Bach mit Stadtfeld: Vom Teufel gejagt - Bach auf der Flucht!

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ph.s.
Inventar
#1 erstellt: 13. Nov 2004, 19:55
Der etwas "reißerische" Titel sollte jetzt gerechtfertigt werden, so glaube ich! Nun denn:
Ich habe mir gestern folgende Cd gekauft:

amazon.de

Auf dieser findet sich auch das "Italienische Konzert F-Dur BWV 971" , dessen dritter Satz von Stadtfeld zwar höchst präzise, aber in einem dermaßen Höllentempo wiedergegeben wird, dass ich mich ehrlich frage, ob das noch Sinn macht! Die Satzbezeichnung lautet zwar auf "presto" aber auch ein presto hat seine Grenzen, meine ich, wenn die Musik dabei auf der Strecke bleibt.
Nun hat uns ja Bach nicht allzu viele Satzbezeichnungen hinterlassen, so entsteht in letzter Zeit wieder die Tendenz Bach in extremen Tempi zu spielen, wie es im 19. Jh üblich war. Bestes Beispiel ist das c-Moll-Präludium aus dem WK I. Man muss ja dabei nicht einschlafen, aber das Tempo sollte so gewählt sein, dass man die genialen harmonischen Wendungen von Bach noch mitbekommt. Sonst ist es kein Bach-Präludium mehr, sondern eine Etude!
Wie ist also eure Meinung was Tempo bei Bach anbelangt? Welche Interpreten haltet ihr für zu schnell, zu langsam oder ideal?
Grüße Philipp
peter545
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 14. Nov 2004, 15:11
für mich ist kempff ein sehr guter bach spieler, also jetzt beim wtk. allerdings spielt der schubert nicht so gut...
peet_g
Stammgast
#3 erstellt: 14. Nov 2004, 18:35
@ ph.s.

Die Tempobestimmung bei Bach ist nicht so streng. Allerdings muss man davon ausgehen, daß die Zeitwahrnehmung zu seiner Zeit anders war als heute - grundsätzlich ruhiger.

Normalerweise würde ich das Tempo für richtig halten, welches dem ruhigen Pulsschlag entspricht - 60-75. Es kann 2-3-4mal so schnell oder langsam sein wie dieser Rahmen, aber eben damit konform, kompatibel. (Die Begründung lasse ich hier mal raus.)

Eine Erklärung für die von dir beschriebene Abweichung würde ich in der Marktstrategie sehen - anders sein, um aufzufallen. :-)

Gruß
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#4 erstellt: 14. Nov 2004, 22:10
Die Tempobezeichnung die meiner Meinung nach ein wichtiges Kapitel. Aber dass es ruhiger sein soll, als heute allgemein gespielt wird, glaub ich kaum. Die Aussage in Bezug auf den Pulsschlag (bei gesunden Menschen ca. 80) kann man auch in der Flötenschule von Quantz (erschienen 1752) nachlesen. Wenn man diese hier vorgeschlagenen Tempi nutzt und nur auf die Musik des Dresdener Hof anwendet, so sind das meiner Meinung nach recht schnelle Tempi (Presto beschreibt er zwar nicht, aber er sagt: mehr als 8 Noten kann man wohl nicht sauber innerhalb eines Pulsschlages spielen/anstoßen). Aber wie gesagt, diese Tempoangaben würde ich auf die Dresdener Musik beziehen.

Die Tempofragen bei Bach würde ich durchaus auch in diesem Bereich ansiedeln, jedoch mit kleinen Abstrichen. Da (modernes) Klavier und Bach meiner Meinung nicht zusammen passt, muss bzw. werde ich bei dieser Aufnahme passen (müssen). Vielleicht ist ein Tempovergleich mit Aufnahme, die mit Cembalo / Hammerklavier vor 1750 gemacht worden sind, ein Weg.


[Beitrag von st.s. am 14. Nov 2004, 22:11 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#5 erstellt: 15. Nov 2004, 07:37

peter545 schrieb:
für mich ist kempff ein sehr guter bach spieler, also jetzt beim wtk. allerdings spielt der schubert nicht so gut...


Ist zwar off-topic (Entschuldigung dafür), aber dass Kempff kein guter Schubert.Spieler gewesen sein soll kann ich schlecht unkommentiert lassen. In meinen Augen hat er eine der kompetentesten Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten vorgelegt. OK, Richter gefällt mir oft besser, trotzdem ist Kempff bei Schubert für viele 1. Wahl.

Grüße,
Frank
peet_g
Stammgast
#6 erstellt: 15. Nov 2004, 10:24

st.s. schrieb:
<...> Die Aussage in Bezug auf den Pulsschlag (bei gesunden Menschen ca. 80) <...>


Das wäre aber noch zu klären. Laut der Medizin liegt der ruhige Pulsschlag zwischen 60 und 80, und das ist ein ziemlich breiter Rahmen. Dies lässt dem Interpreten genug freie Räume und dem Zuhörer die Moglichkeit, eigenes Zeitgefühl mit dem des Interpreten zu vergleichen, akzeptieren oder ablehnen.

