Kogan, Leonid: der große Unbekannte aus Russland

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s.bummer
Hat sich gelöscht
#1 erstellt: 01. Jul 2006, 17:48


Wenn man an Geiger aus Russland der 50iger, und 60iger Jahre denkt, dann fällt einem sofort Oistrach ein.
Vorher gabs es die Geiger aus der Auer Schule (Heifetz, Milstein, etc.), ab Ende der 70iger kamen Kremer, Tretjakov, Kagan und andere, heute ist es "Die Mullova"
Übersehen wird leider einer, der (Harald Eggebrecht) zwischen den Zeiten stand: Leonid Kogan 1924 -1982.
Seine Leben wird recht gut bei http://en.wikipedia.org/wiki/Leonid_Borisovitch_Kogan behandelt, eine Einordnung als Geiger findet sich bei "Harald Eggebrecht, Große Geiger", in der Serie Piper als Taschenbuch erhältlich.
Hier nur Folgendes.
Er war mit der Schwester von Emil Gilels verheiratet und trat mit seiner Frau, die ihm am Klavier begleitete, recht häufig auf. Das Trio Gilels, Kogan, Rostropowitsch war berühmt. In seinen letzten Lebenjahren wurde er oft von seinem Sohn Pawel lm Dirigentenpult begleitet.
Die dunkle politische Seite von Kogan soll aber auch nicht verschwiegen werden, er war beim KGB, sogar Kommisar und damit treuer Anhänger der Sowietmacht.
In dieser Funktion hat er zum Tagebucheintrag bei Semjonov von 1976 beigetragen.
Tagebücher Semjonov
Seine Schülerin wurde Viktoria Mullova, die auch ähnlich spielen soll, ich habe sie aber viel zu wenig gehört, als dass ich dazu was sagen könnte.

Nun aber zu ein paar Aufnahmen, die ich bereits in der Rubrik: "Heute gekauft" vorgestellt hatte.. Es handelt sich um 10 CDs aus der Russiain Archives Serie Brilliantclassics.

Nun, ich habe den Stapel noch immer nicht hinreichend genau durch, aber der Stapel ist umwerfend gut, mit einigen Höhepunkten, die ich so nicht erwartet habe.
Kogans Geigenton ist nie süß, nie niedlich, sondern immer zupackend herb und manchmal wild. Dabei auch in heftigsten Momenten nie außer Kontrolle geratend.
So läßt es sich gut anhören.
Die Klangqualität der Aufnahmen ist durchaus unterschiedlich. Die ältesten Aufnahmen datieren immerhin in die späten 40iger Jahre, die jüngsten entstanden 1981.
Entsprechend ist die Qualtität.
Aber, um vorzugreifen, wenn man die 1950iger Aufnahme von Tschaikowsky gehört hat, ist mir das Alter der Aufnahme und die Klangqualität vollkommen egal: Ich liege nur noch vor Freude auf dem Rücken und strampel mit den Beinchen (das wäre beinahe schiefgegangen, denn das erste mal hörte ich das Konzert im Auto!).
So, und nun zu ein paar Aufnahmen in Kurzform.
Sehr streng und garnicht süßlich, wie bei Stern/Bernstein ist das Violinkonzert von Barber. Das Orchesterspiel ist hier nicht das beste, aber Kogan macht alles wett.
Das Violinkonzert von Khachaturian mit dem Komponisten am Pult von 1951 muss man gehört haben, die Oistrach Aufnahme besitzt bei weitem nicht diese Aggressivität.
Gleiches gilt für das 1. Violinkonzert von Shostakovich mit Kondrashin am Pult. Ich würde diese Aufnahme zur Referenz erklären, klänge sie besser und.. wäre sie nicht frei von den üblichen Livekonzertfehlern.
Sehr luzide die Aufnahme der Bachtranskrition von Edison Dennisov, aufschlussreich dagegen, die Prokofieff Ähnlichkeit des Konzertes von Tichon Chrennikov (noch so ein KGB Funktionär und übler Widersacher von Shostakovich), die aber durch die Bravour gerettet wird, mit der hier gegeigt wird.
Seltsam dagegen Beethovens Violinkonzert, hier als Konzert für Violine und Pauken dageboten, welches wohl spezifisch russisch dirigiert (Roszdestwenski) wird.
Tschaikowsky, ich erwähnte es schon, habe ich noch sie so packend gehört, da fliegt der Draht aus der Mütze. Da konnte selbst Heifetz, Meister aller Klassen, nicht mithalten. Der Verzicht auf alles Sentimentale macht diese Musik dann auch so herrlich angenehm hörbar.

