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Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 10+A -A |
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Autor |
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Thomas228
Stammgast |
#1 erstellt: 29. Aug 2007, 23:07 | |
1. Geschichtlicher, biographischer Hintergrund Eigentlich war alles gut. Das erste Scherbengericht („Chaos statt Musik“ ) lag lange zurück und Schostakowitsch hatte sich seine herausragende Stellung zurückerobert. Mit der Leningrader Sinfonie war er zum verdienten Volkskünstler geworden und hatte er für seine Werke verschiedenste Auszeichnungen erhalten (u.a.: 1942: Stalinpreis I. Klasse für die Symphonie Nr. 7, 1946: Stalinpreis II. Klasse für das Klaviertrio, Leninorden, 1947: Volkskünstler der RSFR). Dann jedoch, 1948, wurde Schostakowitsch der Boden unter den Füßen weggezogen. Am 20.02.1948 beschloss das ZK der KPdSU (zitiert nach Gojowy: „Schostakowitsch“, S. 75 f.): „Schon im Jahre 1036 wurden im Zusammenhang mit der Oper Die Lady Macbeth von Mzensk in der Prawda die formalistischen, volksfremden Verzerrungen im Werke Schostakowitschs einer scharfen Kritik unterzogen und die Gefahr und Schädlichkeit dieser Richtung für die Sowjetmusik enthüllt…Ungeachtet dieser Warnungen und entgegen diesen Weisungen… traten keinerlei Veränderungen in der sowjetischen Musik ein… Besonders schlecht steht es um das sinfonische und um das Opernschaffen. Es handelt sich dabei um Komponisten, die die formalistische, volksfremde Richtung weiter aufrechterhalten. Ihren stärksten Ausdruck fand diese Richtung in den Werken von Komponisten wie Gen. Schostakowitsch, Prokofjew, Chatschaturjan, Popow, Mjaskowski und anderen, in deren Werken formalistische Verzerrungen und antidemokratische Tendenzen, die dem Sowjetvolk und seinem künstlerischen Geschmack fremd sind, besonders anschaulich vertreten sind… Diese Musik hat ihren Geist vollständig der zeitgemäßen, übermodernen bürgerlichen Musik Europas und Amerikas überantwortet, die die Altersschwäche der bürgerlichen Kultur widerspiegelt… Die formalistische Richtung in der Sowjetmusik erzeugte bei einem Teil der Komponisten eine einseitige Begeisterung für schwierige Formen der instrumentalen, sinfonischen textlosen Musik und eine geringschätzige Einstellung zu Musikgattungen wie Oper, Chormusik, volkstümliche Musik für kleinere Orchester, für Volksinstrumente, Gesangsensembles usw.“ Es folgte ein Komponistenkongress, auf dem die Vorgabe umgesetzt wurde. Chrennikow fiel zu Schostakowitsch u. a. ein (abermals zitiert nach Gojowy, S. 77): „Eine eigentümliche Chiffriertheit und Abstraktheit der musikalischen Sprache verbirgt oftmals im Hintergrund Gestalten und Emotionen, die der sowjetischen realistischen Kunst fremd sind: expressionistische Übertreibung, Nervosität, eine Hinwendung zur Welt der degenerierten, abstoßenden pathologischen Erscheinungen.“ Die Angriffe setzten sich fort. Schostakowitschs Werke wurden faktisch mit einem Aufführungsverbot belegt (mit wenigen Ausnahmen). Er verlor seine Lehrämter, geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Seine Frau musste wieder arbeiten. Galina Wischnewskaja schildert die damaligen Vorgänge in ihrer Biographie („Galina“ ) wie folgt (S. 214 f.): „Im edlen Wettstreit, die Musiker mit Dreck zu bewerfen, bestieg ein Maulheld nach dem andern die Rednertribüne. Und weil es in einem Ein Parteien-System nach solchen Attacken keine Überlebenschancen für den Betroffenen gibt, ist alles, was Schostakowitsch und Prokofjew je geschaffen hatten, an einem Tag zerstört worden. An wen hätten sie sich wenden können – eine Opposition existierte ja nicht. Gewiss gibt es manche, die sich abseits halten und an der Schlägerei nicht teilnehmen, doch kommen auch sie dem Opfer nicht zu Hilfe. Wohin also soll einer gehen? Zur Presse? Die ist fest in den Händen der Partei. Und sollte ein einzelner sich entschließen, ihm beizuspringen, wären ihm von da aan sämtliche Türen zu den Regierungsbüros verschlossen. Auch ein Versuch des Opfers, sich durch Plakatanschläge an die Öffentlichkeit zu wenden, wäre zum Scheitern verurteilt, er zöge seine sofortige Verhaftung nach sich. Ebenso sinnlos wäre es, sich bei einer Versammlung zu Wort zu melden: die organisierte Mehrheit brächten den Redner schnell zum Schweigen. Schostakowitsch saß in jener Februar-Versammlung, in deren Gedränge keine Stecknadel mehr Platz gefunden hätte, allein in einer leeren Sitzreihe. Das ist bei uns so üblich: Niemand setzt sich neben das Opfer – wie bei einer öffentlichen Hinrichtung. Und das war eine. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie dich bei einer Hinrichtung umbringen, hier aber gnädig mit dir verfahren. Sie lassen dich leben. Für diese Gnade aber musst du hier sitzen bleiben, angespuckt wie du bist, und dir alles anhören, was sie dir um die Ohren hauen. Und du musst bereuen. Nicht etwa für dich allein und privat. Nein, du musst dich auf die Rednertribüne begeben und mit lauter Stimme bereuen, deine Ideale in der Öffentlichkeit verraten! Mehr noch, du musst der Partei, der Regierung und dem Genossen Stalin persönlich dafür danken.“ Zweiundvierzig Jahre war Schostakowitsch alt, als ihm das widerfuhr. Er befand sich auf der Höhe seiner schöpferischen Kunst. Was er nun gezwungenermaßen schrieb, war Filmmusik. Als Belohnung für sein Wohlverhalten erhielt Schostakowitsch 1950 den Stalinpreis I. Klasse für das Lied von den Wäldern. Man kann nur den Kopf schütteln. Werke höheren Anspruchs komponierte Schostakowitsch nur noch für die Schublade. Endlich dann, im März 1953, stirbt Stalin, über den es in Schostakowitschs Memoiren (nach Wolkow) heißt (S. 226): „Stalin war eine Spinne, die jeden, der in die Nähe ihres Netzes geriet, umbrachte.“ Die Reaktion von Schostakowitsch: Schon im Juli beginnt er seine 10. Sinfonie. Acht Jahre lang hatte er keine Sinfonie mehr geschrieben, die längste Zeit seines Lebens. Im Oktober ist Schostakowitsch fertig. Im November wird die Sinfonie Nr. 10 unter der Leitung von Mrawinski uraufgeführt. 