Gruß
ph.s.
Inventar
#7 erstellt: 15. Nov 2004, 18:13

Normalerweise würde ich das Tempo für richtig halten, welches dem ruhigen Pulsschlag entspricht - 60-75. Es kann 2-3-4mal so schnell oder langsam sein wie dieser Rahmen


Bei diesem Rahmen wäre es genau dasselbe, wie wenn man nichts hinschreiben würde! Ob ich Sechzehntel bloß doppelt so schnell oder viermal so schnell spiele ist ein gewaltiger Unterschied!
Ich will ja nicht wissen, wie man Bach spielen soll - dafür gibt es sowieso keine Regel; das muss jeder für sich entscheiden - sondern was ihr von hohem Tempo haltet und wie es sich vielleicht auf die Möglichkeit auswirkt das Werk aufzunehmen oder gar zu verstehen!

Philipp
peter545
Ist häufiger hier
#8 erstellt: 15. Nov 2004, 19:04
meine lieblingsonate von schubert gdur d894 spielt kempff finde ich zu schnell. richter spielt sie finde ich perfekt
ph.s.
Inventar
#9 erstellt: 15. Nov 2004, 20:18

peter545 schrieb:
meine lieblingsonate von schubert gdur d894 spielt kempff finde ich zu schnell. richter spielt sie finde ich perfekt


Wahrscheinlich hat er ein gutes Herz und gesunde Venen, so dass er seinen Puls gut fühlen kann!

Aber jetzt wieder zu Bach, sonst ist er inzwischen wirklich weggelaufen!

Philipp
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#10 erstellt: 15. Nov 2004, 20:58
Gutes Herz *was immer das heißen mag* und gesunde Venen

Also: bei Quantz steht im übertragenen Sinne "80 Pulsschläge in der Minute". Wobei man durchaus 5 ab- oder hinzuziehen kann. Man soll es ja nicht so genau nehmen, aber im entsprechenden Rahmen.

Was meine persönliche Meinung angeht, so bevorzuge ich durchaus die schnelleren Tempi, so nach Goebel, Max oder McCreesh (weitere Dirigenten könnten noch genannt werden, würden aber wohl den Rahmen sprengen ) Dabei kommt es aber auch auf den Kontrast zwischen den einzelnen Sätzen an. Wichtig ist meiner Meinung auch, dass die Proportionen zwischen den verschiedenen Tempi stimmen. Allerdings ist ein schnelles Musizieren nur um des Tempos willen, nicht gerade der Hörgenuss.

Ist der "alte Bach" nun weggelaufen???
ph.s.
Inventar
#11 erstellt: 15. Nov 2004, 21:12

st.s. schrieb:

Ist der "alte Bach" nun weggelaufen??? :L



Was dem schon angetan wurde (interpretatorisch!!)! Da muss man froh sein, wenn er noch humpeln kann!
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#12 erstellt: 15. Nov 2004, 21:40
In Bezug auf manche Interpretationen muss ich dir recht geben. Ist das aber ein Grund, dass man humpeln muss?
Ich denke, Bach ist alt genug, um weiter laufen zu können.
peet_g
Stammgast
#13 erstellt: 16. Nov 2004, 08:56

ph.s. schrieb:

Normalerweise würde ich das Tempo für richtig halten, welches dem ruhigen Pulsschlag entspricht - 60-75. Es kann 2-3-4mal so schnell oder langsam sein wie dieser Rahmen


Bei diesem Rahmen wäre es genau dasselbe, wie wenn man nichts hinschreiben würde! Ob ich Sechzehntel bloß doppelt so schnell oder viermal so schnell spiele ist ein gewaltiger Unterschied!


Hallo Philipp, nein, das ist nicht immer ein gewaltiger Unterschied. Es kommt darauf an, wie man die Musik "metrisiert". Man kann schneller spielen und immer noch langsamer taktieren - dann wird alles in einem anderen Taktmaß wahrgenommen. Kannst du dem folgen?

Gruß
peet_g
Stammgast
#14 erstellt: 16. Nov 2004, 08:58

st.s. schrieb:

Also: bei Quantz steht im übertragenen Sinne "80 Pulsschläge in der Minute".


Wie meinst du das mit dem übertragenen Sinne? :-)
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#15 erstellt: 16. Nov 2004, 12:27
@peet_g

Übertragenen Sinne = ich habe nicht zitiert.

Diese mach ich aber nun.

"... Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur. Achtzig Pulsschläge, im geschwindsten Tempo des gemeinen geraden Tactes, machen vierzig Tacte aus. Einige wenige Pulsschläge mehr, oder weniger, machen hierbey keinen Unterschied. Z. E. Fünf Pulsschläge in einer Minute mehr, oder fünfe weniger, verlängern oder verkürzen, in vierzig Tacten, jeden Tact um ein Sechzehntheil. Dieses aber beträgt so was geringes, daß es unmöglich zu merken ist. ..."

Quelle: J. J. Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, Seite 267 - 17. Hauptstück, 7 Abschnitt, § 55

Zur Anmerkung: gemeiner gerade Takt = 4/4 Takt

Quelle: ebenda, Seite 56 - 5. Hauptstück § 13.

