Reparatur quadral TAURIN MK III mit LTS50 und Staubsauger

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HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 15. Aug 2023, 13:09
Für alle, die ähnliches vorhaben - ein paar Infos und der Versuch einer Dokumentation.
Vorgeschichte
Nach einem Aufruf im örtlichen Kinoklub nach gebrauchten passiven Lautsprechern fanden sich bei einem Mitglied im Keller 2 quadral TAURIN MK III Lautsprecher mit je 150 W Nennleistung bei 4-8 Ohm. Herstellungsjahr vermutlich 1995. An sich nicht schlecht für die Ablösung der uralten AEG Lautsprecher im Kino:Taurin-MK III
Aber: Die Boxen standen seit Jahren unter fragwürdigen klimatischen Bedingungen in einem Keller. Die Kinder des Besitzers waren längst erwachsen - ihr früherer Spieltrieb hat sich aber in den Chassis verewigt. Praktisch alle Staubschutzkappen, sowie die Gewebekalotten beider Hochtöner waren mehrfach eingedrückt.
Das massive Holz der Boxen war im unteren Bereich etwas aufgequollen und die Abdeckgitter waren nach zwei Umzügen nicht mehr auffindbar.
Ein erster Hörtest bestätigte die Vermutung: beide Boxen klangen unglaublich dumpf und sollten eher in den Schrott.
Da unser Kinoverein aber nur begrenzte Mittel hat, wurde nun ein Rettungsversuch gestartet …
Taurin-Ettikett
Boxenanalyse
Taurin-Frequenzgang vorher
Als erstes wurde der Frequenzgang beider Boxen mit REW und einem Messmikrofon aufgenommen und die subjektive Einschätzung konnte bestätigt werden. Die Abnahme des Schalldruck bereits ab 2 kHz ließ auf ein massives Problem mit dem Mittelhochtöner (MT) und dem Hochtöner (HT) bzw. den Kondensatoren in der Weiche der 4-Wege Boxen schließen. Die eingedrückten Staubschutzkappen der 3 Tieftöner sind optisch sicher nicht schön, haben aber wohl wenig Einfluss auf Frequenzen >2 kHz. Daher wurde eine Box geöffnet und die Weiche begutachtet. Leider kam man da zum Messen nicht so richtig ran – die Kabel sind zu kurz und nur verlötet. So wurde die Platine abgeschraubt und die Kabel kurzerhand abgekniffen, natürlich wurde vorher alles fotografiert. Die Schaltung der Weiche wurde dokumentiert und die Bauteile durchgemessen.
HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 15. Aug 2023, 13:12
Taurin-Weiche
Alle Bauteile waren in der Norm, die Kondensatoren waren sogar ca. 5 % größer als angegeben. Somit gibt es elektronisch keine Alterungserscheinungen. Auch der Verdacht, dass die Sicherung am Hochtöner möglicherweise wegen Überlast hochohmig geworden wäre, bestätigte sich nicht. Ihr Widerstand betrug 0,5 Ohm. Die Sicherung (X065) ist für maximal 1,3 A ausgelegt, das wären bei 6 Ohm maximal 10 W für den Hochtöner. Das ist durchaus üblich, dass der Hochtöner nur ein zwanzigstel der Nennleistung einer Box schafft. Für Musik, mit lauten Bässen ist das ok. Deshalb werden die Boxen ja auch lt. Norm mit rosa Rauschen getestet. Bei Sound Wiedergabe mit lauten Frequenzen > 1 kHz ist das aber zu wenig.
Beim Wiedereinbau mussten nun die zu kurzen Kabel per Lüsterklemmen verlängert werden – in der Box löten kam wegen des engen Bauraumes nicht in Frage.
Nächste Schritte waren das Befestigen der Bassreflexrohre, das Beseitigen der Dellen in den Membranen und die Regenerierung der Kalotten-Hochtöner.
