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Weihnachten: Was sind Eure Favoriten?+A -A |
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Autor |
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flutedevoix
Stammgast |
#1 erstellt: 11. Dez 2012, 09:42 | |
In den letzten Tagen weihnachtet es für unsere Verhältnisse sehr im Forum. Das brachte mich auf die Idee diesen Thread zu eröffnen. Dabei geht es mir weniger um einen Überblick oder eine möglichst umfangreiche Sammlung an Einspielung mit Musik zum weihnachtlichen Festkreis. Mich interessieren vielmehr Eure Lieblingsaufnahmen zum Fest. Schön wäre es auch noch, wenn ihr kurz beschreiben könnt, warum diese Platte etwas besonderes für Euch ist. Auch die "Weihnachtsmusikhasser" finden hier eine Plattform: ich fände es auch interessant, was sie an weihnachtlicher Musik stört und wie ihre Abeigung zustande kam bzw. kommt! Nun also die erste CD meiner Weihnachtsfavoriten: Wolfgang Brunner und sein Ensemble "Die Salzburger Hofmusik" haben hier ein Programm zusammengetellt, das seinen Bezugspunkt am Salzburger Hof hat. Die Bandbreite des Repertorie reicht vom 16. Jh bis ins 18. Jh und stellt heute unbekannte Komponisten neben die Fixsterne am barocken und klassischen Salzburger Musikhimmel wie Biber, M. Haydn oder Mozart. Was zunächst als ziemliches Sammelsurium erscheint, erweist sich als Konzeptalbum, das viele der eher intimeren Stimmungen zum Weihnachtsfest in sich bündelt ohne auch nur in den Verdacht des Kitsches zu kommen. Interpretatorisch erweisen sich die Künstler als absolute Hochkaräter. Sie werden den unterschiedlichen stilistischen Anforderungen der Komponisten in kongenialer Weise gerecht. Sei es der typische Liedsatz des 16. Jahrhunderts, die virtuosen und expressiven Rosenkranzsonaten von Biber oder die eher im besten Sinne naive Schlichtheit der Weihnachtskantate "Lauft ihr Hirten allzugleich" von Michael Haydn: immer stehen die Affekte, die in der Musik enthaltenen Emotionen im Zentrum der Interpretation. Daneben kommen Tugenden wie detailierte Artikulation und durchsichtiger Klang auf schönste zu ihrem Recht. Wenn es nur eine Platte zum Weihnachtsfest sein dürfte, dann diese! [Beitrag von flutedevoix am 11. Dez 2012, 09:58 bearbeitet] |
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Jugel
Inventar |
#2 erstellt: 11. Dez 2012, 09:53 | |
Und? Gruß Jugel Sorry, da war meine saloppe Nachfrage schneller als Deine editierte Erläuterung. [Beitrag von Jugel am 11. Dez 2012, 09:55 bearbeitet] |
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flutedevoix
Stammgast |
#3 erstellt: 11. Dez 2012, 09:55 | |
nur nicht so ungeduldig! Die Wartezeit läßt sich ja mit einem eigenen Posting verkürzen Edit: Darauf ein Glühwein [Beitrag von flutedevoix am 11. Dez 2012, 09:56 bearbeitet] |
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Jugel
Inventar |
#4 erstellt: 11. Dez 2012, 10:37 | |
Das sagst Du so einfach. Von "ernster" Musik habe ich - leider - nicht so viel Ahnung und entsprechend zurückhaltend bin ich mit eigenen Aussagen oder gar Empfehlungen. Aber dafür ist die Neugier umso größer... Gruß Jugel NS Der Glühwein war gut |
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Thomas133
Hat sich gelöscht |
#5 erstellt: 11. Dez 2012, 12:03 | |