Deine Ausführung zu ph.s. kann ich nur bestätigen.
ph.s.
Inventar
#16 erstellt: 16. Nov 2004, 13:08

Hallo Philipp, nein, das ist nicht immer ein gewaltiger Unterschied. Es kommt darauf an, wie man die Musik "metrisiert". Man kann schneller spielen und immer noch langsamer taktieren - dann wird alles in einem anderen Taktmaß wahrgenommen. Kannst du dem folgen?



Wenn ich das mache, habe ich aber keinen "absoluten" Anhaltspunkt zum vergleichen. Ich muss mich also auf ein Taktmaß festlegen und das für alle Möglichkeiten (2mal 3mal und 4mal so schnell) durchexerzieren. Damit habe ich jeweils ein Vielfaches das ursprünglichen Wertes ergo: großer Unterschied! Das ist zwar klar, war aber nicht gefragt! Ich habe bei meiner Frage natürlich ein Absolutmaß vorausgesetzt, sonst ist ja alles relativ!


[Beitrag von ph.s. am 16. Nov 2004, 13:11 bearbeitet]
peet_g
Stammgast
#17 erstellt: 16. Nov 2004, 15:53
@ st.s.

Danke für deine Mühe. :-) Wenn ich nach dem Buch irgendwo im Schrank suche, dauert es bestimmt länger. *g*

Quantz bringt in diesem Satz keinesfalls eine heutige "humane" Erklärung mit dem Equivalent des passenden Tempos zu dem "ruhigen" Pulsschlag, sondern bestimmt das Tempo durch den Pulsschlag 80. Der Hintergrund dafür ist aus meiner Sicht ganz einfach, nämlich das Fehlen des Metronoms.

Ich sehe die Richtigkeit eines Tempos immer im Verhältnis zu dem ruhigen oder aufgeregten Pulsschlag. Metronom interessieren mich weniger, wenn sie auch wichtigen Beitrag bringen, um nicht ganz falsch zu sein. Es ist letztenendes immer mein Pulsschlag, mein Maß und mein Urteil. Und es stimmt für mich sogar immer! *g*

Und das kann jeder auch für sich tun. Die Toleranzquote ist ziemlich groß, da wir alle mehr oder weniger Menschen sind. *g*

Gruß
peet_g
Stammgast
#18 erstellt: 16. Nov 2004, 16:01

ph.s. schrieb:

Ich habe bei meiner Frage natürlich ein Absolutmaß vorausgesetzt, sonst ist ja alles relativ!


Weißt du, es ist tatsächlich nicht alles relativ, aber so ziemlich manches. Wir haben in der Musik mit einer Kunst zu tun, mit keiner exakten Wissenschaft. Wenn das Tempo für dich zu schnell ist, dann ist es so. Du kannst es begründen mit deinem Gemüt und deinen Erfahrungen. Es kann dabei passieren, daß genauso viele andere Zuhörer einer anderen Meinung sind, und damit musst du auch leben.

Bei Bach ist es wirklich so: Ziemlich große Tempoabweichungen sind immer noch richtig, wenn das Stück immer noch die mehrschichtige Metrik sowie das einheitliches Tempo behält, richtig akzentuiert wird usw. Ein Vergleich zwischen Aufnahmen z.B. von Schweitzer und Gould wäre schon aussagekräftig genug in diesem Sinne. Versuch es!

Gruß
ph.s.
Inventar
#19 erstellt: 16. Nov 2004, 20:38

Weißt du, es ist tatsächlich nicht alles relativ, aber so ziemlich manches. Wir haben in der Musik mit einer Kunst zu tun, mit keiner exakten Wissenschaft. Wenn das Tempo für dich zu schnell ist, dann ist es so. Du kannst es begründen mit deinem Gemüt und deinen Erfahrungen. Es kann dabei passieren, daß genauso viele andere Zuhörer einer anderen Meinung sind, und damit musst du auch leben.


Das ist ja gerade meine Ansicht! Ich habe die Pulsschlagtheorien auch gekannt und gerade aus nämlichem Grund nicht erwähnt! Ich wollte subjektive Meinungen hören und ich habe nicht mit dem Metrisieren etc angefangen!




Bei Bach ist es wirklich so: Ziemlich große Tempoabweichungen sind immer noch richtig,


Ich habe ja auch nie behauptet das es falsch wäre, Bach schnell zu spielen! Überhaupt lehne ich in der Kunst Kategorien wie richtig, falsch, etc ab!

Der Grund das wir eigentlich dauernd aneinander "vorbeischreiben" liegt darin, dass keiner der Beiträge (mit den Pulsschlagtheorien etc) eigentlich auf meine Fragestellungen eingegangen ist, was vielleicht auch an einer mangelnden Formulierung meinerseits liegen mag! Das streite ich gar nicht ab! Ich habe mich lediglich auf die Diskussion diesbezüglich eingelassen, weil ich mich genötigt sah, Behauptungen, die meine Ausführungen falsch wiedergaben, einer Berichtigung zuzuführen!




Du kannst es begründen mit deinem Gemüt und deinen Erfahrungen. Es kann dabei passieren, daß genauso viele andere Zuhörer einer anderen Meinung sind, und damit musst du auch leben.