Befestigen der Bassreflexrohre und Reparatur der Gehäuse
Die Bassreflexrohre bei den Taurin Boxen sind Kunststoffrohre mit Weichmacheranteil und somit langfristig nicht mit Heißkleber im Holzgehäuse zu befestigen. Quadral hat es trotzdem getan, nun ja. Abhilfe gelingt mit einfachem Tape – nun klemmen sie stabil in den Öffnungen:
Taurin-Bassreflexrohr
Das vor Jahren etwas aufgequollene Holzgehäuse war trocken und die Stabilität hatte nicht gelitten. Mit ein paar Tropfen Holzleim (Ponal) wurden die Fugen gefüllt.
HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#3 erstellt: 15. Aug 2023, 13:15
Membranen „ausdellen“
Die stark in Mitleidenschaft gezogenen Membranen wurden per Trick mit dem Staubsauger weitgehend wiederhergestellt. Dazu konnte auf ein Polsterreinigungs-Zusatz des mit 1600 W recht kräftigen Bodenstaubsauger zurückgegriffen werden. Das Ende wurde so abgeklebt, dass eine quadratische Öffnung von ca. 1x1 cm verblieb.
Taurin-Staubsauger
Selbst mit voller Leistung des Staubsaugers gingen die Dellen wie gewünscht nur bei direktem Kontakt mit den Membranen heraus. Mit vorsichtigen Bewegung insbesondere an den Bruchflächen ließ sich so die Struktur Stück für Stück korrigieren. Nicht alle Knicke konnten beseitigt werden, aber zu 90 % war die Optik und hoffentlich auch die Akustik wieder hergestellt.
Die Membranen wurden mit einem feuchten Küchentuch vom Staub gereinigt.
Im Anschluss wurden alle Tieftöner und der Mittel-Hochtöner drei mal mit LTS50, dem geschwärzten Holzkaltleim von Visaton, gestrichen. Die Trockenzeit zwischen den Anstrichen sollte mehr als 4 Stunden betragen, da der Leim relativ viel Wasser enthält und somit langsam trocknet. Beim Trocknen verwandelt sich die graue Flüssigkeit tatsächlich in eine dünne aber schwarze, feste und glänzende Oberfläche. Die genauen Inhaltsstoffe sind offiziell natürlich nicht bekannt.
Taurin-LTS50 1Taurin-LTS50 2
Vorher:
Taurin-Membranen vorher
Nachher:
Taurin-Membranen nachher
Geschafft! Nun ging es an das Highlight – den Hochtöner.
HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 15. Aug 2023, 13:19
Hochtöner regenerieren
Nun wird es knifflig. Einen Hochtöner auseinandernehmen ist nicht schwer, aber nach dem späteren Zusammenbau sollte er ja wieder funktionieren – und möglichst besser als vorher! Daher vorsichtig und vor allem sauber arbeiten! Nach dem Abschrauben des Magneten wurde das Dilemma sichtbar – die Beschichtung am Diaphragma hatte sich zu großen Teilen bereits gelöst.
Taurin-Diaphragma 1
Mit Pinzette und Pinsel wurden die losen Teile entfernt. Nur noch 30 % der Oberfläche waren beschichtet und leiteten bedingt die Energie von der Spule auf die Luft weiter. Im nächsten Schritt wurde die Membran umgedreht und von innen mit einem Ohrenstäbchen mit Nitroverdünner befeuchtet. Achtung! Der aggressive Verdünner darf nicht am Rand auf die Membran-Verklebung gelangen und sie anlösen! Nun kann man vorsichtig den Rest der Beschichtung entfernen.
