock Band 1969

Da gibt es sicher noch mehr Platten und einige wurden hier ja auch schon genannt. Die Aufnahmedichte zur Jahreswende und zu Beginn des Jahres 1969 ist hier aber durchaus auffällig. Und da wurden in der Tat einiger der ganz großen frühen Meilensteine des Genres aufs Band gebracht.
arnaoutchot
Moderator
#28 erstellt: 27. Sep 2020, 16:06
Zu Miles Davis möchte ich gar nicht viel hinzufügen, das haben wir ja in anderen Jazz-Threads schon zur Genüge ausgebreitet. Ich verweise nochmals gerne auf diese kurze Übersicht, in der ich vor einigen Jahren die wesentlichen Platten von MD chronologisch eingeordnet habe. Dazu stehe ich noch immer. Auf die Zeit nach Bitches Brew werden wir dann ja sicherlich noch kommen.

Interessanterweise deckt die Liste oben schon wieder Lücken bei mir auf, ich kann mich nicht erinnern, Hendersons Power to the People oder Coryells erste gleichnamige Platte schon mal gehört zu haben. Den DeJohnette Complex habe ich, aber auch nicht mehr wirklich im Ohr ... also wieder nacharbeiten ...
Mr._Lovegrove
Inventar
#29 erstellt: 27. Sep 2020, 16:27
Und so schnappe ich mir gleich mal den wichtigsten Drummer der frühen Jazzrockgeschichte (und überhaupt den wichtigsten Drummer des Jazz nach 1968), Jack De Johnette. Er nahm zwischen den Feiertagen des Jahresendes 1968 sein Debütalbum unter eigenem Namen auf und setzte damit gleichzeitig einen frühen und von Pioniergeist durchzogenen Markstein der Experimentierphase und Protofusion
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Jack De Johnette
The De Johnette Complex, 1969

Bass – Eddie Gomez, Miroslav Vitous
Drums, Melodica – Jack De Johnette
Drums, Percussion - Roy Haynes
Electric Piano, Piano – Stanley Cowell
Flute – Bennie Maupin
Tenor Saxophone – Bennie Maupin

Mal abgesehen davon, dass De Johnette hier auf ein paar Stücken in der Tat die als Kinderunstrument verschrieene Melodica spielt, ist diese Platte noch kein wahrer Jazzrock. Und doch ist die Platte mehr als eine Erwähnung wert, denn ihre Besetzung besteht fast auschließlich aus Musikern, die nur kurze Zeit später auf den großen Meilensteinen des frühen Jazzrocks zu finden waren.
De Johnette und seine Mannen befinden sich hier mit einem Bein noch in dem sich schon verabschiedenden Contemporary Jazz seiner Zeit und das andere tippen sie mit dem großen Zeh voran schon in die sich gerade in der Mischung befindlichen Brühe namens Fusion. Namentlich passiert dies im pulsierenden Proto- Fusionstück "Mirror Image", in dem De Johnette rockig voranschreitet und gerade Stanley Cowell am E-Piano wunderbar mitzieht. Vitous durchzieht diesen Puls mit seinem damals schon typischen düsteren Kontrabasslinien.
Nur ein etwas mehr als ein halbes Jahr später (Im August 1969) badeten De Johnette und Bennie Maupin ja bekanntlicherweise mit dem ganzen Körper in dem Gebräu, das 1970 zwar erst in die Läden kam, das aber dann zum Umsturz in der Jazzwelt führte und auch die Rockwelt beeinflußte - "Bitches Brew"!
andreas3
Inventar
#30 erstellt: 27. Sep 2020, 17:12
@ Mr._Lovegrove:

Michael, nachdem ich mir deinen Anfangspost noch mal zu Gemüte geführt habe stellt sich der Gedanke ein, dass meine Nennung von Cherry´s Live Ankara wohl doch etwas daneben lag. Zumindest mit Jazzrock, um den es hier ja gehen soll, hat das wenig zu tun, ich hatte da den (weiter gefassten) Begriff der Fusion im Sinn, der Jazz fusionierte bekanntlich damals in viele Richtungen, hier eben mit der türkischen Musik. Wollen wir sowas miteinbeziehen?