Glaub mir das tue ich auch! Aber soweit ist es in dem Thread noch nicht gekommen; dazu fehlten mir wie schon gesagt die Beiträge!
Ich respektiere die Meinung anderer sehr gerne und bin sogar froh, dass es keine "Einheitsmeinung" gibt! Aus diesem Antrieb heraus habe ich ja erst das Thema eröffnet; um andere Meinungen zu erfahren!

In diesem Sinne, schicke ich meine Einladung erneut aus!

Wie steht ihr -VÖLLIG SUBJEKTIV- zum Tempoproblem bei Bach? Es sollen keine fadenscheinigen Regeln über den Zusammenhang zwischen Koronargefäßen und Bach genannt werden , sondern einfach nur Vorlieben (wenn möglich mit [subjektiver] Begründung!)

LG Philipp
ph.s.
Inventar
#20 erstellt: 16. Nov 2004, 20:45

was vielleicht auch an einer mangelnden Formulierung meinerseits liegen mag! Das streite ich gar nicht ab!


Jetzt streite ich es doch ab!!!
Habe gerade nochmal drüber gelesen! Meine Fragestellung war ja wohl mehr als eindeutig! ! :


Wie ist also eure Meinung was Tempo bei Bach anbelangt?


Dann kann man doch nicht mit Pulsschlagtheorien antworten! Oder vertretet ihr diese Meinung wirklich???

Sorry! Bitte nicht böse sein, aber das musste jetzt so kommen!

Philipp
PUH123
Ist häufiger hier
#21 erstellt: 19. Nov 2004, 12:54
Die Frage drängt sich vor allem bei Werken wie dem WK etc auf. Am besten gefällt mir imer noch Gould, weil er den Stücken z. Teil ein völlig neues Gesicht gegeben hat (b-moll Präludium). Allerdings geht es in Einzelfällen nachmeinem Geschmack nicht so gut auf (C-Dur Pr.).
Ich mag es aber nur, weil Gould sehr präzise spielt und etwas "mechanisch", ich mag keine Rubato-Exzesse (Chr. Jacottet).
PUH
Susanna
Hat sich gelöscht
#22 erstellt: 19. Nov 2004, 14:57
Hallo,

noch mal kurz zum Thema Tempo bei Bach und zur Rekapitulation einige Zitate von hier:

"Nun hat uns ja Bach nicht allzu viele Satzbezeichnungen hinterlassen,..."
"Die Tempobestimmung bei Bach ist nicht so streng."
"Allerdings muss man davon ausgehen, daß die Zeitwahrnehmung zu seiner Zeit anders war als heute - grundsätzlich ruhiger."

Daß Epochen verschiedene Zeitwahrnehmungen haben, kann man vermuten (was ich auch tue), nicht beweisen, aber das ist vielleicht in diesem Zusammenhang nicht wichtig.

"Für nahezu alle Werke von Beethoven liegen präzise Metronomangaben des Komponisten vor."
"Jedem Künstler bleibt der Interpretationsfreiraum, jedem Hörer das entsprechende Empfinden freigestellt."

Wer sich über über tempi und andere Ausführungspraktiken bei Bach weitergehend informieren will, wird in diesem Buch fündig:

http://www.music.qub...eview_Maeser-Tr.html

Zu empfehlen ist auch, leider nur auf Englisch:

http://www.music.qub...view_Gleich-BTG.html

Wie immer können auch hundert gelehrte Bücher nicht mein ureigenstes Tempoempfinden beschreiben oder erklären.

Grüße,
Susanna
ph.s.
Inventar
#23 erstellt: 19. Nov 2004, 19:55

Daß Epochen verschiedene Zeitwahrnehmungen haben, kann man vermuten (was ich auch tue), nicht beweisen, aber das ist vielleicht in diesem Zusammenhang nicht wichtig.


Der Meinung bin ich auch! Die Empfindung des Einzelnen im Augenblick ist wichtig! Daher ist es für den Augenblick auch vollkommen egal, wie die frühere Wahrnehmung war. Das was im Moment als richtig erscheint, ist das Wahre! Auch wenn es möglicherweise in der nächsten Minute schon wieder anders ist! Das ist doch das Zauberhafte an der Musik!!
bachfreund
Neuling
#24 erstellt: 19. Nov 2004, 20:20
Fuer mein Empfinden wird Bach heutzutage viel zu schnell gespielt (z. B. Richters Aufnahme vom WTK). Wenn ich einige Stuecke selbst spiele und dann diese Aufnahme hoere, erkenne ich einiges nicht wieder (z. B. Praeludium XV, BWV 860)
Mein Klavierlehrer ist fuer das ORIGINALE HISTORISCHE TEMPO, d. h. deutlich langsamer als heutzutage gespielt wird, damit man auch als Hoerer die Polyphonie mitkriegt. Er hat z. B. auch Mozart Opern aufgefuehrt, die dann statt der ueblichen ca. 2 Stunden 4 Stunden dauerten, weil auch langsamer gesungen wurde.
Kennt ihr Bach-Aufnahmen, wo langsamer gespielt wird? Habe bisher erfolglos gesucht!
Danke und Gruesse
Stefanie
ph.s.
Inventar
#25 erstellt: 19. Nov 2004, 20:33
Hallo Stefanie!
Kennst du die Bachaufnahmen von Friedrich Gulda? Ob er das originale historische Tempo spielt, weiß ich nicht! Das war vor meiner Zeit ! Aber er hat vernünftige Tempi und das noch verbunden mit großer musikalischer Aussage! Wenn du dir zB das c-Moll-Präl. aus dem WK I von ihm anhörst, wirst du glaube ich merken was ich meine! Gerade dieses Stück ist ja exemplarisch dafür, wie weh man Bach mit schnellem Tempo tun kann! Wenn du Stücke suchst, bei denen du die Polyphonie gut raushören kannst, kann ich dir die Aufnahme des WK I von Till Fellner empfehlen! Er spielt zwar nicht immer langsam, aber dafür sehr transparent und auch emotional!!
Im Übrigen kann ich was Bach-Interpreten betrifft noch auf folgenden Thread verweisen:


http://www.hifi-foru...rum_id=68&thread=689

Liebe Grüße Philipp


[Beitrag von ph.s. am 19. Nov 2004, 20:36 bearbeitet]
Susanna
Hat sich gelöscht
#26 erstellt: 19. Nov 2004, 21:23

ph.s. schrieb:
Wenn du Stücke suchst, bei denen du die Polyphonie gut raushören kannst, kann ich dir die Aufnahme des WK I von Till Fellner empfehlen! Er spielt zwar nicht immer langsam, aber dafür sehr transparent und auch emotional!!

Hallo Philipp,

genau das hätte ich geschrieben, wenn Du es nicht getan hättest! Das ist es, was mir an Fellner gefällt - transparent (sehr deutlich an der Fuge Es-Dur zu hören), auch wenn er prestissimo spielt (ich glaube, das c-moll Präludium ist hier das schnellste), dabei für meinen Geschmack nicht so "mechanisch" wie ich das bei Gould empfinde (ich benutze das Wort nur wertneutral, um etwas zu beschreiben).PUH123 sieht dieses "mechanische" Spiel z. B. als positiv, was ich früher auch so sah. Rubato findet bei Fellner bestimmt nicht statt!

@ Stefanie: Willkommen hier!
Ich gebe Dir vollkommen recht. Auch ich empfinde manche Bachinterpretation als zu schnell, obwohl ich einen "flotten" Bach schon mag. Noch schlimmer ist, was mit Mozart z. T. ver(u)anstaltet wird (obwohl auch da momentan eine Kehrtwendung zum Langsameren zu erkennen ist).
Die Sicherheit Deines Klavierlehrers über das "Originale historische Tempo" teile ich - wie ich oben schon sagte - nicht unbedingt.

Grüße,
Susanna


[Beitrag von Susanna am 19. Nov 2004, 21:29 bearbeitet]
ph.s.
Inventar
#27 erstellt: 19. Nov 2004, 21:43

genau das hätte ich geschrieben, wenn Du es nicht getan hättest! Das ist es, was mir an Fellner gefällt - transparent (sehr deutlich an der Fuge Es-Dur zu hören),

@ Susanna
Wir haben uns ja schon einmal in obigem Thread über Fellner unterhalten und da hast Du das Wort "transparent" als Erste benutzt, daher hätte ich Dich korrekterweise zitieren müssen! Aber "transparent" passt ja wirklich exakt zu der Aufnahme!




Rubato findet bei Fellner bestimmt nicht statt!


Wieso hier das Augenzwinkern?

Gruß Philipp


[Beitrag von ph.s. am 19. Nov 2004, 21:44 bearbeitet]
Susanna
Hat sich gelöscht
#28 erstellt: 19. Nov 2004, 22:05

ph.s. schrieb:
@ Susanna
Wir haben uns ja schon einmal in obigem Thread über Fellner unterhalten und da hast Du das Wort "transparent" als Erste benutzt, daher hätte ich Dich korrekterweise zitieren müssen!

Hallo Philipp,

das war mir entfallen, ist aber auch egal, wer was wo verwendet, Hauptsache, es stimmt!

Rubato findet bei Fellner bestimmt nicht statt!
Wieso hier das Augenzwinkern?

Das ist an PUH123 adressiert, der von "Rubato-Exzessen" sprach. Diese Vorstellung finde ich auf Bach bezogen witzig. Musik der Romantik verwendet das rubato häufiger, Bach romantisch gespielt wäre so ziemlich das letzte für mich!

Gruß,
Susanna
ph.s.
Inventar
#29 erstellt: 19. Nov 2004, 22:26
Na dann ist ja alles klar!