2. Werkbeschreibung Die Sinfonie besteht aus vier Sätzen: Moderato, Allgero, Allegretto und Andante. Sie dauert insgesamt rund fünfzig Minuten. Auffällig ist ein zeitliches Missverhältnis insbesondere zwischen den ersten beiden Sätzen. Während die Sätze drei und vier rund zwölf Minuten lang sind, ist der erste rund dreiundzwanzig, der zweite nur viereinhalb Minuten lang. Die zehnte Sinfonie ist eine von denen, über die man streiten kann: Inwieweit liegt ihr ein Programm zugrunde? Der zweite Satz beinhaltet ein Porträt von Stalin, darüber dürfte vor dem Hintergrund der Memoiren nach Wolkow Einigkeit bestehen. Gibt es aber im dritten Satz ein weiteres Porträt? Sind auch die Sätze eins und vier programmatisch zu verstehen? Haben sie, hat die Sinfonie insgesamt eine außermusikalische Aussage oder Thematik? Im Booklet der Barshai-CD heißt es: „This personal motto [gemeint ist das DSCH-Motiv] has amongst other signs and the reminiscences given to Solomon Volkov at the end of Shostakovich´s life, led to a suggestion that the Tenth Symphony is a programmatic attack on the Stalin Years. Thus, the first movement represents repression and frustration, the second is a portrait of Stalin as the evil tyrant, the third shows the uncaring State whilst the fourth rather obviously represents hope growing from the dark days”. In diese Richtung denke ich auch, mit deutlichen Unterschieden bzgl. der Sätze drei und vier. Ich erlaube mir daher, die einzelnen Sätze mit schlagwortartigen, in den Klammern hinter den Satzbezeichnungen zu findenden Überschriften zu versehen. 1. Satz: Moderato (Repression und Frustration) a) Von Beginn an ist die Musik bedrückend und schwermütig. Sie wird es den gesamten Satz über bleiben. Schostakowitsch verwendet in diesem Satz ganz überwiegend dunkle Töne – mit Ausnahme der Pikkolo-Flöte am Ende – und erzeugt auf diese Weise ein negativ gefärbtes Grundgefühl, ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, der Beklemmung, der Frustration. Eröffnet wird die Sinfonie von Celli und Bässen. Das von ihnen vorgetragene erste Thema besteht aus sechs Noten, die sich unterteilen in zwei aufsteigende Phrasen aus jeweils drei Noten. Den gesamten Satz wird uns dieses Motiv begleiten. So wichtig ist es Schostakowitsch, dass es rund zwei Minuten lang durchgehend präsent ist. Ab 2:12 (die Zeitangaben beziehen sich wie stets auf die Barshai-CD) spielt die Klarinette eine überaus sangliche, schöne (Viertelnoten-) Melodie, die bei 2:37 von den Violinen übernommen und fortgeführt wird. Sodann beginnt eine langsame Steigerung. Instrumente treten hinzu. Die Intensität wächst. Bald ist der der erste Höhepunkt erreicht. Auf diesem spielen die Hörner mehrfach die Umkehrung des Anfangsmotivs (ab 4:16), d. h., die drei Noten sind nicht mehr steigend, sondern fallend. Es folgt ab 4:53 eine kurze choralartige Überleitung, nach der die Klarinetten ab 5:09 erneut ihre Weise spielen Das zweite Thema erklingt (bei 6:04) in der Soloflöte vor Pizzicato-Hintergrund. Auch hier übernehmen die Violinen die Melodie (6:40). Auch hier kommt es zu einer Steigerung, die jedoch schon im Ansatz wieder abebbt. Die Violinen reichen das Thema weiter zu den Klarinetten (bei 7:30). Das Fagott beginnt bei 8:52 die Durchführung. Meisterhaft mischt Schostakowitsch die Themen durcheinander. Motive, Motivteile erscheinen in immer neuen Zusammenhängen. Doch nie entsteht der Eindruck eines Mischmasches. Vielmehr entwickelt sich alles vollkommen natürlich, klingt alles, als gehörte es so. Innerhalb der Durchführung kommt es zum zweiten, zum großen Höhepunkt des Satzes. Auch hier spielen die Hörner an exponierter Stelle mehrfach die Umkehrung des Anfangsmotivs (ab 12:21). Immer wieder fahren die drei Töne hinab, begleitet von gewaltigen Schlägen auf das Tam-Tam und wiederholten Posaunencrescendi. Das Blech schreit (bei 13:52). Erst bei 15:28 führen die Streicher die Musik vom Erregungsgipfel hinab. Bei 15:51 (dann wieder bei 16:08) ist erneut der Überleitungschoral zu hören. Hoffnung keimt auf. Gleich, so denkt der Hörer erleichtert, werden wir wieder die Klarinetten mit ihrer schönen Melodie hören. Aber nein! Zwar ertönen die Klarinetten (bei 16:18). Doch die Musik, die sie spielen, ist nicht mehr schön, nicht mehr sanglich, sondern auf eigentümliche Weise substanzlos, fahl und schaurig. Ab 19:52 beginnt die Coda mit leisem Paukenrollen. Die Pikkolo-Flöte bringt den Satz leise zu Ende und erinnert uns an das Gewesene. Beim nochmaligen Durchlesen dieser Beschreibung habe ich den Eindruck, dass ich dem Satz nicht gerecht werde. Das liegt nicht daran, dass man noch ein drittes Thema benennen und die motivische Arbeit exakter beschreiben kann, denke ich. Vielmehr scheint mir der Eindruck, den dieser Satz hervorruft, weniger durch die einzelnen – durchaus beachtenswerten – musikalischen Vorgänge hervorgerufen zu werden, sondern wesentlich durch die verwendeten Klangfarben und den tragischen Tonfall der Musik hervorgerufen zu werden. Der Hörer wird den Satz daher gefühlsmäßig selbst dann verstehen, wenn er sich keinerlei Gedanken über einzelne Motive macht. b) Was bedeutet nun dieser erste Satz? Ich erinnere mich an ein Interview mit Kurt Sanderling. Der Interviewer fragte, ob die heutigen Hörer, die die Stalinzeit nicht kennen gelernt hätten, diesen Satz überhaupt begreifen könnten. „Nicht wirklich“, antwortete Sanderling sinngemäß. „Wir, die wir damals gelebt, die wir Zeit durchlitten haben, verstanden die Musik unmittelbar, ohne jede weitere Erklärung. Dieses Verständnis geht verloren.“ Ein solch unmittelbares Verständnis nehme ich für mich selbstredend nicht in Anspruch. Jedoch höre auch ich deutlich heraus, dass die Musik düster, dass sie beklemmend ist. Vor dem geschichtlich-biographischen Hintergrund der Sinfonie ist es daher meines Erachtens mehr als nahe liegend in der düsteren Stimmung des ersten Satzes eine Entsprechung der düsteren Zeiten des Stalinismus zu sehen. „Repression and frustration“, ja, das ist passend. Man kann noch weiter gehen und sich Gedanken über die Bedeutung des Dreitonmotivs machen. „Climb…, only to slide back“, heißt knapp es zur Beschreibung des aufsteigenden Dreitonmotivs in Blokker/Dearlings Buch über die Sinfonien („The Music of Dmitri Shostakovich, The Symphonies“ ). Und in der Tat erscheint es möglich, das aufsteigende Dreiton-Motiv als Symbol für das Bemühen des unterdrückten Individuums (Schostakowitschs?) in der Diktatur zu verstehen, standhaft zu bleiben, sich stets wieder aufzurappeln, nicht aufzugeben. Die Umkehrung des Dreitonmotivs stünde dann folgerichtig für die Niederwerfung des Individuums durch das Regime (für das Scherbengericht Schostakowitschs? Ist es nur ein Zufall, dass es zwei Scherbengerichte gab, genau wie es im ersten Satz zwei Ausbrüche gibt). Am Ende, darauf sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich hingewiesen, erklingt das Anfangsmotiv in ursprünglicher Form, rappelt sich das Individuum (Schostakowitsch?) erneut wieder auf. Interessant an dieser Interpretationsmöglichkeit ist die Erkenntnis, dass Gutes (das Aufsteigen) und Schlechtes (Das Niederwerfen) aus demselben Material bestehen (dem Dreitonmotiv). 