Grüße!
andreas3
Inventar
#31 erstellt: 27. Sep 2020, 20:52
Da ich in der Provinz lebte und recht jung war, kam sie mit ein paar Jährchen Verspätung bei uns an, hinterlies aber einen bleibenden Eindruck und stand hoch im Kurs:

hot rats

Frank Zappa - Hot Rats

Eine der Aufnahmen die imho jeder kennen sollte der sich auf Jazzrock einlässt. Das war wirklich ein Hammer..
arnaoutchot
Moderator
#32 erstellt: 27. Sep 2020, 21:05

andreas3 (Beitrag #31) schrieb:
Eine der Aufnahmen die imho jeder kennen sollte der sich auf Jazzrock einlässt. Das war wirklich ein Hammer.. :X


Da gibt es nichts zu widersprechen ! Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass es im Grunde zwei Hot-Rats-Alben gibt. Zum einen die Originalversion, die auch in 2012 als remasterte CD erschien https://www.discogs.com/Frank-Zappa-Hot-Rats/release/4126237, und dann die bei manchen Stücken deutlich längere und erheblich remixte Version von Zappa aus 1987 https://www.discogs.com/Frank-Zappa-Hot-Rats/release/2428265. Erst vor kurzem wurden beide durch die kompletten 50th Anniversary Hot Rats Sessions ergänzt, bei der nun kein Auge mehr trocken bleibt (aber selbst mir als Zappa-Fan etwas zu viel des Guten war ... ) https://www.discogs....ons/release/14602695
Mr._Lovegrove
Inventar
#33 erstellt: 28. Sep 2020, 06:10

andreas3 (Beitrag #30) schrieb:
@ Mr._Lovegrove:
Michael, nachdem ich mir deinen Anfangspost noch mal zu Gemüte geführt habe stellt sich der Gedanke ein, dass meine Nennung von Cherry´s Live Ankara wohl doch etwas daneben lag. Zumindest mit Jazzrock, um den es hier ja gehen soll, hat das wenig zu tun, ich hatte da den (weiter gefassten) Begriff der Fusion im Sinn, der Jazz fusionierte bekanntlich damals in viele Richtungen, hier eben mit der türkischen Musik. Wollen wir sowas miteinbeziehen?
Grüße!

Mein Ansinnen war und ist, die Geschichte speziell des Jazzrock zu beackern. Natürlich verschwimmen auch hier Grenzen, wie wir schon gesehen haben, aber im Allgemeinen solle es um diese Sache gehen. Sicher werden hier demnächst einige Scheiben auch dem Jazzfunk zuzuordnen sein, aber es soll eher vereinfacht gesagt den Weg bis hinzu solchen Acts wie Weather Report, Return To Forever, Al Di Meola, und später auftretenden Musikern wie Spyro Gyra oder den Yellowjackets beschreiben. Einige Jazzacts der 60er sind hier abgebogen, andere wie Donald Byrd haben sich nach einer Entscheidungsphase eher dem Jazzfunk zugewandt. Aber das ist in meinen Augen eine ganz eigene, wenn auch mindest genauso interessante Baustelle. Jedoch möchte ich hier auf keinen Fall den Jazzpolizisten spielen. Wenn z.B. eine "Expansions" von Lonnie Liston Smith auftaucht, dann ganz sicher berechtigt. Doch der grundätzliche Faden soll der des Jazzrock sein und da wissen einige der Teilnehmer hier sicher bestens Bescheid.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 28. Sep 2020, 06:10 bearbeitet]
wilder-Denker
Stammgast
#34 erstellt: 01. Okt 2020, 21:32

arnaoutchot (Beitrag #32) schrieb:
Erst vor kurzem wurden beide durch die kompletten 50th Anniversary Hot Rats Sessions ergänzt, bei der nun kein Auge mehr trocken bleibt (aber selbst mir als Zappa-Fan etwas zu viel des Guten war ... ) https://www.discogs....ons/release/14602695


