Mussorgski, Modest

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 20. Mrz 2009, 21:18



Haben wir tatsächlich immer noch keinen Mussorgski Thread? Mich wundert das irgendwie - ein so wichtiger Komponist und immer noch keinen Thread.

Was kennt man von Mussorgski? Auf jeden Fall die Bilder einer Ausstellung, meistens orchestriert von Ravel. Oder aber auch die originale Klavierfassung. Die Nacht auf dem kahlen Berge könnte man auch kennen, auch ein tolles orchestrales Stück. Dann kenne ich noch die wundervoll atmosphärische Ouvertüre aus der Oper Chovantschina ( für diese Oper gibt es anscheinend eine Unmenge verschiedener Schreibweisen) und auch das Zwischenspiel. Alle diese Stücke habe ich auf einer CD mit dem Tiblisi Orchester - ne billige CD, aber gar nicht schlecht. Jetzt habe ich mir kürzlich fast das gleiche Programm mit den Wiener Philharmonikern unter Gergiev bestellt, die bald eintrudeln dürfte.

Dann habe ich vor Urzeiten mal die Lieder und Tänze des Todes angehört, wahrscheinlich orchestriert von Schostakowitsch, die, wie ich mich erinnere, sehr eindrucksvoll waren, aber bisher habe ich sie mir noch nicht auf CD besorgt.

Außerdem hatte ich mal den Boris Godunov aus der Bücherhalle ausgeliehen, in dem es großartige Szenen gab - aber manches hat mich auch gelangweilt, so daß es nicht zum Erwerb von CDs kam.

Was im Falle Mussorgski wohl fehlt, ist das Supersonderangebot von Brilliant - da scheint es gar nichts zu geben. Ich habe auch keinen wirklichen Überblick über das Schaffen von Mussorgski.

Was man Mussorgski wohl immer nachsagt, ist, daß er sehr schlecht hat orchestrieren können. Deshalb ist der Boris Godunov auch von Rimski Korsakov neu orchestriert worden, so wie Chovantschina von Schostakowitsch. Aber auch hier fehlt mir der Überblick - ich weiß nicht, wie da wirklich der Diskussionsstand ist und ob man nicht vielleicht doch auf die Urfassugen zurückgreift.

Insgesamt muß man aber sagen, daß Mussorgski wirklich sehr bedeutend ist. Das wird von niemandem bestritten. Aus dem mächtigen Häuflein ( Borodin, Rimski Korsakov, Balakirev, Mussorgski, Cui), daß sich zum Ziel gesetzt hatte, "nationalrussische" Musik zu machen, war er mit Sicherheit der bedeutendste. So gilt Mussorgski als eine Art Antipode zu Tschaikovski, der als "westlicher" gilt - und er ist ein sehr würdiger Antipode.

Es ist dann auch in diesem Forum wieder merkwürdig, daß es keine Diskussion über einen wirklich so wichtigen Komponisten wie Mussorgski gibt und auch wenn meine Diskographie im moment noch ziemlich erbärmlich ist, hoffe ich doch, daß eine Diskussion um Mussorgski in Gang kommt, weil Mussorgski wirklich eine Fähigkeit hat - auch in seiner Verbindung zum Volkshaften - einen elementar zu packen und diese Fähigkeit haben wirklich nur sehr wenige Komponisten und keiner so wie Mussorgski - ein Grund, sich wirklich einmal intensiver mit Mussorgski auseinanderzusetzen, auch wenn ich selber ihn leider immer noch zu wenig kenne.

Gruß Martin
op111
Moderator
#2 erstellt: 20. Mrz 2009, 23:50

Martin2 schrieb:
Haben wir tatsächlich immer noch keinen Mussorgski Thread?


Jetzt schon!

Danke!


Franz
arnaoutchot
Moderator
#3 erstellt: 21. Mrz 2009, 00:58
Habe anderenorts diese Audio-Blu Ray genannt.