2. Satz: Allegro (Stalin) Der zweite Satz ist ein rasendes, brutales Allegro. A short ride in a fast machine, könnte man meinen. Tatsächlich aber heißt es in den Memoiren (S. 230): „Ich konnte keine Apotheose auf Stalin schreiben, konnte es einfach nicht. Mir war klar, worauf ich mich einließ, als ich die Neunte schrieb. Stalin habe ich später dennoch in Musik gesetzt, und zwar in meiner nächsten Symphonie, in der Zehnten. Ich komponierte sie unmittelbar nach Stalins Tod. Und niemand hat bis heute erraten, worum es in dieser Symphonie geht: um Stalin und die Stalin-Ära. Der zweite Satz, ein Scherzo, ist, grob gesagt, ein musikalisches Porträt von Stalin. Natürlich enthält der Satz auch noch sehr viel anderes. Aber er basiert auf diesem Porträt.“ 3. Satz: Allegretto (Rettung aus tiefster Einsamkeit und wieder gewonnene Zuversicht) Den dritten Satz eröffnen abermals die Streicher. Ein ruhiges und beschwingtes Thema stellen sie vor (die zweiten Violinen als Kanon, 0:22). Nach einer Minute ertönt in den Klarinetten und im hohen Holz ein kecker Marsch. Eine Spielzeugkapelle, könnte man meinen. Innerhalb dieses Marsches, von dieser Kapelle wird (1:06 und 1:12) ein ganz besonderes Motiv eingeführt: DSCH (S = Es) - Schostakowitschs Initialen. Die Violinen übernehmen das Themas (1:37), werden unterbrochen durch eine Klarinettenüberleitung (2:06), die wieder zurückführt zum beschaulichen Anfangsthema (2:29). Dieses übernehmen bei 2:48 die Holzbläser, die es scheinbar ziellos fort spinnen, so dass der Hörer sich fragt, wo die Musik hin will. In diesem Moment taucht plötzlich (bei 3:11) in den Celli und Bässen erneut das DSCH auf, nicht exponiert, aber unüberhörbar. Exkurs: Wir erinnern uns. Am Anfang des ersten Satzes wird das aufsteigende Dreitonmotiv ebenfalls von den Celli und Bässen gespielt. Dort, so hatten wir überlegt, könnte das aufsteigende Dreitonmotiv für ein unterdrücktes Individuum, für Schostakowitsch stehen. Hier nun, im dritten Satz, wird uns mitgeteilt: Celli + Bässe = DSCH. Liegt es da nicht nahe, die Gleichung zu erweitern: aufsteigendes Dreitonmotiv = Celli + Bässe = DSCH? Ende des Exkurses. Nachdem das DSCH erklungen ist, nimmt die Musik gewissermaßen Anlauf, um dem folgenden Hornruf eine angemessene Bühne zu bauen. Eindringlich und gebieterisch ruft das Horn (3:32). Es gemahnt uns an… Ja, an was? Exkurs: Elmira Nazirova war neunzehn Jahre alt, als sie, eine vielversprechende aserbaidschanische Komponistin, 1947 in Schostakowitschs Komponistenklasse aufgenommen wurde. 1948, nach dem zweiten Scherbengericht, bewies sie Zivilcourage, indem sie sich in einem Moskauer Konzert in Schostakowitschs Nähe setzte, dorthin, wo die Plätze üblicherweise frei blieben. „Haben Sie keine Angst?“, fragte Schostakowitsch erstaunt. Die beiden kamen sich näher. Elmira kehrte 1948, nachdem sie geheiratet hatte, nach Baku zurück. Dort besuchte Schostakowitsch sie in den folgenden Jahren regelmäßig. Es entstand eine tiefe Freundschaft. Schostakowitsch tauschte sich mit Elmira über die jeweiligen musikalischen Projekte intensiv aus, auch über die Sinfonie Nr. 10 (eine Behauptung, die mich an der ganzen Geschichte etwas zweifeln lässt, liest man doch ansonsten überall, dass Schostakowitsch es stets vermied, über seine Musik zu reden). In der Zeit von 25.06. bis zum 30.10.1953, also während der Entstehungszeit der zehnten Sinfonie, schrieb Schostakowitsch Elmira achtzehn Briefe! Am 21.08 teilte Schostakowitsch Elmira mit, dass das Thema im dritten Satz ihren Namen tragen werde. Und tatsächlich: Betrachtet man die Noten des Hornrufs, stellt man fest: E L(a) MI R(e) A. Zufall ausgeschlossen. Einzelheiten zur Beziehung zu Elmira Nazirova findet man hier: http://www.dschjournal.com/journal17/10thsy.htm Nähere Hinweise zum Gebrauch musikalischer Signaturen hier: http://azer.com/aiwe...odic_signatures.html. Ende des zweiten Exkurses. Der Hornruf gemahnt also an… Elmira! Allerdings neige ich dazu, dieses „Elmira“ nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen. Das Horn ruft nach meinem Verständnis zurück zur Humanität, weg vom Unrecht. Es erinnert an menschliche Werte. Der Hornruf steht für das Gute, für Optimismus, für Zuversicht. Einmal wird der Hornruf wiederholt. Dann antworten die Streicher, und zwar mit einem aufsteigenden Dreitonmotiv!!! (3:55). Ich bin in Anlehnung an den oben genannten Interpretationsvorschlag versucht zu behaupten, dass Schostakowitsch mittels dieses Dreitonmotivs auf den Hornruf, auf den Optimismus Elmiras antwortet. „Ja, ich stehe wieder auf“, scheint Schostakowitsch zu antworten. Der Hornruf an dieser Stelle ist a brick in the wall, könnte man in Anlehnung an Pink Floyd formulieren. Immer wieder, unermüdlich ruft das Horn. Das Orchester erprobt verschiedene Antworten, weiß nicht wirklich mit dem Ruf umzugehen. Erst nach drei Minuten greift das Englischhorn das Anfangsthema wieder auf (6:27). Bei 7:34 ist das zweite Thema, ist der Marsch erneut zu hören, laut und lärmend. Es ist, als ob die lärmende Welt mit Macht hereinbricht (Schostakowitsch steht hier ganz in der Nachfolge Mahlers). Schostakowitsch hört auf, sich einzuigeln, öffnet die Fenster und lässt das Leben wieder an sich heran, könnte man interpretieren. Doch die Musik kippt um, verliert ihre Fröhlichkeit, wird aggressiv. Es kommt zu einem brutalen Ausbruch (8:49), zu einer Passage von größter Eindringlichkeit. Wir erinnern uns an den ersten Satz. Dort hatte auf der Höhe des Ausbruchs das Regime in Gestalt des fallenden Dreitonmotivs obsiegt. Hier aber, im dritten Satz, obsiegt Schostakowitsch. Immer wieder ertönt laut sein DSCH, immer wieder aufgefordert, angefeuert vom Elmira des Horns (9:13, 9:21). Ab 9:46 kommt die Musik zur Ruhe. Pauken sind zu hören, dann erneut, um nochmals klarzustellen, wer gewonnen hat, der Hornruf. Die Solovioline spielt erneut das Anfangsmotiv (10:14). Die Pauke verleiht der gesamten Passage Bedeutung. Erneut der Hornruf. Und schließlich, am Ende des dritten Satzes spielen Pikkolo-Flöte und Flöte noch drei Mal das Motiv Schostakowitschs: DSCH! The Uncaring State? Nein, damit hat das Alles nichts zu tun. Rettung aus tiefster Einsamkeit und wieder gewonnene Zuversicht, das ist die Thematik des dritten Satzes, wie ich ihn verstehe. 