... da möchte ich gerne noch meine 2cent dazugeben. Alle Zappa, natürlich auch Hot Rats (Originalausgabe), sowie alles(!) andere von Zappa, bis zu Sheik Yerbouti / Joe`s Garage intensiv gelauscht / studiert, dann hatte ich irgendwie genug. ABER, so gab mir gerade im nachinein die Hot Rats Sessions nochmal die volle Bestätigung und Freude an Zappas Werk ... auch wenn 6 CDs eine Menge Stoff sind, so sind diese für mich - dem Original leicht überdrüssig - eine Offenbarung, der ich komplett unterliege und dahinschmelze, m.E. ein ganz wichtiges Dokument…


andreas3
Inventar
#35 erstellt: 01. Okt 2020, 21:44
Sicherlich ein Highlight und ein entscheidender Impuls für die Jazzwelt:

In A Silent Way

Miles Davis - In A Silent Way
Columbia 1969

Ein Paukenschlag in verschiedener Hinsicht: Ich hörte sie erst in den siebzigern zum ersten Mal, und sie war anders: Weder Rock, noch Jazz, sondern entrückt, entschleunigt, um dann im Verlauf bereits vieles vorauszunehmen, was später im Jazzrock stilistische Bedeutung erlangte. Verzicht aufs Saxophon, statt dessen John McLaughlin an der E- Gitarre sowie drei Keyboarder: Herbie Hancock, Chick Corea, Joe Zawinul, alle drei am E-piano, wobei Zawinul auch Orgel spielt. Dave Holland spielt den Bass, und Tony Williams trommelt. Von der Musik geht immer noch Magie aus..

Grüße!
Mr._Lovegrove
Inventar
#36 erstellt: 03. Okt 2020, 08:08
"In A Silent Way" war, neben einer nahezu hypnotischen Platte, auch die erste Fusionaufnahme, die eine klare Linie aufzeigte. Davis schöpfte hier aus seinen Erfahrungen mit Modalität und harmonieloser Komposition und nutzte diese, um seine Vision einer Fusion erstmals ganz klar und koheränt zu zeigen.

Ein anderer Musiker, der sich Ende der 60er weg vom akustischen Jazz hin zu fusionierten Klängen begab, war Joe Henderson. Er, der noch Mitte der 60er einer der Könige des späten Hard Bop war, wendete sich mit "Power to the People" zu einer sozio- politisch durchzogenen Musik, die seine Gesinnung als Mann der Black Power schon sehr klar aufzeigte.
PowertothePeople
Joe Henderson
Power To The People, 1969

Bass- E-Bass – Ron Carter
Drums – Jack De Johnette
Electric Piano, Piano – Herbie Hancock
Tenor Saxophone – Joe Henderson
Trumpet – Mike Lawrence

Der Tenorsaxophonist spielt hier in einer A+ Besetzung um die damaligen Fusionpioniere Hancock und De Johnette eines seiner drei besten Alben ein. Seine Idee von Verschmelzung gerade auch was die im Jazz damals recht jungen Instrumente E-Bass und E-Piano angeht, ist allerdings gänzlich anders gelagert, als die von Miles Davis. Henderson nutzt die neuen Sounds eher als massive Vertiefung seiner Aussagen und Erzählungen. Und gerade Hancock rezipiert Hendersons Vorstellungen grandios und erschafft hier eine klangliche und musikalische Spektrumserweiterung von epochalem Ausmaß. Dieses Album geht von vielen Seiten extrem in die Tiefe, schürft Emotionen empor, zieht den Hörer in einen selten vernommenen Bann und erschafft nebenbei einen ganz neuen Joe Henderson, der im folgenden Jahrzehnt den politischen Jazz wie kaum ein zweiter prägen würde und dessen Sound sich auf faszinierende Weise massiv verändern würde, nur um ab den 80ern wieder zurück zu seinen Wurzeln zu kehren.
Jazzrock ist das auch, in einigen Momenten zumindest (wie in berühmten "Afro-Centric" oder im vereinnahmenden Titeltrack), doch Henderson wurden danach eben kein klassicher Fusionmusiker oder Jazzfunker, sondern prägte später eine Fusion der Rhythmen, des Ursprünglichen mit seinen Jazzwurzeln.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 03. Okt 2020, 08:10 bearbeitet]
Mr._Lovegrove
Inventar
#37 erstellt: 04. Okt 2020, 08:40
Viele Musiker der Fusion näherten sich dem Thema von der Jazzseite aus, nur wenige kamen vom Rock. Einer der als Jazzer später bekannt wurde, aber zu Frühzeiten eher Rockmusik produzierte, war Larry Coryell. Er ist, wie schon erwähnt, einer der Urväter der Fusion, legte aber Ende der 60er trotz einiger Auftritte auf Jazzplatten seinen Schwerpunkt auf Rockmusik mit jazzigen Elementen und trieb die Fusion von dieser Warte aus voran. Und das u.a. mit dieser Pioniertat:
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Larry Coryell
Coryell, 1969