Enthält mit "Nacht auf dem Kahlen Berge", "Bilder einer Ausstellung" und den Synthesis von "Khovanshchina" und "Boris Godunov" alles Wesentliche, und zwar in den Transkriptionen von Leopold Stokowski. Klanglich mit das Fortgeschrittenste, was aktuell auf dem Markt ist (7.1 DTS HD Master Audio). Gerade die "Bilder einer Ausstellung" sind doch ganz erheblich anders orchestriert als die wesentlich bekanntere Ravel-Verision. Das ganze gibt es allerdings auch als ganz normale Naxos CD



P.S. Wer die Naxos CD gerne hätte, ich hätte sie übrig ...

Grüße Michael
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 21. Mrz 2009, 10:48

arnaoutchot schrieb:

Enthält mit "Nacht auf dem Kahlen Berge", "Bilder einer Ausstellung" und den Synthesis von "Khovanshchina" und "Boris Godunov" alles Wesentliche, und zwar in den Transkriptionen von Leopold Stokowski.


Hallo Michael,

ist das wirklich "alles wesentliche"? Ich bezweifle dies. Was ich mir auf jeden Fall irgendwann wieder holen werde sind die "Lieder und Tänze des Todes", die ich in der Orchestration von Schostakowitsch kennen gelernt habe. Es gibt aber anscheinend auch eine Reihe kurzer orchestraler Stücke, die ich - glaube ich - mal auf einer LP hatte.

Auch wenn ich beim Hören des Boris Godunov das Gefühl hatte, daß Mussorgski da selten "schöne Arien" geschrieben hat, möchte ich mich bei Gelegenheit den Opern noch mal widmen.

Mich hätte es in diesem Thread gefreut, jemanden kennen zu lernen, der sich mit Mussorgski sehr ernsthaft auseinandergesetzt hat - mir scheint es zu oft auf die Bilder einer Ausstellung und ein paar Best of Schnipsel heraus zu laufen. Und die Bilder einer Ausstellung höre ich doch am liebsten in der Orchestration von Ravel - hörte auch mal das Stück in einer anderen Version, aber die Instrumentation von Ravel ist wohl zu Recht berühmt und eigentlich Standard.

Gruß Martin
op111
Moderator
#5 erstellt: 21. Mrz 2009, 11:23

Martin2 schrieb:
Auch wenn ich beim Hören des Boris Godunov das Gefühl hatte, daß Mussorgski da selten "schöne Arien" geschrieben hat, möchte ich mich bei Gelegenheit den Opern noch mal widmen.


Beim Boris hat man das Problem, daß es nicht nur einen Boris gibt sondern verschiedene Fassungen die auch noch in den unterschiedlichen bearbeiteten Aufnahmen/Aufführungen vorliegen. Zwischen der Originalfassung und Karajans-Plüsch-Boris liegen Welten.


Martin2 schrieb:
Mich hätte es in diesem Thread gefreut, jemanden kennen zu lernen, der sich mit Mussorgski sehr ernsthaft auseinandergesetzt hat

Allzu riesig ist das Oevre nicht.
Etwas überspitzt gesagt: Die Herren des mächtigen Häufleins sprachen mächtig dem Wodka zu und haben es selten mal für nötig angesehen, ein Werk zu vollenden.
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 21. Mrz 2009, 11:47
Hallo Franz,

also daß Mussorgski ein Alkoholproblem hatte, habe ich schon gehört. Glazunov soll ja auch Alkoholiker gewesen sein, wie auch Schostakowitsch berichtet, abgesehen davon daß Glazunov in volltrunkenem Zustand als Dirigent die Uraufführung von Rachmaninovs 1. Sinfonie verhunzte.

Allerdings ist es mir nicht bekannt, daß nun alle Herren vom mächtigen Häuflein Alkoholiker gewesen sind. Borodin etwa muß ein äußerst tüchtiger Mensch gewesen sein. Hauptberuflich war er Chemiker und legte eine ordentliche akademische Karriere hin, dann war er eben Komponist und schließlich opferte er angeblich viel Zeit - worüber sich Schostakowitsch sehr beklagte - für die ihm sehr am Herzen liegende Frauenfrage.