4. Satz: Andante (Das Gute siegt) Zu Beginn des Finales versetzen uns Celli und Bläser erneut in die bedrückende Stimmung des ersten Satzes. Bei 0:21 beginnt die Klarinette einen Klagegesang, den die Flöte übernimmt (1:21). Das Eingangsthema wird wiederholt (1:40). Ein Fagott spielt, angekündigt von einem Pizzicato, ein Solo (1:52). Einwürfe von Oboe und Flöte folgen. Ab 3:12 scheint sich eine neue Melodie zu entwickeln. Es geht damit aber nicht recht voran. Abrupt beginnt bei 4:08 ein Allegro voller Freude. Die Musik wird zunehmend ausgelassener und turbulenter, behält aber noch ihre fröhliche Natur. Dieser Abschnitt mag uns, zudem er auch Marschmotive beinhaltet, an den Marsch aus dem dritten Satz erinnern (auch dieser war bei 7:34 urplötzlich hereingebrochen), so wie uns der Anfang des vierten Satzes im Tonfall an den ersten Satz der Sinfonie erinnert. Die Frage liegt nahe, ob es auch eine Erinnerung an den zweiten Satz geben wird. Wir werden sogleich sehen, es wird. Die Turbulenzen werden stärker. Die Musik bekommt einen bedrohlichen Unterton, wird wilder und wilder. Aggressivität macht sich breit, Panik gar. Und dann, ganz deutlich bei 8:20, bekommt das hier erneut nach der Macht greifende Böse ein Gesicht. Es ist ein Thema aus dem zweiten Satz, das wir hören, die Fratze Stalins, die wir sehen. Doch das Gute siegt. Mit einem einzigen gewaltigen DSCH, machtvoll und lautstark vom Orchester unterstützt, bringt Schostakowitsch das Böse zum Schweigen (8:28). Eine längere ruhige Phase folgt, bis, vorbereitet ab 9:48 vom Schlagwerk, die Fröhlichkeit zurückkehrt. Die Machtverhältnisse sind geklärt. Als bei 11:19 noch einmal der zweite Satz seine Rückkehr versucht, weisen ihn die Hörner mit einem sechsfachen, sich beschleunigenden DSCH in die Schranken – die Hörner waren es auch, die das Elmira-Motiv gespielt hatten, erinnern wir uns. Sieghaft und freudvoll geht der Satz zu Ende. Zuletzt wiederholen die Pauken nochmals das sechsfache DSCH. Und Schostakowitsch ruft uns zu: „Der Sieg ist mein!“ 3. Interpretationen auf CDs Zunächst sei auf die unter diesem linkzu findende Zusammenstellung hingewiesen. Ich besitze neun Aufnahmen der Sinfonie, sehe jedoch vorerst davon ab, diese hier jeweils zu benennen und zu bewerten. Zum einen, um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen. Zum anderen, weil mir daran liegt, zunächst über das Werk selbst zu sprechen. Lasst uns also bitte die Interpretationsvergleiche zurückstellen. Zu den Fragen, ob Karajans Einspielungen gut sind, ob nur Roschdestwenski es versteht, den Schrecken des zweiten Satzes zu vermitteln und ob Mrawinskis Aufnahme trotz des nicht konkurrenzfähigen Orchesters bestehen kann, kommen wir noch früh genug. 4. Schlussbemerkung Abschließend möchte ich noch einige Gedanken zur musikgeschichtlichen Einordnung der Sinfonie in den Raum stellen. Alfred Schnitte äußert in dem Gesprächs-Buch „Über das Leben und die Musik“ auf Seite 107: „Als ich Schostakowitsch noch ziemlich kritisch gegenüberstand, unterhielt ich mich einmal mit Solmon Wolkow, der mich davon überzeugte, dass dank Schostakowitsch es zu einem Kontakt zu nicht mehr existierenden Welten und zu hingeschiedenen Menschen kommt, die darin weiterleben. So ist es tatsächlich.“ Und auf die Frage Alexander Iwaschkins, was er meine, wenn er von Hingeschiedenen spreche, ergänzt Schnittke: „Wen du willst: Sollertinski, Achmatowa – die ganze Umgebung, die im Begriff war zu gehen oder schon fortgegangen ist. Das sind die zwanziger, die dreißiger, die vierziger, die fünfziger und auch die sechziger Jahre – all das existierte bei ihm weiter – als Reflexion. Und wir spürten das. Deshalb kam es auch zu einer gewissen Entfremdung, zu einem abnehmenden Interesse an Schostakowitsch… Der Eindruck, dass man Schostakowitsch bereits müde geworden sei, war [im Jahre 1975] allgemein.“ Dieses Zitat benennt, was ich vor der Lektüre nur erfühlt hatte. Die zehnte Sinfonie ist eine zeitgeschichtliche Zäsur. Mit ihr wird das Kapitel Stalin – und das seiner Opfer – abgeschlossen. Die Aussage, dass Schostakowitsch fortan nichts mehr zu sagen hatte, wäre allerdings falsch, hat er doch auch nach der zehnten Sinfonie herausragende Werke geschaffen. Nur wird Schostakowitsch in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr als ein außerhalb des Systems Stehender, gar als Regimekritiker verstanden – ob er das wirklich war, soll hier nicht diskutiert werden. Und diese spezielle Rolle des Widerparts Stalins, die der Stimme des Leids und der Opfer der stalinistischen Schergen, die endet mit der 10. Sinfonie (mag Schostakowitsch später auch noch weiterhin regimekritisch tätig gewesen sein, man denke an Babi Yar und die jüdische Volkspoesie). Insofern, und das empfinde ich ganz deutlich, ist die zehnte Sinfonie ein Abgesang. Freundlich grüßt Thomas |
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teleton
Inventar |
#2 erstellt: 30. Aug 2007, 06:22 | |
Hallo Thomas, Deine Beiträge zu den Schostakowitsch-Sinfonien werden von Sinfonie zu Sinfonie intensiver, tiefgehender und ausfürhrlicher --- Danke - einfach Klasse. Ich habe den Beitrag diesesmal ausgedruckt um so eine bessere Text-Übersicht zu haben. Deinen ausführlichen Ausführungen gibt es kaum etwas hinzuzufügen. Doch ein Punkt klingt negativ, wenn Du bei den Satzlängen von einem "Mißverhältnis" schreibst. Ich finde gerade diese unterschiedlichen Satzlängen für das Werk sehr abwechlungsreich und auflockernd. Bei Schostakowitsch ist dieser Längenkontrast zwischen den Sätzen ja eigendlich öfter praktiziert worden - z.Bsp.auch auffallend in der Sinfonie Nr.8. Ich finde es so sehr gut. Zu den Interpretationsvergleichen kommen wir in den späteren Beiträgen. Wie Du weißt interessiert mich dieser Punkt immer brennend. |
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s.bummer
Hat sich gelöscht |
#3 erstellt: 30. Aug 2007, 18:32 | |
Tja, die 10. Thomas hat eine sehr ausführliche Beschreibung gegeben, wunderbar. Und doch ist sie vielleicht auch anders als von ihm dargestellt zu interpretieren? Klar, dass sie von Stalin und DSH handelt, aber was steckt dahinter? Ich habe mal eine sehr überzeugende Sendung von Georg Borchardt über eben diese Sinfonie im Radio gehört und auf Tonband aufgezeichnet. Der Autor kam zu folgenden Resultaten und hat diese deutlichst mit Tonbeispielen hinterlegt. (Habe das extra nochmal nachgehört, weil die Erinnerung einem sonst Streiche spielt.) Zusammenfassend: Die 10 ist eine Skizze und ein Abrechnen mit der Stalinära. Als Kunstgriff greift DS dabei zu Mussorgskys Boris Godunov, dem wahnsinnigen Zaren und nutzt dabei als Camouflage Themen aus der Oper, die er zu dieser Zeit übrigens neu instrumentiert hatte. Dabei ist es klares Ziel, dass Stalin der wahnsinnige Zar ist. Nur wer ist DS? So ist das 3. Haupthema (Flöten) des 1. Satzes sehr eng an das Thema der Musik angelehnt, die zu der Szene gehört, in der bei Boris der Wahnsinn durchbricht, als er den auf seinen Befehl ermordeten Zarewitsch Dimitrij (sic!!) zu