Drums – Bernard Purdie
Flute – Jim Pepper
Guitar, Vocals – Larry Coryell
Organ – Mike Mandel
Bass - Ron Carter
Bass - Chuck Rainey
Bass - Alber Stinson

Schon das Cover lässt relativ exakt auf den musikalischen Inhalt schließen und man liegt richtig mit psychedelisch- jazziger Rockmusik exakt im Zeichen ihres Entstehungsjahres. Und einige Songs wirken wahrhaftig wie aus dem Schosse des Summer of Love, aber wesentlich interessanter ist die Tatsache, dass es hier im Teilen dennoch astreinen und durchaus beinharten Jazzrock zu hören gibt, in dem Coryell, der übrigens ein nur wenig begabter Sänger ist, seine Gitarre massiv und intensiv beackert und recht visionär einen Ausblick auf das gibt, was spätere Fusionstars wie Lee Ritenour ausmachen sollte; teils verfrickelte, rhythmusbasierte Soli von virtuoser Qualität.
Diese Platte erklingt im übrigen trotz einiger Hippielemente und schon fast fas klischeehafter Ausflüge in die typische Rockmusik ihrer Zeit erstaunlich schlüssig und homogen und gehört mit ihrer gelungenen Balance aus Rock und Jazz zum festen Kanon der Fusiongeschichte.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 04. Okt 2020, 08:44 bearbeitet]
andreas3
Inventar
#38 erstellt: 06. Okt 2020, 23:04
Da diese Scheibe gerade im Player läuft und mein Herz erfreut, möchte ich mal quasi dazwischengrätschen: Einerseits ein Nachtrag (aufgenommen 1967 / 68), andererseits ein Vorgriff (erschienen 1976). Aber da der Thread neben sammlerischen auch musikhistorische Dimensionen abdecken soll, gehört sie doch an den Anfang und ergänzt die Beiträge #17,18,35, bei denen es um den Übergang ging:

water babies
Miles Davis - Water Babies
Columbia 1976, rec 1967/68

Die Veröffentlichung besteht zur Hälfe aus Aufnahmen aus Juni 1967 anlässlich Nefertiti, dem Höhepunkt des Quintetts mit Wayne Shorter, sax, Herbie Hancock, piano, Ron Carter, bass und Tony Williams, drums. Wenn ich das höre, kann ich verstehen, dass die Auflösung dieses Quintetts damals bedauert wurde.
Die andere Hälfte entstand im November 1968 während der Aufnahmen zu Filles de Kilimanjaro, mit Wayne Shorter, sax, Herbie Hancock, e-piano ergänzt durch Chick Corea, e-piano, Dave Holland, bass und Tony Williams am Schlagzeug.
Und diese Nachlese ist keineswegs zweite Wahl, klanglich wie musikalisch imho ein herausragendes Album in Miles´ Werk.
Grüße!
andreas3
Inventar
#39 erstellt: 11. Okt 2020, 21:11
Und noch ein interessantes Puzzlestück zur Geschichte des Jazzrock:

Bereits im Dezember 1967 hat Miles Davis sein bestehendes Quintett um den Gitarristen Joe Beck erweitert, ohne dass etwas davon auf seinen Platten erschien. Erst mit den beiden Samplern Circle In The Round(1979) und Directions(1981) wurden zwei Stücke veröffentlicht, auf denen Beck eine durchaus tragende und innovative Rolle spielt, ich würde gern mehr davon hören. Das Stück Circle In The Round wirkt regelrecht hypnotisch: Beck wiederholt immer wieder die gleiche Akkordfolge, die sich mit Bass und Piano verwebt. Auf dem zweiten Water In The Pound spielt Hancock Celeste und sorgt so ebenfalls für neuartige Klänge.