Insgesamt ist dieses "mächtige Häuflein" sicher schon eine sehr faszinierende und auch talentierte Komponistengruppe. Wobei dieser Cui wohl so eine Art Eckermann der Gruppe war - außer irgendwelchen Salonstücken soll er nichts zustande gebracht haben. Aber Mussorgski war hoch genial, Borodins Sinfonien gefallen mir sehr gut und Rimski Korsakov ist sicher auch sehr gut. Balakirev gilt als die "große Glucke", wohl der älteste der Gruppe ( ?) und damit eine Art Mittelpunkt. Balakirev kenne ich allerdings überhaupt nicht. Aber vielleicht ließe sich bei Gelegenheit irgendwann noch mal ein Sonderthread zum Thema "mächtiges Häuflein" machen.

Gruß Martin
arnaoutchot
Moderator
#7 erstellt: 21. Mrz 2009, 12:33

Martin2 schrieb:

arnaoutchot schrieb:

Enthält mit "Nacht auf dem Kahlen Berge", "Bilder einer Ausstellung" und den Synthesis von "Khovanshchina" und "Boris Godunov" alles Wesentliche, und zwar in den Transkriptionen von Leopold Stokowski.


Hallo Michael,

ist das wirklich "alles wesentliche"?

Gruß Martin


Ja, für mich schon. Oper und Lied interessieren mich weniger, die "Die Lieder und Tänze des Todes" hab ich mir mal angehört, war "not my taste".

Tut mir leid, daß ich Deiner Anforderung nach einer "sehr ernsthaften" Auseinandersetzung nicht gerecht werde.


also daß Mussorgski ein Alkoholproblem hatte, habe ich schon gehört.


Na schau Dir mal die Schnapsnase auf dem Bild von Dir oben an, die kommst sicherlich nicht nur von der sibirischen Kälte. Aber das macht ja nichts, viele musikalische Genies hatten ja ein kleines Drogenproblem ...

Grüße Michael
Kreisler_jun.
Inventar
#8 erstellt: 21. Mrz 2009, 12:35
Glasunov hat ziemlich viel komponiert, Rimsky erst recht. Borodin war, wie schon gesagt, Chemieprofessor im Hauptberuf; die wenigen Werke sind aber sehr gut (2. Sinfonie, Streichquartette) und sehr sorgfältig ausgearbeitet. Balakirev hat seltsamerweise auch nicht viel geschrieben, obwohl er recht alt wurde, wohl hauptsächlich gelehrt. Sein mit Abstand bekanntestes Werk ist die hochvirtuose "Zugabe" "Islamey"; sie Sinfonien habe ich irgendwo, die sind auch ganz nett.

Mussorgsky war Alkoholiker und wurde nur etwa 40 Jahre alt. Seine Hauptwerke sind mehrere Opern, von denen kaum eine völlig komplettiert wurde. Der eigentliche Stolperstein scheint hier auch weniger fehlendes Können als die außerordentliche (allerdings tatsächlich "unakademische") Kühnheit in Orchestrierung und Harmonik gewesen zu sein.
Mehr noch, die Opern haben keine hübschen Arien, keine wirklichen Helden und nichtmal besonders stringente Handlungen. Ich kenne zwar nur Boris Godunow einigermaßen. Aber auch das ist eher eine Reihe von Tableaux ohne wirkliche Entwicklung, aber auf seine Art zweifellos sehr beeindruckend und eben hochgradig originell. Für die beiden anderen Opern "Chowanschtschnina" und "Jahrmarkt von Sorotschintzi" (wohl eine komische Oper) gilt das angeblich noch in höherem Maße. Deswegen und aufgrund der komplexen Fassunggeschichte und wohl auch wegen des Aufwands (riesige Chorpartien, Sprachproblem), werden die Opern nicht oft gegeben, und wenn dann Boris. Und Aufnahmen sind außer bei Boris und den Bildern auch eher dünn gesät.