sehen glaubt. Boris verfällt dem Wahnsinn und Schostakowitsch hält Stalin lt Volkow ja auch für wahnsinnig. Dieses Thema wird dann im 1. Satz immer neu variiert und es verfestigt sich der Eindruck eines Irrsinns. Das Thema des 2. Satzes ist dem Hauptthema aus Boris Godunov, in dem das russische Volk beschrieben wird angelehnt, nur klingt es hier völlig gehetzt, hier wird es nun das geprügelte Volk. Außerdem klingt im Blech das "Dies Irae" an. Im 3.Satz wird das Hornsolo auf den Tönen E, A und D, kurz EAD, dem DSH beiseite gestellt. Es ist die Fortsetzung des Motivs des Mönchs Pimen (Erzählung des Pimen), der derjenige ist, der um die Verbrechen Boris wußte und sie aussprach. In seiner Instrumentierung der Oper hat DS das Motiv übrigens ebenfalls an das Horn gegeben. Die Gegenüberstellung am Höhepunkt des 3. Satzes von DSCH und EAD bedeutet damit nicht mehr und weniger, dass DS die Rolle des Zeitzeugen der Stalin Ära, also die des Pimen annehmen wollte. Das EAD ist übrigens fast so oft zu hören wie das DSCH. Und im 4. Satz geht es keineswegs fröhlich zuende. Im Gegenteil: Das DSH ertönt auf dem Höhepunkt zusammen mit einem TAMTAM. Grotesk überzogen und herausgestellt also. Das Insistieren auf dem DSCH ist natürlich auch Rache an den Demütigungen, die er erlitten hat. Aber das Durchspielen der Themen der ersten drei Sätze, zeugt davon, dass die Dämonen der Vergangenheit nicht untergegangen sind, das Unheil ist nicht vorüber, es gibt keine Sicherheit, die Musik bleibt gebrochen sarkastisch. Fröhlich kann ich das nicht nennen, eher wie den Schlusssatz der 6. gespenstig überdreht. Folgt man also Georg Borchardt, so ist der Schlüssel zum Verständnis dieser Sinfonie bei Mussorgsky zu finden. Ach ja, Aufnahmen! Ich habe nur fünf und bin damit hoch zufrieden. Ach ja und dann noch die Klavierfassung mit DS persönlich. Gruß S. [Beitrag von s.bummer am 30. Aug 2007, 18:48 bearbeitet] |
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Thomas228
Stammgast |
#4 erstellt: 31. Aug 2007, 08:27 | |
Hallo Wolfgang (teleton) und s.bummer! @teleton: Zu dem "Missverhältnis" zwischen den Sätzen eins und zwei möchte ich ergänzen, dass ich das Missverhältnis nur zeitlich empfinde, nicht inhaltlich, wobei ich nicht mehr erinnere, wie ich es empfunden habe, als ich die Musik kennen lernte. Heute jedenfalls sehe ich die zeitliche Kürze des zweiten Satzes durch den nach Art einer Tsunami alles wegfegenden Inhalt kompensiert. Bezüglich dieses zeitlichen Missverhältnisses bietet sich ebenfalls eine Deutung an: Man könnte den zweiten Satz als Ursache des ersten ansehen. Das bedeutet: Das Wüten Stalins (zweiter Satz) dauert bezogen auf das jeweilige Opfer in zeitlicher Hinsicht nur kurz. In seinen Auswirkungen auf das Opfer (Schostakowitsch), dauert es hingegen sehr lang (erster Satz). @s.bummer: Du machst mir den Mund ganz wässerig. Sehr gern würde ich die Sendung hören und mich näher mit ihr auseinandersetzen. Ohne Kenntnis der Sendung und der argumentativ herangezogenen Tonbeispiele fällt mir eine Stellungnahme schwer. Online habe ich nichts gefunden, außer dem Hinweis auf: „Borchardt, Georg: Die 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch. Begleittext zur Schallplattenaufnahme DGG 413 361-2“. Es scheint sich hier um die zweite Karajan-Aufnahme zu handeln. In der in meinem Besitz befindlichen DG Originals-Ausgabe ist der Begleittext allerdings von Osbourne. Gleichwohl: Zunächst eine kleine Berichtigung. Die Instrumentation von „Boris Godunow“ durch Schostakowitsch erfolgte nicht zu der Zeit der Komposition der Zehnten, sondern rund dreizehn Jahre früher: von November 1939 bis Mai1940. Allerdings habe ich trotzdem nicht den geringsten Zweifel, dass Schostakowitsch sich bei seinen Themen aus „Boris Godunow“ bedient bzw. dass er seine Themen daran angelehnt hat. Schostakowitsch war zeitlebens ein großer Bewunderer von Mussorgski. Im zeitlichen Umfeld der zehnten Sinfonie entstanden einige Lieder, die sich in der Tonsprache stark an Mussorgski anlehnen. Die Gleichsetzung Stalins mit dem wahnsinnig werdenden Zar bereits ist bereits unabhängig von konkreten Tonbeispielen von großer Überzeugungskraft. Hörend nachvollziehen kann ich allerdings nicht, dass „das 3. Hauptthema (Flöten) des 1. Satzes sehr eng an das Thema der Musik angelehnt ist, die zu der Szene gehört, in der bei Boris der Wahnsinn durchbricht, als er den auf seinen Befehl ermordeten Zarewitsch Dimitrij (sic!!) zu sehen glaubt“. Ich habe die entsprechenden Stellen soeben angehört und konnte keine Ähnlichkeiten feststellen – was nicht heißt, dass es sie nicht gibt. Genaue Zeitangaben zum Nachvollziehen wären hilfreich. Ist das dir möglich? Auch weist Meyer in seiner Biographie darauf hin, dass das erste Thema des zweiten Satzes eine Paraphrase eines Themas aus dem Boris sei (er gibt auch ein Notenbeispiel). Du schreibst hierzu: „Das Thema des 2. Satzes ist dem Hauptthema aus Boris Godunov, in dem das russische Volk beschrieben wird angelehnt, nur klingt es hier völlig gehetzt, hier wird es nun das geprügelte Volk.“ Bezogen auf deine am Schluss des Satzes aufgestellte Behauptung stellt sich die Frage, ob sich daraus, dass Schostakowitsch das Thema aus dem Boris paraphrasiert – du schreibst ja selbst, dass das Thema in der Zehnten deutlich anders („gehetzt“ ) klingt – folgern lässt, dass Schostakowitsch in der Zehnten mit diesem Thema ebenfalls das russische Volk darstellen wollte. Meines Erachtens ist diese Folgerung nicht zwingend. Insbesondere dann nicht, wenn man die Aussage in den Memoiren nach Wolkow berücksichtigt, nach der es sich bei dem zweiten Satz um eine Porträt Stalins handelt. Deine den dritten Satz betreffenden Ausführungen zum Hornsolo finde ich besonders interessant. Ohne Partitur des Boris kann ich sie jedoch nicht nachvollziehen. Zu bedenken möchte ich geben, dass das Hornsolo aus mehr als den von dir genannten drei Tönen besteht. Die von dir wiedergegebene Folgerung („Die Gegenüberstellung am Höhepunkt des 3. Satzes von DSCH und EAD bedeutet damit nicht mehr und weniger, dass DS die Rolle des Zeitzeugen der Stalin Ära, also die des Pimen annehmen wollte. Das EAD ist übrigens fast so oft zu hören wie das DSCH“ ), finde ich doch etwas kühn. Gesetzt den Fall, dass Schostakowitsch motivisch bewusst an die Erzählung des Pimen anknüpfen wollte, wird dadurch zwar ein Bezug zu diesem Charakter und seiner Bedeutung im Boris hergestellt. Keineswegs ist jedoch daraus zu folgern, dass diese Stelle keine weitere Bedeutung mehr haben kann. Vielmehr wird meines Erachtens deutlich, dass der Hornruf mehrere außermusikalische Bedeutungsebenen