Grüße!
HansFehr
Inventar
#40 erstellt: 12. Okt 2020, 16:56

andreas3 (Beitrag #39) schrieb:
um den Gitarristen Joe Beck erweitert, ohne dass etwas davon auf seinen Platten erschien.


So war es. Diese erste Gitarre war für Miles Davis nicht gut genug. Auch Benson etwas später nicht.

John McLaughlin dann schon.
andreas3
Inventar
#41 erstellt: 12. Okt 2020, 21:57
Auf den beiden oben genannten Samplern sind auch Stücke mit George Benson aus 1968 enthalten, wie auch die beiden mit Joe Beck meiner Meinung nach durchaus hörenswert. Mit McLaughlin kam der Zug dann ins Rollen!
andreas3
Inventar
#42 erstellt: 12. Okt 2020, 22:58
Und ebenfalls auf den beiden Doppel- CDs enthalten sind Stücke vom November 1968, auf denen neben Herbie Hancock auch Chick Corea und Joe Zawinul die Tasten von Flügel, Orgel und E- Pianos bedienen, mit Dave Holland am E- Bass. Zawinul durfte direkt zwei Stücke liefern: Ascend und Directions. Von Davis findet sich Splash auf der erstgenanntenCircle in the round, mit dem Duo Hancock / Corea. Spannende Geschichte..
andreas3
Inventar
#43 erstellt: 29. Okt 2020, 23:32
Hallo Michael,

wie wärs wenn wir mal mit 1970 weitermachen? Das 50th anniversary sollten wir noch in 2020 angehen!

Grüße!
Mr._Lovegrove
Inventar
#44 erstellt: 30. Okt 2020, 08:07
Sorry vom meiner Seite aus, dass es hier zur Zeit nicht weitergeht. Kam aus verschiedenen Gründen nicht dazu, mich hier weiterhin ausführlich zu äußern. Aber danke für den Anstupser, Andreas.
Ich möchte dann bis einschließlich morgen noch kurz 2-3 Platten aus der 69er Liste vorstellen (das kriege ich auch wirklich hin) und dann können wir selbstverständlich mit 1970 weitermachen.
Mr._Lovegrove
Inventar
#45 erstellt: 30. Okt 2020, 22:41
Hier noch drei höchst unterschiedliche und doch gleichermaßen pionierhafte Frühwerke der Fusion, die die Experimentierphase dieser Zeit aus je sehr eigenen Blickwinkeln betrachten:
supernova
Wayne Shorter
Supernova 1969, 1973 veröffentlicht

Bass – Miroslav Vitous
Classical Guitar – John McLaughlin, Walter Booker
Drums, Piano – Jack DeJohnette
Drums, Vibraphone – Chick Corea
Guitar – John McLaughlin, Sonny Sharrock
Percussion – Airto Moreira
Soprano Saxophone – Wayne Shorter
Vocals – Maria Booker (tracks: A3)

Shorter emanzipiert sich auf dieser leider erst später veröffentlichten Platte weitgehend von seinen Contemporary Wurzeln der 60er und begibt sich gleichzeitig in ein noch etwas nebolöses Dickicht aus noch ein wenig klassischerem Jazz (im Opener), experminetellerer Klänge mit Schwaden aus dem frühen Rockjazz und jeder Menge freierer Improvisationen. Diese Platte gehört als frühes Treffen einiger späterer Legenden des Rockjazz auf jeden Fall in den Grundkanon dieser Ära.

jpc.de
Herbie Hancock
Fat Albert Rotunda, 1969

Alto Flute, Tenor Saxophone – Joe Henderson
Alto Saxophone, Tenor Saxophone – Joe Farrell
Baritone Saxophone – Arthur Clarke
Double Bass, Bass – Buster Williams
Drums – Albert "Tootie" Heath*, Bernard Purdie
Electric Bass – Jerry Jemmott
Electric Guitar – Billy Butler, Eric Gale
Piano, Electric Piano – Herbie Hancock
Trombone – Benny Powell, Garnett Brown
Trumpet – Ernie Royal, Joe Newman
Trumpet, Flugelhorn – Johnny Coles