Die beiden Liederzyklen (es gibt noch mehr Lieder) "Lieder & Tänze des Todes" und "Ohne Sonne" sind ebenfalls sehr beeindruckend (und düster), aber vermutlich kommt auch hier wieder das Sprachproblem zum Tragen.

viele Grüße

JK jr.
Martin2
Inventar
#9 erstellt: 21. Mrz 2009, 13:16
Hallo Kreisler Junior,

freut mich, daß Du hier weiter Deine äußerst versierten Beiträge schreibst.

... nach allem was in den letzten Tagen hier geschehen ist. Ich hoffe, wir bleiben im Gespräch - im schlimmsten Fall im Ersatzforum, was man abwarten muß. Dies natürlich OT, aber durchaus aktuell.

Ansonsten danke für Deine wiegesagt äußerst versierten Hinweise. Woran mir halt auch gelegen wäre, wären CD Empfehlungen - der Mussorgski orchestriert von Stokowski interessiert mich weniger. Ich werde auf jeden Fall noch mal schauen, was die Bücherhalle so hat.

Schön wären auch gute Opern DVDs von den Opern Mussorgskis, aber da ist mir noch gar nichts über den Weg gelaufen. Im übrigen sehe ich, daß Du wie ich die Abwesenheit "schöner Arien" bei Mussorgski registrierst, aber da ist es mit Mussorgski vielleicht ähnlich wie bei Wagner, der ja auch wenig Bel Canto mäßiges vorlegt.

Mussorgski ist jedenfalls hochgenial und, mich mit ihm noch einmal gründlicher auseinanderzusetzen, ist etwas, was für mich sicher immer noch einmal ansteht. Nur leider sind Opern CDs meistens sehr teuer und ich muß eben sagen, daß mir der Boris Godunov nicht durchgehend so gut gefallen hat, obwohl es in dieser Partitur ungemein großartige Sachen gibt wie - wenn ich mich recht erinnere - diese Krönungsszene.

Gruß Martin
Whomario
Ist häufiger hier
#10 erstellt: 21. Mrz 2009, 14:09

Martin2 schrieb:
Nur leider sind Opern CDs meistens sehr teuer



da mal der Hinweis , dass Brilliant Classics seit knapp 2 Wochen eine neue Reihe eben mit Opern gestartet hat (15 sinds, 15 weitere kommen im dezember dazu) für bekannt kleines Geld : BC Opern bei amazon
ohne dass jetzt irgendwie bewerten zu können von der qualität her

Gibts bei JPC auch, aber amazon hats halt so schön auf einer seite zum ersten gucken.

ah, und dank google hier auf der brilliant classics HP und ganz nett aufgemacht : http://ecards.brilliantclassics.com/operacollection/about.html


Die Bilder einer Ausstellung habe ich gerade erstmals gehört, find ich a) wirklich gut und b) die story bzw das konzept dahinter natürlich sehr interessant, werde ich sicher noch genauer rein hören.
Martin2
Inventar
#11 erstellt: 21. Mrz 2009, 14:15
Hallo Whomario,

das ist ja hochinteressant! Also mit diesen günstigen Opern CDs werde ich mich eindecken, zumal der Boris Godunov von Mussorgski ja auch dabei ist, aber auch vieles andere hoch interessantes, wie die Straussopern oder Rigoletto. Danke danke. Nur der von Dir angegebene Amazonlink funzt nicht.

Gruß
Martin
Whomario
Ist häufiger hier
#12 erstellt: 21. Mrz 2009, 14:31
dann probiere ich diesen noch einmal : http://www.amazon.de...=UTF8&node=689346011

da dann ein wenig nach unten gehen und da ist der link zur serie.
Bei JPC findet man es am besten wenn man brilliant classics als label auswählt und dann die neuheiten, da zeigt er aber eben auch anderes an.
op111
Moderator
#13 erstellt: 21. Mrz 2009, 15:01
Hallo,

Danke Whomario!