besitzt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Schostakowitsch in einem Brief an Elmira Naziraova auf die Ähnlichkeit des Hornrufs aus der Zehnten mit dem Ruf des Affen im ersten Satz des „Lied von der Erde“ hinweist. Im englischen Wikipedia-Artikel (mit Notenbeispiel) ist zu lesen, dass beide Motive dieselben Noten verwenden und beide wiederholt vom Horn gespielt werden. Außerdem findet sich der Hinweis, dass der Affe in dem von Mahler vertonten Gedicht den Tod repräsentiere und auch das Elmira-Motiv zusammen mit der „Totenglocke“ des Tam Tam auftrete. Deine Einschätzung, lieber s.bummer, dass es im 4. Satz keineswegs fröhlich zuende gehe, teile ich nicht. Zunächst merke ich an, dass ich von sieghaft und freudvoll sowie von triumphal gesprochen habe, was ein Unterschied zur bloßen Fröhlichkeit ausmacht. Sodann ziehe ich aus dem erneuten Durchspielen der Themen der ersten drei Sätze nicht den Schluss, dass „die Dämonen der Vergangenheit nicht untergegangen sind, das Unheil ist nicht vorüber, es gibt keine Sicherheit, die Musik bleibt gebrochen sarkastisch“, sondern sehe darin nur eine Rückschau im Augenblick des Sieges. Sehr interessant an der von dir vorgetragenen Interpretation ist übrigens, dass sie maßgeblich das dritte Thema aus dem ersten Satz, das Flötenmotiv einbezieht. In der von mir angebotenen Interpretation spielte dieses keine Rolle, so dass ich es außen vor gelassen habe. Lieben Gruß Thomas |
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Thomas228
Stammgast |
#5 erstellt: 02. Sep 2007, 09:08 | |
Der eine oder andere mag sich mittlerweile mit der Sinfonie beschäftigt haben - was ich doch sehr hoffe. Ihn wird vielleicht interessieren, dass auf der Homepage von BBC - Radio 3 eine 43-minütige, gelungene Einführung zur zehnten Sinfonie online anhörbar ist - das Englisch ist leicht verständlich. Hier der link (nach unten scrollen; zum Anhören wird der RealPlayer benötigt). Besonders hinweisen möchte ich auf die dortigen Ausführungen zum zweiten Satz (ab 26:06). Der Sprecher stellt den engen Zusammenhang zwischen Motiven des zweiten Satzes und Motiven aus "Boris Godunow" dar. Er weist darauf hin, dass es im Boris Godunow unter anderem um die Kluft zwischen den Herrschern und dem leidenden Volk gehe, dass das von Schostakowitsch verwendete Motiv für das leidende Volk stehen könne. Bei diesem Verständnis sei es möglich, dass der zweite Satz nicht ausschließlich für Stalin stehe, sondern weitergehend für das ewige russische Problem der Kluft zwischen den Herrschenden und dem Volk. Stalin wäre bei diesem Verständnis nur der letzte Exponent dieser Herrscher, er stünde in der direkten Nachfolge der (ebenfalls) unterdrückenden Zaren. Allerdings hält der Sprecher dieses Verständnis letztlich nicht für überzeugend. Denn er hört im zweiten Satz nicht nur Schrecken, sondern auch Begeisterung heraus. Gruß Thomas |
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s.bummer
Hat sich gelöscht |
#6 erstellt: 02. Sep 2007, 10:44 | |
Tja, es scheint wohl so auszusehen, das DS uns Hörern ein paar kleine Rätselaufgaben zusätzlich unter die Oberfläche seiner Sinfonie geschmuggelt hat. Hier fällt mir auf, dass man in solche Beiträge kleine Audio Schnipsel einbauen können solte. Also Administratoren, strengt! Euch an Für viele Deutungen gibt es nicht mehr als Indizien, die sich bei genauer Betrachtungsweise manchmal wieder auflösen. Der britische Beitrag stellt auf Mussorgsky ab, wie auch Borchardt,- übrigens sein Beitrag zur Karajan Aufnahme ist auf der LP- Hülle abgedruckt-, doch beide gehen von Notenvergleichen aus, die schon teilweise arg versteckt sind. Auf der anderen Seite kann man das ELMIRA Zitat sehr schön und plausibel finden, doch ist hinter dieser Botschaft vielleicht eben doch noch in zweiter Ebene sozusagen der Mönch Pime versteckt? Und DS benutzt eine Chiffre für eine Chiffre. Wenn ich an die erste Rezension dieser Sinfonie denke, die ich in den frühen 70igern vom ansonsten hochgeschätzten Alfred Baujean in der HiFI Stereophonie gelesen habe, dann erinnere ich Aussagen wie "dumpfes Brüten", "um sich kreisen", "sinfonischer Leerlauf" und anderes mehr. Kurz: Er hielt den Komponisten für "leergeschrieben" und das Werk ebenso. Nun sind seit dem ca. 30 Jahre vergangen, die 10. ist immer noch rätselhaft und gewinnt an Bedeutung in der DS Rezeption. Ach ja, ich lasse in Sachen Aufnahmen mal ein Stück die Hosen runter. Wer meine letzten Beiträge gelesen hat, ahnt es schon: Momentan regiert Karel Ancerl in der Monoaufnahme von 1956 DGG 463-666-2. Eine unglaublich gedrängte Aufnahme (47:30), etwas schneller (2 Minuten) als Mrawinski 1976,fast 4 Minuten schneller als Karajan, 5 Minuten weniger als Barschai und ca. 10 Minuten schneller als Simon Rattle. Aber fast so flott wie DS selbst, wenn auch in den Sätzen 3 und 4 die beiden geringfügig andere Auffassungen haben. Was diese Aufnahme auszeichnet, die in bestem Mono daherkommt, ist eine atemlose Spannung, grade der 1. Satz gelingt ja nicht allzu oft (Rattle verscharcht ihn komplett). Ancerl hält es gradezu wahnsinnig spannend und der Farbenreichtum der Holzbläser ist einfach unglaublich. Den 2. Satz jagt er mit 3:50 durch, da spürt man, was er für ein Klasseorchester zur Verfügung hatte. Ich finde, man entnimmt der Ancerl Interpretion ein sehr genaues Gespür für das Leiden, das DS beschreibt, ist Ancerl ja auch nur knapp den Gaskammern in Auschwitz entkommen. Dennoch wird das nicht Selbstzweck, sondern die Sinfonie kommt gradezu klassisch daher, auf den ersten Höreindruck fast elegant, dann aber.... Beispiel. Während Barschai im ersten Satz bereits in den ersten Takten eine relativ düstere Stimmung anschlägt, beginnt Ancerl flott und schon fast heiter. Der Wechsel in der Stimmung kommt unterschwellig und ist daher umso verblüffender. Gruß S. [Beitrag von s.bummer am 02. Sep 2007, 16:45 bearbeitet] |
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Thomas228
Stammgast |
#7 erstellt: 08. Sep 2007, 10:49 | |
Hallo allerseits, mittlerweile hatte ich Gelegenheit, den von s.bummer angeführen Rundfunkbeitrag zu hören - vielen Dank noch mal. Ich finde sehr interessant, was Georg Borchardt herausgearbeitet hat. Besonders gilt das für die Ausführungen zum zweiten Satz. Hier ist der Bezug zu Mussorgsky am deutlichsten, finde ich, und sind die von s.bummer oben dargelegten Schlussfolgerungen am überzeugendsten. Ich denke, der zweite Satz gewinnt durch diese weitere Bedeutungsebene sehr. Überraschend fand ich, dass Borchardt in seinem Beitrag das Elmira-Motiv völlig außer Acht gelassen hat. Sollte ihm diese Deutung unbekannt gewesen sein? Letztlich ist das einerlei. Denn hierin