Diese Platte zeigte Hancock im vollen 180 Grad U-Turn zu seinen Sachen aus den früheren Jahren des Jahrzehnts. Der Pianist und Keyboarder hält sich gar nicht erst mit Vermischungsexperimenten auf, sondern serviert auf seiner ersten Fusionplatte gleich ein volles Pfund Funkjazz. Diese Platte ist nicht nur die Geburtsstunde der Mwandishi Ära, sondern die Neuerfindung des Herbie Hancock mit einem groovigen, fetten Sound, den er bis in die frühen 80er beibehalten, wenn auch immer glatter gestalten sollte.
Ich empfehle hier gleich die 3er Box mit allen Warner Bros. Alben, die zudem auch noch recht schmuck ist.


COunts Rock
Steve Marcus
Count's Rock Band 1969

Accordion – Dominic Cortese
Percussion – Chris Swansen
Bass, Rhythm Guitar – Chris Hills
Drums – Bob Moses
Guitar – Larry Coryell
Piano, Harpsichord – Mike Nock
Saxophones – Steve Marcus

Wenn eine Platte, die vor 1970 aufgenommen wurde, den Begriff Rockjazz verdient hat, dann diese. Die Fusionpioniere Marcus, Coryell und Bob Moses plus famose Restband hauen einem hier astreinen und fett rockenden Jazz um die Ohren. Mal abgesehen vom typische Klang dieser Zeit nimmt die Scheibe den eher für die später kommenden Jahre reservierten Frickel- Jazzrock vorweg. Coryells Soli klingen gerade in den rockigen Stücke hart, punktgenau, enorm virtuos und heute noch frisch. Auch wenn nicht alle Stücke diesem Stil unterworfen sind, es eine recht obskure Version von "Scarborough Fair" und mit "Backstreet Girl" richtigen Jazz gibt, so ist dies so mit die erste Scheibe mit richtigem, straighten Jazzrock drauf.

Einige dieser Scheibe sind vor, andere wiederum nach dem August 1969 aufgenommen worden. Was in diesem Monat in New York aufs Band kam, dürfte vielen bekannt sein, auch wenn dieses Überwerk erst Anfang 1970 in die Läden kam. Aber das ist eine Geschichte, zu der jeder seinen eigenen Teil beitragen kann....


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 30. Okt 2020, 22:43 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#46 erstellt: 04. Dez 2020, 16:42
Geht es hier noch weiter ? Sollen wir mit 1970 weitermachen ? Hast Du da schon eine Liste vorbereitet, Michael ?
HansFehr
Inventar
#47 erstellt: 04. Dez 2020, 17:43
Ja gerne mit 1970 weitermachen. Da darf dann ein Album keinesfalls fehlen.

Ich fange mal mit dem Schotten Ian Carr an. Sein Trompeten- und Flügelhornspiel gefällt mir ausgezeichnet. Und auch seine Biografie ein paar Jahre später über Miles Davis.

Nucleus - Elastic Rock




[Beitrag von HansFehr am 04. Dez 2020, 17:48 bearbeitet]
andreas3
Inventar
#48 erstellt: 04. Dez 2020, 18:33
Gute Idee hier mal weiter zu machen, wir kapern den Fred..

arnaoutchot #46 schrieb:


Hast Du da schon eine Liste vorbereitet, Michael ?


Ich fände es spannender für den Faden und die TN, wenn diese Liste wichtiger Alben am Schluss des jeweiligen Jahres erscheinen könnte.

Buddy Miles war neben seinem Express ein gefragter Drummer, spielte er doch mit Jimi Hendrix Band Of Gypsies, mit Carlos Santana Live! sowie diese hier ein:

Devotion

John McLaughlin - Devotion
Douglas / CBS 1970

John McLaughlin - guitar
Larry Young - organ, e-piano
Billy Rich - bass
Buddy Miles - drums

Hier wird ganz anders gerockt als auf allen Platten, die McLaughlin zuvor veröffentlicht hat. Ein klares Statement in Richtung Mahavishnu Orchestra.
Interessanterweise wird auf der CD (auf Neon) neben den oben genannten Musikern auch noch Jerry Goodman aufgeführt, eine Geige ist mir nie aufgefallen.
arnaoutchot
Moderator
#49 erstellt: 04. Dez 2020, 20:21
Klar, wir machen hier mal weiter. Ich denke, Michael (Mr. Lovegrove) wird nichts dagegen haben.