Den Rosenkavalier (Ex-EMI) und Moses & Aron (Ex-Philips) konnte man bereits vorher auf der Seite finden.

Dies müsste eine Lizenzausgabe der klassischen EMI-Aufnahme sein.


Martin2 schrieb:
Nur der von Dir angegebene Amazonlink funzt nicht.


Bei mir schon.


[Beitrag von op111 am 21. Mrz 2009, 16:49 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#14 erstellt: 21. Mrz 2009, 16:33
Zu Mussorgski zurück:

Was ist denn nun von diesem Boris Godunov auf Brilliant zu halten?

Gruß
Martin
op111
Moderator
#15 erstellt: 21. Mrz 2009, 16:48
Die Fassung stammt von Rimskij-Korsakow, also keine Originalfassung.
Die Aufnahme aus dem Jahr 1952 (gutes Mono) gibt es in unterschiedlichen Ausgaben (remasterings) u.a. bei Naxos.
Eine Kritik ist hier:
RONDO


[Beitrag von op111 am 21. Mrz 2009, 16:52 bearbeitet]
op111
Moderator
#16 erstellt: 21. Mrz 2009, 16:57
Besetzung
Issay Dobrowen;
Orchestre National del la Radiodiffusion Française,
Chœurs Russes de Paris

Amme: Lydia Romanova
Boris Godunov: Boris Christoff
Chruschtschoff: Andrzej Bielecki
Dimitrij (Grigory): Nicolai Gedda
Feodor: Eugenia Zareska
Lavitzki: Raymond Bonte
Leibbojar: Gustav Ustinov
Marina: Eugenia Zareska
Missail: Andrzej Bielecki
Narr: Vasilij Pasternak
Nikitisch: Stanislav Pieczora
Pimen: Boris Christoff
Rangoni: Kim Borg
Schtschelkalov: Kim Borg
Schuijski: Andrzej Bielecki
Tschernikowsky: Eugène Bousquet
Wache: Stanislav Pieczora
Warlaam: Boris Christoff
Wirtin: Lydia Romanova
Xenia: Ludmilla Lebedeva

Fassung von N. Rimskij-Korsakow 1908

EMI 1141613 (4 LP)

Hintergrundinfos und Diskografie:
http://www.operone.de
op111
Moderator
#17 erstellt: 21. Mrz 2009, 17:01
Für allgemeine Informationen über M. Mussorksky:
lohnt der Blick auf die Websites:

http://www.russisches-musikarchiv.de/

und
http://www.klassik-heute.com/


[Beitrag von op111 am 21. Mrz 2009, 17:10 bearbeitet]
Maastricht
Inventar
#18 erstellt: 21. Mrz 2009, 18:17
Noch was zum Boris Godunov. Zur Brilliantedition gibt es hier http://www.brilliantoperacollection.com/
Information.

Ich habe die Aufnahme nicht, werde sie aber kaufen. Schon weil Boris Christoff den BG singt. Auch Gramophone ist sehr positiv (naturlich schon wegen dem Christoff).
Bei Russischen Opern sind Russische Stimmen und Chöre schon wichtig finde ich. Vor einigen Wochen habe ich noch Tsar Sultan von Rimski-Korsakoff gesehen. Ich bin auch bei der Einführung gewezen und da wurde eine ältere Russische Aufnahme gespielt, die wesentlich besser war als eine Deutsche aus 1952 (die einzige die ich bekommen konnte) und als die zahme Vorstellung selber.