Taurin-Diaphragma 2
Nach dem Trocknen habe ich eine neue Beschichtung aufgebracht. In Ermangelung einer speziellen Kalotten-Tinktur wurde wieder LTS50 verwendet, dass nach dem Trocknen sehr hart wird. Zweimaliges Streichen schließt zuverlässig alle Poren im Gewebe. Eine nachfolgende dritte Prozedur auf der Innen- und Außenseite stabilisiert die Halbkugel zusätzlich. Hinweis: Zu viel Leim bringt unnötig Gewicht und die Kalotte verliert „Brillanz“ in der Wiedergabe.
Taurin-Diaphragma 3
Taurin-Diaphragma 4
Nun gilt es die ferromagnetische Flüssigkeit im Ringspalt des Magneten zu begutachten. Sie sollte noch ausreichend vorhanden und nicht zähflüssig oder gar fest sein. Beim vorliegenden HT war sie dunkel rotbraun aber sonst ok. Sie hatte sich im unteren Teil des Spalts gesammelt und konnte mit einer Nähnadel wieder gleichmäßig verteilt werden. Wäre sie fester, müsste sie komplett entfernt und ersetzt werden. Über das Für und Wider der ferromagnetischen Flüssigkeit wurde schon viel geschrieben, bei einer Reparatur sollte sie aber im HT verbleiben, da die Auslegung der Weiche von ihr abhängt und spätere Resonanz­überhöhungen man nicht so einfach „weg gebügelt“ bekommt.
Nach dem Trocknen kann der HT wieder zusammengesetzt werden. Der vorliegende 92 3029 ist dabei anspruchslos – die Plastikteile passen auf 1/10 mm genau aufeinander, ein zusätzliches Zentrieren war nicht notwendig. Notfalls, wenn sich der Membranträger justieren ließe, benötigt man einen Frequenzgenerator mit ca. 400-600 Hz. Angeschlossen an den HT wird auf maximale Lautstärke justiert und dass kein „Kratzen“ zu hören ist. Ist aber eine Fummelei.
HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#5 erstellt: 15. Aug 2023, 13:21
Experimente und Ergebnis
Anschließend wurden die Hochtöner wieder eingebaut und der Frequenzgang der beiden Boxen erneut überprüft. Da bei der ersten Messung im Bereich 170 … 400 Hz möglicherweise störende Bodenreflexionen auftraten (Erfahrungen von einem anderen Projekt), wurde bei den folgenden Messungen die Box auf einen Winkel von ca. 30° gekippt.
Taurin-Messung im Garten
Das Messmikrofon UMIK-1 wurde für Testzwecke zunächst in einer Entfernung von 1,2 m und für die Abschlussmessungen in 2 m Entfernung aufgestellt. Dabei bestätigte sich, dass der Frequenzbereich 100 … 500 Hz wegen Bodenreflexionen nicht aussagekräftig ist. Vielleicht war auch die Katze schuld ;-) Bei Experimenten am Mittelhochtöner wurde klar, dass er nur zur Korrektur des HT eingesetzt ist. Das erklärt auch die phasengedrehte Ankopplung des MT und die Abschwächung per Widerständen. Der Widerstand 5,6 Ohm musste letztlich sogar noch auf 4 Ohm verringert werden, um ein gleichmäßigeres Ergebnis zu erreichen.
Die beiden Hochtöner sind durch die Arbeiten an den Gewebekalotten deutlich besser geworden, allerdings in etwas unterschiedlicher Weise. Im Bereich 3,5 … 9 kHz verbleibt eine Dämpfung von 7 … 10 dB bei beiden Boxen und bei höheren Frequenzen ist bei Box II bereits bei knapp 12 kHz Schluss. Möglicherweise habe ich hier etwas zu viel LTS50 aufgetragen. In Zukunft also nur 2 mal streichen.
Beim Hörtest waren die Höhen wieder vorhanden, aber natürlich kein Vergleich mit z.B. KE25SC. Positiv an den Boxen ist die tiefe untere Grenzfrequenz, die für das Kino neben dem heute üblichen Subwoofer ein breiteres Bassfundament im Raum bereitstellt – korrekte Einstellungen im AV-Receiver natürlich vorausgesetzt.