gebe ich s.bummer vollkommen recht. Thomas |
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op111
Moderator |
#8 erstellt: 14. Sep 2007, 15:46 | |
Hallo Thomas,
meines Wissens waren gerade jene Szenen mit dem leidenden Volk Stalins Lieblingsszenen im "Boris" - insofern wäre auch das doch wieder eine Referenz auf den Diktator. |
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Thomas228
Stammgast |
#9 erstellt: 14. Sep 2007, 18:11 | |
Hallo Franz! Du bist ja richtig in Fahrt. Allerorten lese ich etwas von dir. Sehr schön! Der von dir aufgezeigte Bezug zu Stalin ist interessant. Der Bezug wäre dann sogar doppelt vorhanden. Einmal in dem von dir beschriebenen Sinne. Das andere Mal weil das Volk unter dem Herrscher (Boris = Stalin) leidet. Gruß, Thomas |
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Thomas228
Stammgast |
#10 erstellt: 14. Sep 2007, 21:07 | |
s.bummer hat damit begonnen und tatsächlich finde auch ich: Es ist an der Zeit, über Aufnahmen zu sprechen. Zunächst möchte ich die Empfehlung s.bummers nachdrücklich unterstützen. Die Einspielung Ancerls ist eine der ganz großen Aufnahmen der 10. Sinfonie. Wie oben bereits angesprochen hat Ancerl in den Konzentrationslagern der Nazis Schreckliches erlebt – seine Eltern, seine Frau, sein Sohn starben. Es ist diskutierbar, ob Ancerl gerade deshalb prädestiniert dafür war, das Leid der zehnten Sinfonie zu verstehen und darzustellen. So oder so macht seine Einspielung deutlich, dass er die Sinfonie unmittelbar verstand, dass er also der Nachhilfe der Musikwissenschaftler nicht bedurfte, um eine noch heute gültige Interpretation zu finden. Abgesehen von dem superben Spiel der Tschechischen Philharmonie, besonders die Streicher und Holzbläser ragen heraus, beeindruckt mich am meisten, wie sehr Ancerl es versteht, den Hörer zu packen, in einen Schraubstock zu zwingen. Die wesentlichen Mittel dafür sind eine hohe Geschwindigkeit, markante Tonansätze vor allem der Holzbläser und eine präzise Attacke. Scharf wie Peitschenhiebe klingen bestimmte Stellen des zweiten Satzes, ein Satz übrigens, der einen ob der spielerischen Klasse des Orchesters sprachlos macht. Überhaupt ist gar nicht genug zu loben, dass die Genauigkeit des Spiels, die Durchhörbarkeit unter dem hohen Tempo nicht im Geringsten leidet. Das Bedrückende, die Düsternis des ersten Satzes ist bei Ancerl derart intensiv, dass sich mir beim Zuhören der Hals zuschnürt. Düsternis beherrscht bei Ancerl auch den Anfang des vierten Satzes. Das Ende der Sinfonie klingt bei Ancerl deutlich weniger sieghaft als z.B. bei Barshai. Von Fröhlichkeit ist da keine Spur. Im Gegenteil wirkt der Sieg schwer erkämpft, ist noch nicht einmal klar, ob der Kampf wirklich schon gewonnen ist. Der Klang ist für eine Mono-Aufnahme ausgesprochen gut. Selbst sensible Ohren brauchen die Einspielung nicht zu scheuen. Thomas |
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op111
Moderator |
#11 erstellt: 14. Sep 2007, 22:37 | |
Hallo Thomas,
ich erinnere mich nur noch vage an Volkows "Testimony" aber ich meine, auch er hat über Stalins Vorliebe zum "Boris" wegen genau dieser Szenen geschrieben. Vielen Dank übrigens für den Link zu den BBC Streams, eine Fundgrube. Ich habe mir die Sendung über die 10. als mp3-Datei lokal gespeichert. Ähnliche Sendungen gab es früher auch mal beim WDR, mittlerweile scheint man dort aber die "schweren Beiträge" dem Hörer nicht mehr zuzumuten wollen und ersetzt sie durch easy-listening-Verschnitte aus dem Schulfunk. Interessant wäre auch mal eine Untersuchung über die Instrumentation. Das Fehlen von Füll- und Baßstimmen gibt manchen der Ausbrüche eine enorme Brutalität, wogegen z.B. bei R. Strauss nur wohliger Schönklang entsteht. |
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Martin2
Inventar |
#12 erstellt: 15. Sep 2007, 22:15 | |
Vielen Dank auch von mir für den Link. Ich habe die Sendung der BBC über Schostakowitschs 10. gehört. Wirklich hervorragend. Regt mich dazu an, die 10. mal wieder zu hören. Habe mir die alte Aufnahme vom Karajan mal wieder raus gelegt. |
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teleton
Inventar |
#13 erstellt: 17. Sep 2007, 11:03 | |
Hallo Thomas, die Schostakowitsch: Sinfonie Nr.10 habe ich jetzt schon längere Zeit nicht mehr gehört. Interessant auch Deine und Bummers Eindrücke zur Ancerl-Aufnahme zu lesen. Aus der Erinnerung heraus ist ja schon klar welche Aufnahmen ich favorisiere. Ich werde aber in nächster Zeit nochmal in verschiedene Aufnahmen hineinhören um mehr dazu schreiben zu können. Nach Deinen Beiträgen kann man nicht mehr schreiben: "Die finde ich am besten und fertig !" Meine Aufnahmen hier in der Reihenfolge der Gunst, soweit ich es in Erinnerung habe. Ein schlechte Aufnahme ist nicht dabei, die sind alle als sehr gut zu beurteilen, sonst würden diese sich auch nicht mehr in meiner Sammlung befinden. Kondraschin / Moskauer PH (AULOS/Melodyia) Roshdestwensky / Moskauer PH (Eurodisc) Karajan / Berliner PH (DG) Barshai / Kölner RSO (Brillant) M.Schostakowitsch / Prager SO (Supraphon) Gespannt bin ich was Du zu Roshdestwensky schreibst, die ja jetzt auch zu deinem Bestand gehört. Sicherlich wieder mit die härteste Sichtweise der Interpreatation. Genauso interssant wird es sein, die Stimmen zur Karajan-Aufnahme zu lesen. Hat Karajan den Kern der Sinfonie getroffen ? Mir gefällt sie außerordentlich gut, sodaß ich bedauere keine weiteren Schostakowitsch-Aufnahmen von ihm zu haben. Aber vielleicht liege ich unbewußt falsch ? |
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Thomas228
Stammgast |
#14 erstellt: 17. Sep 2007, 11:49 | |
Hallo teleton, es freut mich, dass du dich hier nochmals zu Wort meldest. Und das hier: "Ich werde aber in nächster Zeit nochmal in verschiedene Aufnahmen hineinhören um mehr dazu schreiben zu können", freut mich noch viel mehr. Ich habe nicht vor, der Reihe nach alle meine Aufnahmen vorzustellen bzw. zu besprechen (ich besitze: Ancerl, Barshai, Jansons, Karajan (beide Aufnahmen), Kondrashin (Medoiya), Mrawinskij, Roschdestwenskij und Sanderling), zumal die Zehnte nicht meine Lieblingssinfonie von Schostakowitsch ist, das ist, wie du vielleicht erinnerst, die vierte. Für besonders erwähnenswert halte ich die Aufnahmen von Roschdestwenskij, Mrawinskij und als ständiges Streitthema auch die von Karajan - die beiden Einspielungen von ihm unterscheiden sich nur unwesentlich. Momentan plane ich, zu diesen drei Aufnahmen noch etwas zu schreiben. Mal sehen, wann ich dazu komme. Lieben Gruß |
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s.bummer
Hat sich gelöscht |