Gruß Philipp
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#30 erstellt: 19. Nov 2004, 23:07
Aus der Vielzahl der jetzt vorhandenen Antworten sehe ich den Trend, dass man die Musik Bachs lieber ruhiger/langsamer hätte. Habe mich in den letzten Jahren sehr viel mit verschiedenen Interpration der Vokalwerke auseinandergesetzt. Angefangen von Bach-Kantaten unter Karl Straube und den nachfolgenden Thomaskantoren, Karl Richter (ebenfalls Leipziger Schule), Helmuth Rilling, Nikolaus Harnoncourt/Gustav Leonhard, John-Eliot Gardiner und Philippe Herreweghe ist durchaus ein Trend zum schnelleren Tempo erkennbar (nicht nur Sichtbar an der Zeit des Players bzw. Beiheft). Meiner Meinung ist das aber auch nicht verkehrt. Vergleicht man nur die Aufnahme des Weihnachtsoratorium unter Kurt Thomas (1958), Karl Richter (1965) und John-Eliot Gardiner (1987) so stelle ich dabei nicht nur eine Steigerung des Tempos sondern auch eine gestiegene Transparenz fest. Dabei kann ich wohl auch ruhig behaupten, dass Gardiner nicht unbedingt zu den Verfechtern schneller Tempi zählt. Fazit, mir gefallen die modernen Aufnahmen (Gardiner, Herreweghe etc.) und könnte mir einen Rückgang zu den langsameren Tempi und älteren Interpretationsstil (auch Karl Richter und Helmuth Rilling) nicht unbedingt vorstellen.

Im Übrigen höre ich gerade die Kantate BWV 67 unter Karl Straube aus dem Jahre 1931. Abgesehen der damaligen Technik ist dies auch eine Aufnahme, die in einer Bach-Sammlung nicht fehlen dürfte, genauso wie die Matthäus-Passion unter Günter Ramin aus dem Jahre 1940/41. Auch wenn ich eingestehen muss, dass ich diese Aufnahmen sehr selten höre.

Auf die Frage des Tempos noch einmal zurückzukommen, vergleicht doch mal das Weihnachtslied "In dulci jubilo" von Michael Prätorius in den Einspielungen unter Andrew Parrott (ehemals EMI-Reflexe) und Paul McCreesh (Archiv Produktion). Ich mache kein Geheimnis daraus, mir gefällt die Aufnahme unter McCreesh wesentlich besser als die unter Parrott, obwohl zwischen beiden Aufnahme vielleicht nur 10 Jahre liegen.

Anmerkung: Gleich langsames oder schnelles Tempo bei mehreren Aufnahmen setzt nicht die gleiche Interpretation voraus. Es ist ein großer Unterschied, ob man die Musik nur runter leiert oder auch im entsprechenden Tempo versucht etwas daraus zu machen. Und das machen meiner Meinung nach Harnoncourt/Leonhardt, Gardiner, Herreweghe, (Goebel), (Max), McCreesh.

Sorry, da ich kein großer Fan von Kammermusik bin (besitze aber das WTK I/II u.a.) kann ich da nicht viel mitreden, lege aber auch hier sehr viel Wert auf Cembalo bzw. Hammerklavier.


[Beitrag von st.s. am 19. Nov 2004, 23:23 bearbeitet]
peet_g
Stammgast
#31 erstellt: 20. Nov 2004, 17:34

bachfreund schrieb:
<...> Mein Klavierlehrer ist fuer das ORIGINALE HISTORISCHE TEMPO, d. h. deutlich langsamer als heutzutage gespielt wird, damit man auch als Hoerer die Polyphonie mitkriegt. Er hat z. B. auch Mozart Opern aufgefuehrt, die dann statt der ueblichen ca. 2 Stunden 4 Stunden dauerten, weil auch langsamer gesungen wurde.


Hallo Stefanie,

das hört sich nach einem Mißverständnis an: Mozarts Tempi waren und sind grundsätzlich schnell. Langsames Tempo in seinen Opern ist kein original historisches.

Gruß
Susanna
Hat sich gelöscht
#32 erstellt: 22. Nov 2004, 20:40

peet_g schrieb:
Mozarts Tempi waren und sind grundsätzlich schnell. Langsames Tempo in seinen Opern ist kein original historisches.

Hallo peet,

noch mal kurz auf Deine Bemerkung: Liegen Dir diesbez. neuere Erkenntnisse vor? Das würde mich interessieren, weil ich mich mit diesen Fragen schon eine Weile beschäftige. Renommierte Mozartforscher wie Deutsch, Einstein oder Hutchings nehmen sich da nämlich zurück. Der „Historiker“ Harnoncourt sagt in einem Interview lediglich:
„Es gibt wahrscheinlich keinen Komponisten, der pro Oper mehr verschiedene Tempi verlangt und der deshalb mehr ringt um die genaue Einordnung eines bestimmten Tempos in den Zusammenhang als Mozart.“ Und an anderer Stelle: "Die Tempoangaben bei Mozart. Diese sind äußerst genau, aber auch schwierig zu interpretieren….".
Von Mozart selbst gibt es, auf ein von einem Kollegen gespieltes Klavierkonzert bezogen den Satz: „viell zu geschwind“, der zwar impliziert, daß Mozart nichts von sehr forciertem Tempo hielt, der aber auch mangels Bezugspunkt wenig aussagt.