Frequenzgang nachher:
Taurin-Frequenzgang nachher
HeimElektroniker
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 15. Aug 2023, 13:28
Ersatz der Hochtöner durch chinesische GL500
Um die Problematik der nicht optimal reparierten qudral-Hochtöner zu lösen, wurde ein weiterer Versuch gestartet: Mit der „gigantischen“ Investitionssumme von 20 Euro wurde ein Paar GL500 beschafft und einer zunächst in eine Box eingebaut. Es waren so ziemlich die einzigen quadratischen Hochtöner mit passenden mechanischen und elektrischen Eigenschaften. Es war klar, dass der Phasen- und Frequenzgang bei so billigen Hochtönern nicht besonders sein kann, es ist „schräg“. Die Messung auf dem Schreibtisch bestätigte das:
Taurin-GL500 pur Frequenzgang
Im Frequenzbereich 11 … 14 kHz gibt es eine starke Phasendrehung verbunden mit starken Amplitudenschwankungen. Beim Test der kompletten Box mit den neuen Hochtönern war ich aber durchaus angetan von dieser Ersatz-Lösung. Der Hörtest zeigte Brillianz im Klang und messtechnisch gab es nur den Abfall bei 9 … 11 kHz. Die Phasendrehungen konnte ich nicht heraushören.
Frequenzgang TAURIN mit GL500:
Taurin-Frequenzgang mit GL500
Nachteilig bei dieser Version ist, dass eine Kompensation der akustischen Fehlstellen nun nicht mehr möglich sind, der Aufwand wäre zu hoch.
Andererseits lassen sich die originalen Hochtöner relativ unproblematisch gegen GL500 austauschen:
Taurin HT Wechsel 1Taurin HT Wechsel 2Taurin HT Wechsel 3

Elektrisch passen sie ebenso optimal – die Frequenzweiche muss nicht verändert werden.
Nachrüstung Speakon-Buchsen
Für den mobilen Einsatz sind in unserem Kino alle Boxen mit farbigen Speakon-Buchsen ausgestattet. Das erlaubt auch Technik-Laien die Anlage für Freilichtveranstaltungen aufzubauen. Zur Verkabelung hat sich H07RN-F Gummileitung 4x1,5 mm² bewährt. Da es noch keine Normung gibt, hier die Farb-Kodierung für unsere 5.1 Anlage:
vorn links - schwarz
vorn rechts- rot
Center- blau
Surr rechts- orange
Surr links- gelb
Subwoofer- Spezial-Doppelkabel (230V/XLR),
Parallelbetrieb von Lautsprechern (wo es möglich ist) – grün
Taurin-Farbkodierungen
Die beiden Taurin-Boxen sind nun mit sw/rt Buchsen einsatzbereit.
Fazit
Die Reparatur der beiden Boxen war für den anvisierten Zweck erfolgreich. Die Dämpfung um 6 kHz lässt sich mit dem originalen Hochtöner per AV-Receiver ausgleichen und Frequenzen > 14 kHz gibt es im Kino ohnehin nicht. Bei den chinesischen Hochtönern ist das jüngere Kino-Publikum (nur das ohne Disko-Schäden!) etwas benachteiligt. Die Entscheidung, welche Version ins Kino kommt, ist noch offen – das möchte ich nicht allein entscheiden.
Zurück bleibt ein zwiespältiges Gefühl – da der Klang einer hochwertigen Box extrem vom Hochtöner beeinflusst wird, sollte ein Austausch des HT durch einen originalen der beschriebenen Reparatur bzw. einem billigen Ersatz immer vorgezogen werden.
PS: Nun fehlen uns nur noch 2 Schutzgitter für die Boxen … Kann da jemand helfen???
Mechwerkandi
Inventar
#7 erstellt: 15. Aug 2023, 13:37
Angewandte Nachhaltigkeit.
Find' ich gut.
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