Hallo, obwohl ich geistliche und weltliche Chorwerke generell recht gerne höre bin ich speziell bei Weihnachtsmusik nicht gerade bewandert - also damit mein ich Musik die tatsächlich dafür geschrieben wurde, nicht solche die dann einfach von der Gesellschaft aufgrund ihrer (getragen, sinnlichen,...) Stimmung als solche umfunktioniert wurde wie zB Ave Maria von Schubert, Ave Verum von Mozart und einige andere Beispiele. Das einzige Werk das ich diesbezüglich in meiner Klassik-Sammlung besitze ist das Weihnachtsoratorium von Bach (ich weiß, nicht gerade originell) in einer Einspielung unter Harnoncourt und dem Concentus Musicus. Was speziell den Weihnachtsabend anbelangt werden in unserer Familie und Verwandtenkreis (leider kann da der Großteil davon nichts mit Klassik anfangen) beim gemeinsamen zusammensitzen mehr die traditionellen Volkslieder auf CD gehört (die üblichen Gassenhauer von Stille Nacht über Alle Jahre wieder bis zu Leise rieselt der Schnee). Zumindest konnte ich da schon Überzeugungsarbeit leisten das die dann nicht gerade von Andre Rieu oder gar Kastelruther Spatzen kommen müssen. Ich werde aber gespannt deine Favoriten verfolgen und vielleicht ist da auch etwas für mich dabei. lg Thomas |
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Kaddel64
Hat sich gelöscht |
#6 erstellt: 11. Dez 2012, 14:47 | |
Besonders freue ich mich alljährlich auf die CD Praetorius - Christmette mit den Gabrieli Consort & Players unter Paul McCreesh, die bei uns meist am Heiligabend nach der familiären Bescherung, irgendwann gegen Ende des Abends in den Player wandert. Der Begriff „Christmette“ deutet auf eine Besonderheit hin: Es handelt sich um die nachempfundene liturgisch-musikalische Ausgestaltung eines Abendmahlsgottesdienstes am frühen Morgen des 1. Weihnachtstages, und zwar nach einer Ordnung, wie sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der lutherischen Kirche in Norddeutschland üblich war. Der Ablauf der Mette oder Matutin, also des gottesdienstlichen Nachtgebets, verschmilzt mit dem der Weihnachtsmesse zu einer außerordentlich festlich gehaltenen Zeremonie. Verblüffend zu hören, wie viel davon sich bis heute im Weihnachtsgottesdienst gehalten hat. Das macht die CD neben ihrer dynamisch klar gestaffelten und differenziert artikulierten Musik für mich jedes Jahr aufs Neue zu einem Erlebnis. Paul McCreesh greift in seiner Rekonstruktion, die sich vor allem aus Quellen bei Michael Praetorius speist, auf diverse Kompositionssammlungen dieses herzöglichen Hofkapellmeisters aus Braunschweig/Wolfenbüttel zurück, unter denen sich die weihnachtliche Sammlung „Polyhymnia caduceatrix et panegyrica. (1619)“ durch festliche, zum Teil mehrchörige Besetzungen und dem venezianischen Stil Monteverdis und Gabrielis nachempfundene Kompositionen auszeichnet. Allerdings darf man die Rekonstruktion nicht im engen musikwissenschaftlichen Sinn verstehen. Die auf der CD vorliegende Zusammenstellung bleibt reine Fiktion, wenngleich eine höchst spannende. Ihren Gegenwartsbezug erhält die geschickte Werkauswahl durch die Tatsache, dass zahlreiche traditionelle Weihnachtslieder (In dulci jubilo, Es ist ein Ros entsprungen, Vom Himmel hoch, Quem pastores laudavere, Puer natus in Bethlehem, Der Morgenstern ist aufgedrungen) noch heute in von Praetorius überlieferten Sätzen in unseren Weihnachtsgottesdiensten und -konzerten zur Aufführung gelangen. Daneben erklingen Orgelwerke und Motetten von Scheidt, Schein, Osiander und anderen Zeitgenossen, die von einem Liturgen gesungene Weihnachtsgeschichte nach dem Lukasevangelium sowie Choräle einer imitierten Kirchengemeinde. Die Weiträumigkeit, die mit der Aufnahme beispielhaft eingefangen wurde, macht einen weiteren Reiz der CD aus. Wie aus dem Dunkel eines fernen Seitenschiffs macht sich zu Beginn eine singende Chorschola zu einer Prozession durch die Kirche auf, mit wachsender Klangpräsenz und -opulenz erreicht sie schließlich den Chor, zentralen Ort des weiteren musikalischen Geschehens. Ihre