Ustwolskaja, Galina Iwanowna (1919-2006)

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FabianJ
Inventar
#1 erstellt: 07. Apr 2015, 13:42
Auf diese Komponistin bin ich vor ein paar Monaten durch einen CD-Testbericht in der Zeitschrift Fono Forum aufmerksam geworden. Darin wurde eine Neuveröffentlichung des Labels ECM sehr wohlwollend besprochen. Nun ist es mit den Empfehlungen in dieser Zeitschrift, ähnlich wie bei den Testberichten diverser Online-Publikationen, so, dass die den Lesern nahegelegten Alben zwar oft genau ins Schwarze treffen, aber hin und wieder sind da auch Sachen darunter, mit denen man beim besten Willen nichts anzufangen weiß. In diesem Fall war zum Glück ersteres der Fall!

Galina Ustwolskaja war mir zuvor kein Begriff und es ist die erste Komponistin, mit der ich mich ein wenig näher auseinandergesetzt habe. Wenn man für ihre Musik die Werbetrommel rühren wollte, dann würde man hervorheben, dass sie Schülerin von Schostakowitsch war und wesentlich mehr steht im deutschen Wikipedia-Artikel auch nicht über sie. Das tue ich jetzt aber mal nicht, denn ihre Musik klingt kaum je einmal nach der ihres Lehrers und sie selbst soll auch nicht viel von diesem Vergleich gehalten haben.

Ihre Musik klingt für mich recht modern und es ist wohl der geringen Verbreitung ihrer Werke zu verdanken, dass sie zu Sowjetzeiten nie des „Formalismus"-Vorwurfs ausgesetzt worden ist. In den letzten 30 Jahren sind zwar einige ihrer Werke eingespielt worden, im Falle des Klarinettentrios, der Violin- und den Klaviersonaten sogar mehrfach, bei anderen Werken sind Aufnahmen jedoch nicht oder nur sehr teuer auf dem Amazon-Marketplace erhältlich.

Galina Ustwolskaja war keine sonderlich produktive Komponistin. Erhalten sind etwa 27 Werke. Und sie betrieb einen Heidenaufwand um Werke, die sie als ihres Werkkatalogs unwürdig betrachtete, wieder „einzufangen".

Es fällt mir schwer den Stil ihrer Musik zu beschreiben. Gerade bei den ab den 50ern erschienen Werken wüsste ich bei genauerem Hinhören nichts was vergleichbar klänge. Mit ihren mittleren und späten Werken scheint es ein bisschen so zu sein wie das Spätwerk von Janáček. Es fällt mir aus ihrer Entstehungszeit eigentlich nichts ein was dem ähnlich klingen würde.

Von der Struktur her klingen viele ihrer Werke repetitiv, ohne jedoch wirklich minimalistische Musik zu sein. Ein weiteres Merkmal sind zum Teil brutale Akkorde. Wie gesagt, ich kann diese Musik nicht richtig beschreiben, aber wer sich mal ein wenig hineingehört hat, der wird eines ihrer Werke, vielleicht abgesehen von wenigen frühen Werken aus den späten 40ern, kaum je mit dem Werk eines anderen Komponisten verwechseln können.

Wer sich näher über diese Komponistin und ihre Werke informieren möchte, dem empfehle ich zum einen den englischsprachigen Wikipedia-Eintrag und zum anderen diese englischsprachige Seite. Dort erfährt man mehr zu ihren künstlerischen Ansichten sowie die von ihr empfohlenen Aufnahmen ihrer Werke.


Nun zu den CD-Empfehlungen:
Zunächst einmal sollte man sich vor dem Kauf einer CD „sicherheitshalber" erst einmal auf YouTube umhören, denn ähnlich wie beim späten Janáček werden viele mit ihrem Musikstil so gar nichts anfangen können, während andere diese Musik sehr zu schätzen lernen. Aber nun zu den CDs:

jpc.de
Werke: Violinsonate (1952) - Trio für Klarinette, Violine und Klavier (1949) - Duett für Violine und Klavier (1964)
Aufführende: Reto Bieri (Klarinette), Patricia Kopatchinskaja (Violine), Markus Hinterhäuser (Klavier)

Drei Kammermusikwerke. Das ist die CD, mit welcher ich über die Zeitschrift Fono Forum auf diese Komponistin aufmerksam wurde. Soweit ich das überhaupt beurteilen kann, sind dies sehr gelungene Aufnahmen dieser Werke. Der Klang dieses Albums ist gut und es wird auch wirklich kammermusikalisch gespielt und keiner der Aufführenden tanzt aus der Reihe oder stellt sich zu sehr in den Vordergrund.