Die Menge an Literatur allein über das Tempo bei Mozart zeigt, dass es ein schwieriges Kapitel ist.
http://www.mozarteum...ci%2DTsz&STWID=12898

Vier Stunden reine Spieldauer finde ich auch ziemlich unwahrscheinlich, allerdings war es damals ja üblich, zumindest die Arien da capo zu singen, von daher kann man eventuell auf diese Zeit kommen. Heute werden (Sprech)Teile gerne mal weggelassen,worüber man geteilter Meinung sein kann (z. B. bei der Zauberflöte 2. Aufzug, erster Auftritt). Daß langsamer als heute gesungen wurde, kann ich mir nicht vorstellen. Harnoncourt wirft man z. T. vor, die Rezitative und Finali auszudehnen.
Im Mozartjahr 2006 bringen die Wiener Staatsoper und die Volksoper Wien u.a. die Zauberflöte und geben als Dauer inkl. Pause 3 Stunden an. Beim Theater an der Wien fehlt die Zeitangabe.

Gruß,
Susanna

P.s. sorry für das OT, es geht ja eigentlich um Bach!
antiphysis
Stammgast
#33 erstellt: 22. Nov 2004, 21:56
Auch ich habe mir kürzlich die Stadtfeld-Aufnahme zugelegt und war ziemlich geplättet.
Dabei empfinde ich die Frage des Tempos als eher nachrangig, sofern das Gesamtkonzept überzeugt. Das Problem fängt schon damit an, dass man eigentlich keinen modernen Flügel verwenden sollte, wenn es um "Authentizität" geht. Tut man's doch, so kann man sich etliche Freiheiten erlauben - was Stadtfeld auch praktiziert.
Jedenfalls war und bin ich von solcher Fingerfertigkeit überwältigt. Bei Gould ging es mir auch nicht anders.
Die heutige Manie, alles so authentisch wie möglich machen zu wollen, hinkt außerdem, wenn man sich die Praxis der Schaffenszeit betrachtet, doch gewaltig. Da wurde improvisier, plagiiert, zitiert, recycelt.
Insofern: Bach ist für uns alle da, ob schnell oder langsam. DIE wahre Interpretation gibt es wohl nicht.

Grüße
peet_g
Stammgast
#34 erstellt: 23. Nov 2004, 08:39
@ Susanna

Hallo Susanna,

ich habe mich über deine fundierte Anfrage sehr gefreut!

Meine Äusserung basiert auf alten Erkenntnissen. Sie stammen aus Biographien: Zeitgenossen haben es mehrfach beschrieben, daß Mozarts schnelles Tempo aussergewöhnlich schnell war, daß er in der Opernpraxis und in Klavierkonzerten stetig das schnellere Tempo erforderte. Das bedeutet, ich beziehe mich in diesem Zusammenhang nicht auf die Tempoangaben, sondern auf die Überlieferung seiner Praxis.

Vergleichbare Beschreibungen zum Tempogefühl von Bach besitzen wir nicht.

Gruß
Susanna
Hat sich gelöscht
#35 erstellt: 23. Nov 2004, 23:45
Hallo peet,

peet_g schrieb:
@ Susanna

ich habe mich über deine fundierte Anfrage sehr gefreut!

...und ich mich über Deine Antwort!
Das Thema beschäftigt mich noch ein wenig.
Ich fand in meiner Mozartbibliothek auch zwei Dokumente, die (subjektiv) schnelles Klavierspiel Mozarts bezeugen. Einmal beim Spiel des 15-jährigen in Verona („mit außerordentlicher Schnelligkeit“), dann des 21-jährigen in Augsburg („außerordentlich geschwinde“). Es waren Demonstrationen seines Virtuosentums. Für das Spiel des späten u. reifen Mozart finden sich andere Vokabeln. Über die Oper besitze ich keine Aussagen.
Tempobezeichnungen sind bei M. ohnehin schlicht u. ein Allegro selten mit der Bezeichnung „moderato“ oder „con spirito“ verbunden. Ein Zusatz wie „maestoso“ meint bei ihm etwas Spezielles u. verändert die Situation nachdrücklich. Es war eben ganz allgemein für Komponisten vor der Erfindung des Metronoms schwierig, sich präzise auszudrücken, das wurde im Thread weiter oben schon gesagt.
Uns bleibt nur Spekulation und wie Du sagst, das Tempogefühl. Jetzt aber wirklich genug davon!

Vergleichbare Beschreibungen zum Tempogefühl von Bach besitzen wir nicht.

Ja, das ist schade, allerdings durfte man zu seiner Zeit noch freizügiger instrumentieren und interpretieren.

Gruß,
Susanna
AcomA
Stammgast
#36 erstellt: 28. Nov 2004, 14:18
Ich möchte gerne zum 'Italienischen Konzert' und dem c-moll Präludium aus dem WTK I Stellung nehmen. Ich bin ein Klavierfanatiker und bevorzuge in jedem Falle Bach auf dem modernen Flügel. Maurizio Pollini äußerte in einem Interview dahingehend, dass Bach instrumentellen Innovationen aufgeschlossen war und mit großer Wahrscheinlichkeit heute auch auf den modernen Flügel zurückgreifen würde.