#15 erstellt: 17. Sep 2007, 18:58 | |
Wenn Wolfgang seine "üblichen Verdächtigen" noch um Mrawinski und Ancerl ergänzen würde, dann bin ich bei ihm. So habe ich nur eine enttäuschende Aufnahme mit Rattle im Schrank, nur um Klaus zu zeigen, dass sein Lieblingsdirigent auch mal kraftig danebenhauen kann. Aber zu Karajan: Es war meine erste Platte mit DS10, von der DGG 1982 veröffentlicht und von mir ziemlich zeitnah erworben. Auf der Rückseite ein Foto mit einem gönnerhaft blickenden HvK neben einem DS, der irgendwie verklemmt durch seine Panzerglasplattenbrille blickt. Großartig! Totz dieses Fotos finde ich die Aufnahme sehr schön. Warum? HvK läßt die Musik raus, keine typisch russische Hardcoretour durch Blechbläser, aber immer flüssig und federnd. Geradezu der 2. Satz gerät im sportiv. Da könnte man sagen "Thema verfehlt, Setzen 6." Und dies "eitle" (?) DSCH passt HvK ja vollends in den Kram!. Insofern..... Aber wenn man Ancerl hört, dann merkt man, das diese Sinfonie eher subtil interpretiert als hauruckmäßig (Rosh, auch wenns gut ist) nur gewinnen kann. Und damit gewinnt HvKs Interpretation bei mehrfachem Hören. Er hatte nun wahrscheinlich kaum "einen Meter Sekundärliteratur" zu DS10 im Schrank, kannte DS kaum und ihm diente eben nur die Partitur (wie Ancerl auch). Ihm kann man also keine persönlichen Statements unterstellen, die Sinfonie muss sich selbst beweisen. Und das kann sie. Und damit ist meine pers. Reihenfolge auch schon klar. Ancerl, HvK, Mrawinski und dann der ganze Rest, den Wolfang erwähnt. Bei denen spüre ich immer einen Rest zu starker persönlicher Betroffenheit. Das mindert aber nicht die Qualität, das ist nur mein Geschmack. Nachtrag.. Ich habe das Ganze auch als Klavieraufnahme mit DS himself. Sehr beeindruckend. Gruß S. Ich stelle grade fest, dass ich auch die Sanderling Aufnahme habe. Sowas.....muss ich mal hören! [Beitrag von s.bummer am 17. Sep 2007, 19:01 bearbeitet] |
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teleton
Inventar |
#16 erstellt: 07. Nov 2007, 12:35 | |
Hallo Thomas und alle Schostakowtsch-Freunde, im Gegensatz zu vielen anderen HIFI-Forianern habe ich diesen Thread, bei dem es nun um die verschiedenen Aufnahmen gehen soll, nicht vergessen. Denn seit September habe ich mir so nach und nach alle meine Aufnahmen angehört: Kondraschin / Moskauer PH (AULOS/Melodyia) Roshdestwensky / Moskauer PH (Eurodisc) Karajan / Berliner PH (DG) Barshai / Kölner RSO (Brillant) M.Schostakowitsch / Prager SO (Supraphon) Ich habe jetzt keine Lust und Zeit eine große Analyse anzustellen, so wie es Thomas machen würde, da mir dazu die Zeit fehlt. Es ist aber noch eine der wichtigsten Aufnahmen dazugekommen, die ich mir zurückgeholt habe (der Beschenkte hört jetzt nur noch die Barshai-Aufnahmen auf CD). Es ist die Aufnahme mit Swetlanow / Staatliches SO der UDSSR Moskau (Eurodisc - LP). Vor Thomas´s Beitrag der Sinfonie Nr.10 habe ich das Werk mehr als absolute Musik gehört und mich wenig um eventuelle Inhalte gekümmert. Ich denke die meisten Hörer (und wer ehrlich ist), werden dies genau so gemacht haben, da Schostakowitsch hier ja eigendlich keine Programmmusik geschrieben hat, wie bei den Sinfonien Nr.11 und 12. Thomas Beitrag hat mich bei meinen Hörsitzungen aber jetzt begleitet. Mit diesem Hintergrund kann man nur den drei russischen Aufnahmen den wirklichen Vorzug geben: Keiner peitscht den 2.Satz so hochdramatisch hoch wie Swetlanow(Eurodisc), als wolle er Stalin in "die ewigen Jagdgründe" schicken. Auch an anderen dramatischen Stellen ist Swetlanow unerreicht und deckt die bedrückende Düsternis schonungslos auf (so wie Ancerl nach den geschriebenen Worten). Man merkt an der Eurodisc-LP wie verwöhnt man heute mit der CD ist, denn die alte LP(Aufnahme aus den frühen 70ern) ist klangllich weit zurück; das klangliche potential ist aber da, sodaß ein anständiges CD-Remastering diese Aufnahme so gut wie Kondraschin (AULOS) hinbekommen würde. Kondraschin (AULOS) ist dann auch der zweite, der den Inhalt der Sinfonie Nr.10 voll trifft, genau wie Roshdestwensky(Eurodisc), der natürlich ebenfalls wie Swetlanow den 2.Satz absolut umwerfend gestaltet und die bessere Klangtechnik für sich zu verbuchen hat. Die beste West-Aufnahme ist für mich Karajan(DG) , aber da fehlt mir letztendlich der russische Orchesterklang, den die 3 o.g. in geradezu autentischer Weise bieten. |
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Don.Christo
Ist häufiger hier |
#17 erstellt: 18. Mrz 2008, 19:13 | |
Hallo zusammen, auch mich hat die ausführliche, hintergründige Erläuterung von Thomas noch einmal tiefer an die Zehnte herangeführt. (An dieser Stelle mal ein großes „Danke“ an Dich, Thomas, für die Mühe, die Du Dir machst – Du siehst, es lohnt sich !) Ich habe meine Aufnahmen daraufhin mehrmals durchgehört, und zwar Kondraschin, Moskauer Philharmoniker, 1973 Karajan, Berliner Philharmoniker, 1982 Barshai, WDR Sinfonieorchester, 1995 (?) Jansons, Philadelphia Orchestra, 1995 Völlig zurecht wird hier immer wieder Karajans Aufnahme genannt – ein Dirigent, den man ja nicht unbedingt zu den ausgewiesenen DSCH-Experten zählt. Aber: das ist eindringlich und sehr intensiv, und ich höre bei den Bläsern sogar Ähnlichkeiten zum typisch russischen, gepressten Klang mit seinem aufgerauhten Timbre. Wirklich unglaublich ist das Foto im Booklet, wie s.bummer weiter oben schon angemerkt hat: ein von seiner eigenen Aura sehr eingenommener, jovialer Karajan steht Schostakowitsch mit gönnerhaftem Gestus gegenüber und merkt überhaupt nicht, wie unwohl sich dieser bei der Begegnung fühlt. Dabei sieht man DSCH an, dass er am liebsten gar nicht da wäre... Trotz dieser sehr guten Einspielung ist für mich auch bei der Zehnten Kondraschin das Maß aller Dinge. Ich staune bei ihm immer wieder, wie zügig er durch den Satz kommt, ohne dass es permanent gehetzt klingt. Tempo-Varianz scheint mir hier das Geheimnis zu sein, darin ist er ein Meister. Roschdestwenskis Aufnahme habe ich mal gehört, sie hat mich damals nicht so sehr beeindruckt wie jetzt Kondraschin. Barshai ist ok, solide, aber ich würde ihm bei der Zehnten noch Jansons vorziehen, wobei das vielleicht mehr ein Gefühl ist, das ich nicht rational begründen kann. Vielleicht hat Jansons einfach den Vorteil, als Erster (in meiner Sammlung) dagewesen zu sein. Nach dem hier Gelesenen würde mich Ancerl noch sehr interessieren. Wie man den zweiten Satz unter 4 Minuten schafft, ist mir ein Rätsel. Schade nur, dass man die Aufnahme offenbar derzeit nicht (oder nur überzogen teuer) kriegt.... Grüße, Christian |
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