Nur noch genial sind aber die Kammermusikaufnahmen, die fast 4 CDs des Umfanges ausmachen. Hier nur:
Beethoven Klaviersonaten Nr. 9 mit Gregory Ginzburg finde ich noch besser als die mit Schwager Emil, Nr. 10 mit Samuel Alumian ist ebenfalls von bester Güte, dieser ist auch der Begleiter in einer sehr schönen Aufnahme von D934 von Franz Schubert.
Mit Evgeny Svetlanov und Fiodor Luzanov gelingt es Kogan, das selten gespielte Trio Elegiaque op9 in einer Aufnahme hinzulegen, die einfach unglaublich ist. Ich habe diesen "Schmachtfetzen" nun viermal hintereinander gehört und kriege nicht genug davon.
Und dann sind noch ein paar die vielen kleine Einzelstücke auf den CDs, darunter auch die üblichen Bravourstücke für Geiger.

Tja, viel gibt es nicht auf dem deutschen Markt mit Leonid Kogan, eine Beschäftigung lohn sich aber auf jeden Fall.


[Beitrag von s.bummer am 01. Jul 2006, 18:09 bearbeitet]
G-Kiselev
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 01. Jul 2006, 18:51
Hallo!

Aber trotzdem muss man sagen, dass er in Russland selbst keineswegs unbekannt, oder besser, unterschätzt wurde, das gilt eher für den Westen, ich kenne ihn z.B. durchaus.

Gruß
Georg


[Beitrag von G-Kiselev am 01. Jul 2006, 18:54 bearbeitet]
s.bummer
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 01. Jul 2006, 20:00
Oh, pardon.
Mit "unbekannt" meine ich natürlich den westlichen Kultur(?)kreis, genauer sogar die "alten" Bundesländer.
Er tourte zwar viel durch den Westen (aber eben USA etc. (siehe Semjonov, wo er darüber sprach, dem Staat 2 Miilionen abgeliefert zu haben)), aber sein hierzulande lange Zeit verfügbares Repertoire war doch arg dünn und ist es weiterhin.
Gruss S.
vanrolf
Inventar
#4 erstellt: 02. Jul 2006, 10:04
Hallo zusammen,

"Wenn wir gewinnen wollen, muß Kogan teilnehmen." soll Oistrach zu Stalin gesagt haben, als dieser nach einem geeigneten Kandidaten für den internationalen Ysaye-Wettbewerb 1951 in Brüssel fragte.
Kogan wurde erst zehn Tage vorher über seine Teilnahme informiert - und gewann.

Bereits vor über 25 Jahren fand sich in der Plattensammlung meiner Eltern (damals ca. 300 Klassik-LPs) eine Aufnahme des ersten Violinkonzertes von Paganini, und zwar die abgebildete LP mit Kogan. Ich erinnere mich, daß ich sie damals rauf und runter gehört habe, eine weitere LP mit den Konzerten 1+2, diesmal von Menuhin eingespielt, vergammelte dagegen im Schrank. Daher ist mir Kogan immer ein Begriff geblieben, nur an wenige Aufnahmen, die ich damals hören konnte, erinnere ich mich so gut (und gern), wie an diese:





Das Datum der Aufnahme ist mir nicht bekannt, lediglich, daß diese LP-Ausgabe (eine Lizenzausgabe von Melodiya) 1974 veröffentlicht wurde. Leider scheint sie (noch) nicht auf CD zu existieren, und unser altes Vinyl-Exemplar ist nicht mehr genießbar. Es ist so ein kleiner Traum von mir, diese Aufnahme noch einmal in adäquater Qualität zu besitzen, bis dahin werde ich mich demnächst mit der bereits georderten Brilliant-Box trösten. Ich finde es sehr erfreulich, daß für die Erinnerung an Kogan offenbar was getan wird, Testament-Records hat ebenfalls eine Reihe von (Live-)Aufnahmen ausgegraben, darunter ebenfalls eine Aufnahme vom Paganini-Konzert:





Gruß Rolf
SirVival
Hat sich gelöscht
#5 erstellt: 03. Jul 2006, 08:43
Hi,

na so unbekannt ist Kogan nun wirklich nicht. Er galt immerhin neben Papa Oistrach als der beste russische Geiger und das zu recht. Seine Technik und seine Tongebung waren über jeden Zweifel erhaben, was seine Schallplattenaufnahmen beredt unterstreichen.

Gruß
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