Das Klarinettentrio gehört noch zu ihren frühen Werken, wobei ich mit „früh" keineswegs andeuten möchte, dass es nicht gehaltvoll wäre. Es dürfte sich auch um eines ihrer zugänglichsten Werke handeln. Für den Erstkontakt mit dieser Musik eignet sich dieses Werk gut. Dies gilt ebenso für die Violinsonate, welche das Album eröffnet. In dem Duett von 1964 ist Frau Ustwolskajas Personalstil schon deutlicher zu vernehmen und sie klingt dann auch kantiger.

jpc.de
Werke: Komposition Nr. 2 „Dies irae" (1972/73) - Klaviersonate Nr. 6 (1988) - Großes Duett für Violoncello und Klavier (1959)
Aufführende: Ludus Gravis (Kontrabassensemble), Laura Mancini (Holzwürfel), Fabrizio Ottaviucci (Klavier) - Leitung: Stefano Scodanibbio; Marino Formenti (Klavier), Rohan de Saram (Violoncello)

Kantig ist dann auch das richtige Wort für das diese CD eröffnende „Dies irae" für Klavier, Holzwürfel und 8 (!) Kontrabässe. Beim ersten Anhören in einer Live-Aufnahme auf Youtube hat mich das Stück eher verwirrt, aber mit der Zeit gefiel es mir immer besser. Inzwischen ist es mein Lieblingsstück von dieser Komponistin.

Noch rauer geht es in der 6ten und letzten Klaviersonate zu. Beim ersten Anhören klingt es mehr so als ob jemand wie ein Irrer wahllos auf den Tasten des Klaviers rumhämmert, aber beim wiederholten Hören merkt man, dass dies keineswegs wahllos geschieht. Inzwischen meine ich dieses Stück ein bisschen besser zu verstehen, aber restlos begeistern kann es mich nicht, zumal mich im Verlauf dieses nur wenige Minuten dauernden Stückes noch irgendein Störgeräusch irritiert. Was es ist weiß ich nicht, aber es verleidet mir die Aufnahme ein bisschen. Bei anderen Aufnahmen des Stückes treten keine Störgeräusche auf.

Das, nach Komposition Nr. 2 „Dies irae", zweite größere Werk dieses Albums ist dann wieder etwas ohrenfreundlicher und einfacher zu hören. Von diesem Stück gibt es mindestens noch 2 Aufnahmen aus Sowjetzeiten. Es soll sogar eine mit Mstislaw Rostropowitsch existieren.

jpc.de
Werke: Klaviersonaten Nr. 1-6
Interpret: Markus Hinterhäuser (Klavier)

Und schließlich noch eine Gesamtaufnahme der Klaviersonaten. Ich kenne keine Vergleichsaufnahmen, aber diese Aufnahmen wurden (neben einer weiteren Einspielung) auch von der Komponistin empfohlen. Die 6te Sonate höre ich mir auch lieber hier an.

Mit freundlichem Gruß
Fabian


[Beitrag von FabianJ am 08. Apr 2015, 10:34 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#2 erstellt: 24. Apr 2015, 12:20
Hallo Fabian,

danke Dir für diese Vorstellung (auch wenn die Label von 2 der 3 CD-Tipps für mich eher als "Warnhinweis" fungieren... :D).

Grüße
Frank
FabianJ
Inventar
#3 erstellt: 24. Apr 2015, 23:19
Falls es nur das Label ist: Bei Philips erschien auch mal eine CD mit Werken von ihr!

Sicherlich ist das meiste mir bislang Bekannte von dieser Komponistin nicht gerade Easy Listening-Musik, aber z. B. das Klarinettentrio fand ich jetzt nicht so furchtbar schwer verdaulich. Auch die „härteren Sachen" wie die Dies Irae-Komposition sind für mich oftmals, zumindest nachdem ich sie ein paar Male hörte, reizvolle Werke. Dass mit dieser Musik vielleicht nicht jeder etwas anfangen kann, war mir auch klar.

Wie so häufig, so ist auch hier YouTube eine gute erste Anlaufstelle für Neugierige. Zum Einstieg eignen sich meiner Ansicht nach z. B. das besagte Klarinettentrio, die frühen Klaviersonaten oder das Duett für Cello und Klavier.

Mit freundlichem Gruß
Fabian


[Beitrag von FabianJ am 24. Apr 2015, 23:21 bearbeitet]
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