Ich protze mal mit der für mich wahrscheinlich wichtigsten Platte für dieses Thema und diesen Thread, und zeige meine diversen Ausgaben der Platte. Zum Inhalt schreiben muss ich glaube ich nichts. Das ist für mich der Dreh- und Angelpunkt all dessen, über das wir hier in diesem Thread reden. Die Bedeutung der Aufnahme kann man kaum unterbewerten.


Das "stachelige Biest" (Zitat Mr. Lovegrove) ist da ! Miles Davis - Bitches Brew - Sony Japan SACD Quadro-Mix 1969/2018. Auf dem Bild unten die 7'' Ausgabe. Darüber auf dem Bild die Standard-Remaster-CD, die Complete Bitches-Brew-Sessions, die japanische Stereo-SACD und die MFSL-SACD. Ich würde keine missen wollen.

IMG_5750
Mr._Lovegrove
Inventar
#50 erstellt: 05. Dez 2020, 10:50
Selbstverständlich kann der Thread gekapert werden. Das ist ja nicht mein Thread, sondern einer, den ich begonnen habe.
Ich habe eine Liste, wenn auch sicher unvollständig und nur aus meinem Fundus resultierend.

Ich habe ehrlicherweise einige Wochen kaum bis keinen Jazz (oder überhaupt Musik) gehört und glänzte dementsprechend mit Abwesenheit hier im Forum. Es gibt so Phasen, sogar bei mir.....

Aber nun dann doch mal ein paar Worte zu "Bitches Brew". Und zunächst einmal der Vollständigkeit halber die Fakten:
R-37006-1393484249-2215.jpeg
Miles Davis
Bitches Brew, 1970
Aufgenommen 19-21.08.1969

Artwork [Cover] – Mati Klarwein
Bass – Dave Holland
Bass [Fender] – Harvey Brooks
Bass Clarinet – Bennie Maupin
Design [Cover] – John Berg
Trumpet – Miles Davis
Drums – Don Alias, Jack DeJohnette, Lenny White
Electric Guitar – John McLaughlin
Electric Piano – Chick Corea, Joe Zawinul, Larry Young
Percussion – Jim Riley
Producer – Teo Macero
Soprano Saxophone – Wayne Shorter

Ich habe Mati Klarwein als Künstler des Covermotivs mal bewußt stehen gelassen, denn das Cover ist wie auf kaum einer zweiten Jazzplatte integraler Bestandteil des Gesamtkunstwerkes. Und kaum ein Cover einer anderen Jazzplatte besitzt soviel multipel gelegene Anziehungskraft, wie dieses hier. Klarweins so mystisches wie kraftvolles Gemälde muß damals in den Plattenläden eine unglaubliche Sogwirkung erziehlt haben. Und so mysteriös das Cover so mysteriös die Musik. Ihr EInfluß ist ja weit über jede Jazzgrenze hinaus bekannt und bestens dokumentiert. Sie landete in den Top 100 Alben aller Zeiten des Rolling Stone Magazin und gilt bis heute als der Nukleus des Jazzrock.
Es muß wohl auch eine zeitgeistige Angelegenheit gewesen sein, denn Davis Vision, die er über viele Jahre verfolgt hat und die hier ihren Höhepunkt erreichte, ist wohl alles andere als mainstreamig oder massentauglich. Aber in einer Zeit von Aufbruch, sozialen, ökonomischen und politischen Umwälzungen und einer unbändigen Experimentierfreude innerhalb der Musik war es genau die richtige Platte zum genau richtigen Zeitpunkt.
Dabei waren die ursprünglichen Sessions wohl eher eine Sache von Suchen und Finden. Es ist dokumentiert, dass Joe Zawinul direkt nach den Aufnahmen sagte, dass ihm die Musik gar nicht gefallen hat.