Gruss, Jürgen
lydian
Stammgast
#19 erstellt: 23. Mrz 2009, 16:23
Modest Mussorgsky (1839 - 1981)

Als jüngster Sohn eines wohlhabenden Landbesitzers im Bezirk Pskow geboren, erlernt Mussorgsky durch seine Mutter das Klavierspiel. 1856 verlässt er die Schule und tritt einem Garderegiment bei. Durch seinen älteren Kameraden Mili Balakirew erhält er ersten formalen Unterricht in Musiklehre. Auch später hat er nie eine geregelte Musikausbildung genossen.
Die Aufhebung der Leibeigenschaft im russischen Zarenreich 1861 führt seine Familie in Schwierigkeiten, so dass er die nächsten zwei Jahre auf dem Land zubringt, um bei der Verwaltung des Familiengutes zu helfen. Finanzielle Schwierigkeiten zwingen ihn jedoch bald dazu, sich in den Verwaltungsdienst des Zaren zu stellen. Während dieser Zeit lebt er in einer "Kommune" mit vier anderen jungen Männern, Mili Balakirew, Alexander Borodin, Nikolai Rimsky-Korsakow und César Cui zusammen, wo er sich am regen Ideenaustausch über Kunst, Philosophie und Politik beteiligt. Die Gruppe wird vom einflussreichen Kritiker Stassov „Das Mächtige Häuflein“ genannt. Außer Balakirew sind alle Musikliebhaber, keine Berufsmusiker. Sie kämpfen gegen den akademischen Professionalismus und wollen aus dem Volkstum Russlands etwas Neues schaffen, ganz bewusst als Dilettanten (dieser Begriff wurde damals noch nicht abfällig verstanden). Diese Ideologie zerbricht daran, dass das Bürgertum, das alleine ihrer Musik zum Durchbruch verhelfen könnte, keinerlei Verständnis für sie aufbringt. Rimsky-Korsakov holt dann eine akademische Ausbildung nach und wird sogar Leiter des Konservatoriums in St. Petersburg.
Am 2. Januar 1869 kehrt Mussorgsky in den Staatsdienst zurück. Jetzt kommt er schnell mit dem Schreiben der Oper "Boris Godunow" voran und stellt das Manuskript im Dezember desselben Jahres fertig. Vom Mariinsky-Theater zurückgewiesen, überarbeitet er das Stück bis Juli 1872 noch einmal drastisch, doch auch diesmal hat er keinen Erfolg. Allerdings werden im Rahmen einer Benefiz-Veranstaltung auf Initiative einiger Sänger drei Szenen seines Werkes mit großem Erfolg vorgestellt. Dies führt schließlich dazu, dass auch das Management des Mariinsky-Theaters sich nicht länger querstellt, so dass es am 8. Februar 1874 zur Uraufführung von "Boris Godunow" kommen kann.
Niemand hat auf die Opernbühne des 19. Jahrhunderts ein Drama von solchen Dimensionen gebracht. Zwischen dumpfer Bewusstlosigkeit und eiskalter Manipulation agieren Herrscher und Beherrschte, Mächtige und Ohnmächtige, Machtbesessene, Intriganten, Invasoren, Emporkömmlinge, Gläubige und Ungläubige, Bettler, Mönche, Einpeitscher, Häscher, Hungernde und ein Gottesnarr (in früheren Jahrhunderten nicht unübliche Bezeichnung für einen Menschen mit geistiger Behinderung). Kinder rauben ihm die letzte Kopeke. Ein Gesellschaftspanorama aus Zeiten der Wirren. Nichts für Liebhaber des Mainstreams und des Entertainments.
Vorlagen für Mussorgskys Text: die gleichnamige dramatische Chronik von Alexander Puschkin (1825) und Iwan Chudjakows "Das mittelalterliche Russland" (1867)