Das 'Italienische Konzert' ist heutzutage schon etwas 'verbraucht', es gibt kaum einen Pianisten, welcher bei seinem Bach-Debut nicht dieses Werk spielt. Glenn Gould's Aufnahme (Ende der 50er Jahre) war sicherlich etwas Besonderes da Neues. Er spielte ebenfalls den letzten Satz in einem rasanten Tempo. Da er jedoch eine starke linke Hand besaß, konnte er die polyphone Struktur exzellent herausmeißeln, so dass diese Aufnahme auch heute noch begeistert. Es gibt jedoch Pianisten, welche die Materie mehr aus sportlicher Sicht angehen, nach dem Motto 'lauter, schneller und höher'. dazu gehören Alexis Weissenberg, Andrei Gawrilov und so meine ich auch Martin Stadtfeldt. Das hat mit Musik nicht mehr viel zutun und bei wiederholtem Hören kommt eine gewisse Langeweile und Leere zustande. Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass das Zentrum dieses Werkes der 2. Satz ist, in dem es darauf ankommt zu 'singen' ziehe ich die Interpretationen folgender Pianisten vor: Andras Schiff, Murray Perahia, Alfred Brendel und Cyprien Katsaris. Und diese Pianisten spielen den Finalsatz auch nicht gerade behäbig, im Gegenteil, sie vermögen durch die Unabhängigkeit der Hände und Anschlagsraffinesse eine Eleganz und tänzerisches Element mit motorischem Drive hereinzubringen.

Bei dem c-moll Präludium aus dem WTK I gibt es eine Besonderheit, welche ich anhand einer eigenen Anekdote erzählen möchte. Wir hatten in der 10. Klasse (vor etwa 24 Jahren) einen Musiklehrer, welcher sogar ausgebildeter Konzertpianist war. Damals ging es um das obige Präludium mit seiner Fuge. Er spielte selbst am Flügel das Präludium (einmal daneben gegriffen) und stellte im Anschluss das Stück auf Vinyl mit Sviatoslav Richter vor. Danach fragte er, ob jemand einen gravierenden Unterschied bemerkt hätte. Ein Klassenkamerad meinte, der Lehrer hätte an einer Stelle eine falsche Note gespielt, was zu allgemeinem Gelächter führte (unser Lehrer war schon etwas verärgert). Dann erklärte uns der Lehrer, dass S. Richter dieses Stück nicht richtig interpretiert hätte. Und es stimmt tatsächlich. Bach notierte im letzten Abswchnitt dieses Präludiums (Kadenz und Coda) ein Presto. Richter jedoch spielt das Stück von Anfang an sehr schnell also presto, so dass er im besagten Abschnitt das Tempo nicht mehr erkennbar steigern kann, wobei die Hände auch nicht mehr sauber konform laufen. Pianisten, welche den Notentext genau studiert haben sind zum Beispiel Edwin Fischer, Wilhelm Kempff, Friedrich Gulda und Andras Schiff sowie der exzentrische Glenn Gould.

Mit freundlichen Grüßen

Siamak
ph.s.
Inventar
#37 erstellt: 28. Nov 2004, 22:32
@ Siamak

Du sprichst mir aus der Seele!
Dein Beitrag stimmt genau mit meiner Sicht überein!

Liebe Grüße Philipp
Breidenstein
Neuling
#38 erstellt: 22. Jun 2005, 19:36
Toll, dass hier eine so lebhafte Diskussion über die richtigen Tempi für Bach und Mozart stattfindet!
Den alten Quantz sollte man mit Vorsicht anwenden: seine Tempo-Tabelle ist gedacht für „junge Leute, die sich der Tonkunst widmen“ (Vorwort), also für ANFÄNGER und nur eine ganz grobe Richtschnur für die Bestimmung der Tempi. Nirgendwo sagt er, dass damals von PROFIS derart undifferenziert musiziert wurde. Im Gegenteil sagt er: „Es giebt zwar derselben [Zeitmaße] in der Musik so vielerley, daß es nicht möglich seyn würde, sie alle zu bestimmen“ (S. 262). Leider ist mangels anderer Quellen mit diesen simplen Angaben ungeheurer Missbrauch getrieben worden. F.W. Marpurg sagt 1763 in seiner "Anleitung zur Musik": „Der ordentliche Werth [des 4/4] muß aus dem Gebrauche erlernet werden, da der Pulsschlag so wenig eine unfehlbare Regel ist, als der Schritt eines Menschen.“ Und Jo. A.P. Schulz sagt, "daß die Bewegung [das Tempo] unendlicher Grade des Geschwindern und Langsameren fähig ist, die unmöglich durch Worte oder andere Zeichen zu bezeichnen wären."

Schaut mal in meine homepage [url]www.mozart-tempi.net. Dort findet ihr mehr darüber.
Susanna
Hat sich gelöscht
#39 erstellt: 22. Jun 2005, 20:32

Breidenstein schrieb:
Toll, dass hier eine so lebhafte Diskussion über die richtigen Tempi für Bach und Mozart stattfindet!

Hallo Helmut,

toll, daß Du so schnell hierher gefunden hast!

Auch hier nochmal vielen Dank für die für mich hochinteressanten Erkenntnisse, was die Tempi, bzw. Tempobezeichnungen bei Mozart betrifft!
Ich hoffe, hier im Forum noch mehr von Dir zu lesen!

Viele Grüße,
Susanna
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