"And Joe Zawinul remembered: “After the Bitches Brew sessions Miles took me home in a limousine, and I didn’t say anything. He asked, ‘Why don’t you say anything?’ and I said, ‘Because I didn’t like what we just recorded.’ We had played a lot of stuff that was OK, but I was not impressed. Several months later I walked into the CBS offices, and through some closed doors I heard some enormous, fantastic music. I asked ‘Wow, what is that?’ and a secretary replied, ‘Well, Mr. Zawinul, that’s you playing with Miles on Bitches Brew!’”

Diese kleine Geschichte dokumentiert aber zeitgleich das Genietum von Miles Davis und Produzent Teo Macero, die zusammen im Studio per aufwendigem Schnitt aus den Originaufnahmen eine packende Melange kreiert hatten. Es wurde Material neu zusammengeschnitten, Wiederholungen wurden eingebaut, etc. Auch in diesem Punkt wich Davis von seiner bisherigen Praxis ab, die ganze Musik in je wenigen Takes live und ohne Overdubs einzuspielen (Die Gil Evans Alben bilden da teilweise eine Ausnahme).

Und so hatte eine Revolution ihren Höhepunkt und ihren Anführer gefunden, der aber keiner sein wollte. Davis selber ging immer weiter voran; ohne Kompromisse und ohne sich an der beginnenden kommerziellen Verwertung seines Erbes zu beteiligen.

Und heute? Heute ist das Album eine Generation für Generation vererbte Legende, an der sich immer noch viele Hörer die Zähne ausbeißen. Wie ich selber immer wieder sage, es ist ein stacheliges Biest, dem man nur schwer beikommen kann. Doch hat man ersteinmal eine Stelle zum Angreifen gefunden, dann eröffnet sich eine Welt, die mit jeder akustischen Betrachtung faszinierender wird. Meine persönliche Empfehlung ist hier, sich einfach in den Groove fallen zu lassen, ihn zu spüren, dann kommen viele Dinge von selbst.

Und in Bezug auf Michaels schönes Foto noch eine Empfehlung meinerseits:
Wer das Album in bestmöglicher Qualität (zumindest gilt das für Silberlinge) hören will, greift zur japanischen Quadro- Hybrid SACD (leider ekelig teuer) oder zur MFSL (auch teuer), die beide eine fantastische Stereotonspur vom Originalmix beinhalten.
Finger weg lassen sollte man von der alten Original CD mit dem blauen Rand sowie von der immer noch aktuellen Legacy CD. Erstere klingt grauenhaft, zweitere beinhaltet einen völlig misslungenen Remix der Bänder, dessen Klangbalance und EQ einfach unanhörbar sind (wenn man im Vergleich den Originalmix kennt). So sehr ich Mark Wilder schätze, aber hier hat er einfach alles vermurkst.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 05. Dez 2020, 10:54 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#51 erstellt: 05. Dez 2020, 12:11

Mr._Lovegrove (Beitrag #50) schrieb:
Klarweins so mystisches wie kraftvolles Gemälde muß damals in den Plattenläden eine unglaubliche Sogwirkung erziehlt haben.


Michael, danke für die weitergehenden Erläuterungen. Kleine Anekdote zum Bitches-Brew-Cover: Die Sogwirkung entfaltet das Cover heute noch. Ich hab vor ein paar Wochen erst die LP mit aufgeklapptem Cover in "meinem" Plattenladen ausgestellt ... wenige Stunden später war die Platte verkauft, und zwar an einen relativ jungen Käufer, der ansonsten offensichtlich eher auf der Rock-Seite unterwegs war. Ob's ihm musikalisch gefallen hat, ist nicht überliefert ...


Hier eine weitere aus 1970 von einer britischen Band, die aus meiner Sicht nie so bekannt geworden sind, wie sie es verdient hätten: If - s/t - Island 1970. Konzeptuell wie Chicago oder Blood, Sweat & Tears eine Rock-Band mit Bläsern, am bekanntesten davon heute noch der Saxophonist Dick Morissey. Ich finde die erste If spektakulär, reinhören kann man unter dem Link unter dem Bild, Anspieltipp gleich das erste Stück I'm Reaching Out on All Sides.

R-1566743-1434726186-9415.jpeg
https://www.discogs.com/If-If/release/1566743


[Beitrag von arnaoutchot am 05. Dez 2020, 12:51 bearbeitet]
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