Zu dieser Zeit beginnt er damit, heftig zu trinken. Im Juni 1874 schreibt er den Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung", zu dem er durch eine Vernissage von Zeichnungen und Bühnenentwürfen seines verstorbenen Freundes Viktor Hartmann inspiriert wurde. Diese Werk wird sich erst ca. 50 Jahre später durchsetzen. Mussorgsky hat nie eine Aufführung erlebt.
Am 13. Januar 1880 muss er den Staatsdienst wegen seiner Trunksucht verlassen, erhält jedoch eine Pension unter der Bedingung zugebilligt, dass er seine halbfertige "Chowanschtschina" (auch eine historische Oper, Mussorgsky wollte drei „Angelpunkte“ der russischen Geschichte in Opern fassen; der Titel lässt sich in etwa mit „Eine schweinische Intrige“ übersetzen) zu Ende bringt. "Chowanschtschina" wird jedoch nicht mehr fertig gestellt. Nach einem epileptischen Anfall und drei weiteren am folgenden Tag wird er am 26. Februar in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach einer scheinbaren Erholung Mitte März verstirbt er am 28. desselben Monats. Das bekannte Portrait von Ilja Repin, das Mussorgsky im Morgenmantel zeigt (Martin hat es seinem Eröffnungsbeitrag beigefügt), wurde wenige Tage vor seinem Tod vollendet.

„Boris Godunov“ und die „Bilder einer Ausstellung“ sind die einzigen großformatigen Werke, die er jemals zu Ende brachte. Die verschiedenen Fassungen des Boris werfen bei jeder Aufführung große Probleme auf. Früher griff man durchgängig auf eine von Rimsky-Korsakov bearbeitete, aber auch geglättete Fassung zurück. Inzwischen hat sich die urwüchsige „Originalfassung“ (soweit man bei Vorliegen verschiedener Fassungen von Mussorgskys Hand überhaupt von einer solchen sprechen kann) durchgesetzt.

Ich empfehle die Gesamtaufnahme von Claudio Abbado mit den Berliner Philharmonikern von 1995. Abbado erarbeitete aus Mussorgskis Versionen eine stringente, dramaturgisch überzeugende Fassung, bei vielen Kritikern gilt sie als bisher beste Einspielung des problematischen Werkes - für eine gute Aufführung braucht man 4 erstklassige Bässe! Anatoli Kotschergas Boris ist beeindruckend.


Wärmsten empfehlen möchte ich diese Aufnahme, ebenfalls mit Abbado:

Neben den Ausschnitten aus "Chowanschtschina" ist es vor Allem die Version des unter dem Namen "Eine Nacht auf dem kalhlen Berge" bekannten Stückes, das die Anschaffung lohnt. Die Version für Bass und Chor stammt aus der Oper "Der Jahrmarkt von Sorotschintzi"

Nebenbei: Das mit den verschiedenen Schreibweisen ist wirklich ein Kreuz, wenn man Suchfunktionen bemühen möchte. Das Problem tritt aber bei allen Übertragungen aus dem Kyrillischen auf - habt ihr mal nach Rodion Schtschedrin gesucht???

Chowanschtschina auf DVD:


Auch wenn Mussorgsky wenig komponierte und noch weniger fertigstellte, war sein Einfluss auf nachfolgende Komponisten doch immens. Als Beispiel seien nur Debussy (vergleicht doch die "Cathédrale engloutie" mit Mussorgskys "Das große Tor von Kiew"!) und Schostakowitsch erwähnt. Letzterer hatte zwei Portraits in seinem Arbeitszimmer hängen: Mahler und Mussorgsky.

Viele Grüße,
Steff


[Beitrag von lydian am 23. Mrz 2009, 16:33 bearbeitet]
op111
Moderator
#20 erstellt: 23. Mrz 2009, 17:20
Eine kleine Ergänzung zu Steffs informativem Beitrag

Abbado hat ein ähnliches Programm wie auf der Sony-Gold-Label-CD zu Beginn seiner Karriere mit dem London Symphony O. für die RCA aufgenommen (2 LPs). Teile (?) dieser Veröffentlichung scheinen folgender CD zu Grunde zu liegen:

(wahrscheinlich mittlerweile billiger in anderen Serien eröffentlicht)
op111
Moderator
#21 erstellt: 23. Mrz 2009, 17:32
Sicher kein finanzieller Erfolg für Universal
aber eine wichtige Repertoireergänzung war die Gesamtaufnahme
Khovanshchina
Aage Haugland , Joanna Borowska , Brigitte Poschner , Marjana Lipovsek , Vladimir Atlantov , Vladimir Popov , Heinz Zednik , Wilfried Gahmlich , Paata Burchuladze , Anatolij Kotscherga
Chor Der Slowakischen Philharmonie
Orch. der Wiener Staatsoper
Claudio Abbado

DG 3 CDs (ca. 1990)


[Beitrag von op111 am 23. Mrz 2009, 17:33 bearbeitet]
op111
Moderator
#22 erstellt: 23. Mrz 2009, 17:39
Um 1990 erschienen bei Sony einige Liveaufnahmen aus dem ehemaligen "Ostblock" , Fürst Igor etc. aber auch
Khovanshchina
Ghiaurow ...
Chor und Orchester der Nationaloper Sofia
Emil Tschakarow

Sony 3 CDs
lydian
Stammgast
#23 erstellt: 23. Mrz 2009, 22:26
Die von Franz erwähnte Abbado/RCA habe ich auch. Das Programm ist teilweise das der von mir erwähnten neueren Sony, die Hauptunterschiede liegen in der Verwendung der Rimsky-Fassung der "Chowanschtschina" (die Schostakowitsch-Fassung, die Abbado seiner späteren Aufnahme zu Grunde legte, finde ich wesentlich stimmiger) sowie der originalen Orchsterfassung der kahlen Nacht. Auf der Habenseite für RCA stehen Werke, die man sonst wohl kaum bekommt:
~ Chor der Presterinnen aus "Salammbo"
~ "Die Niederlage Sennacheribs"
~ Chor des Volkes im Tempel aus "Oedipus in Athen"
~ "Thriumphmarsch (Die Einnahme von Kars)"

Dies alles sind die erhalten gebliebenen Teile aus größeren Projekten, die nicht weit gediehen.

Noch etwas zu "Lieder und Tänze des Tode": In der Originalfassung empfiehlt sich die Aufnahme von Boris Christoff mit Gerald Moore, hier jedoch ist es die Orchesterfassung von Glasunov/Rimsky-Korsakov:

Boris Christoff war der Sänger, der Mussorgsky in die breitere Öffentlichkeit brachte und als erster eine Gesamtaufnahme aller 63 Lieder vorlegte. Von ihm ist die Aussage überliefert, dass er ohne das Erleben von Mussorgskys Musik Jurist geworden wäre.

Neben der Orchesterfassung von Schostakowitsch gefällt mir die Version des Finnen Kalevi Aho mindestens ebenso gut. Hier Salminen/Vänskä:


oder hier Talvela/Järvi (mit den "Bildern" in der Fassung von Leo Funtek):


Grüße, Steff


[Beitrag von lydian am 24. Mrz 2009, 11:25 bearbeitet]
AH.
Inventar
#24 erstellt: 01. Dez 2018, 21:19
Liebe Leserinnen und Leser,

Modest Mussorgski, ein Staatsangestellter, mußte seine Werke nicht verkaufen. Er ist berühmt für die "Bilder einer Ausstellung" nach Gemälden von Victor Hartmann. Hier spielt Valery Afanassiev:

https://www.jpc.de/j...-pieces/hnum/6599644

Ravel und andere haben das Klavierwerk orchestriert, hier die Variante von Ravel mit Günter Wand:

https://www.jpc.de/j...ch-Fass/hnum/4917072

Er schrieb viele Lieder, darunter die Zyklen "Lieder und Tänze des Todes" und "Ohne Sonne", hier gesungen von Sergei Leiferkus:

https://www.jpc.de/j...sorgsky/hnum/3940941

"Boris Godunow" und "Chowantschina" sind Opern von ihm:

https://www.jpc.de/j...godunov/hnum/8068191

https://www.jpc.de/j...tschina/hnum/8012463

viele Grüße

Andreas


[Beitrag von AH. am 01. Dez 2018, 21:21 bearbeitet]
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