schlanke Tongebung, unterstützt durch historisches Instrumentarium, sorgt für tadellose Transparenz, auch die Textaussprache und -verständlichkeit geraten trotz der akustisch schwierigen Situation vorbildlich. Was bei aller Feierlichkeit komplett abwesend bleibt, ist jede denkbare Form süßlichen Kitsches. Die CD wurde in den 90er Jahren nicht nur im deutschsprachigen Raum zu einem viel beachteten Hit. Vergleichbare Folgeprojekte Paul McCreeshs wie Bach - Epiphany Mass oder Gabrieli / Lassus - Venetian Easter Mass konnten an ihren Erfolg jedoch nicht anknüpfen. Zugegeben, das Ganze ist schon sehr speziell, aber vielleicht für den einen oder anderen doch von Interesse. |
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flutedevoix
Stammgast |
#7 erstellt: 11. Dez 2012, 15:07 | |
Die Praetorius-CD von Paul McCreesh ist sehr interessant. Wie Kaddel schon schrieb darf man nicht erwarten, eine Christmette zu hören, wie sie Praetorius gestaltet hat. Allerdings stellt sie durchaus die Möglichkeit eines musikalischen Programmes einer Christmette des frühen 17.Jh. dar und changiert so in faszinierender Weise zwischen Schein und Authentizität. Besonders plastisch wird so, daß viele unserer Weihnachtslieder aus dem 14. - 16. Jahrhunderts stammen und über den protestantischen Gottesdienst zum Volksgut wurden, als vermutlich prominentester Vertreter "Vom Himmel hoch". Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß die Ausführung der Sätze besonders klangvoll durch das verwendete Instrumentarium von Streichern über Holzbläser, einem reich besetztem Continuo bis hin zu Trompeten und Pauken ist. Ich habe letztes Jahr ein ähnliches Projekt an Weihnachten gespielt, eben mit vielen der schlichten Choralsätze bis hin zu den besonders prachtvollen mehrchörigen Motetten. Es war ein besonderes Weihnachtskonzert, auch aufgrund der vielen herausragenden Musiker, die mit der Aufführungstradition (besonders der Diminutionspraxis) dieser Zeit vertraut waren. [Beitrag von flutedevoix am 11. Dez 2012, 15:18 bearbeitet] |
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flutedevoix
Stammgast |
#8 erstellt: 11. Dez 2012, 15:16 | |
Eine im wahrsten Sinne des Wortes herausragende CD ist "The Naxos Book Of Carols": Das Vokalensemble Tonus Peregrinus und sein Leiter Anthony Pitts haben für Naxos dies CD-Einspielung in Verbindung mit einer Noten-Edition,die bei Faber-Musik erscheint, gestaltet. Wie der Titel schon andeutet steht das Projekt in der Tradition der englischen Carols. Gegliedert in vier Themenkreise (Advent, Verkündigung, das Kind und König der Könige) haben die Musiker tradtionelle englischesprachige Weihnachtlieder vom Mittelalter bis zur Gegenwart in ein neues klangliches Gewand gebracht. Diese Sätze sind in meinen Augen sehr geschmackvoll gelungen, sie setzten sich immer mit der Entstehungszeit des Liedes auseinander und spiegelnden Textgehalt in kongenialer Weise wieder. Das Vokalensemble singt intonatorisch makellos und versteht es den Hörer zu berühren und direkt in das Weihnachtsgeschehen zu versetzen. Ich habe selten eine so berührende und eindringliche Aufnahme mit weihnachtlicher Musik gehört. Unterstützt werden die Singstimmen bisweilen nur von einer Orgel. Die dadurch gegebene Schlichtheit trägt sicher das ihrige zur innigen und "stillen" Athmosphäre der CD bei. Wer auf der Suche nach einer besonderen Weihnachtsplatte ist,kann hier in beglückender Weise fündig werden! |
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Klassikkonsument
Inventar |
#9 erstellt: 12. Dez 2012, 19:16 | |
Schneewitchen
Inventar |
#10 erstellt: 12. Dez 2012, 20:00 | |
Moritz_H.
Stammgast |
#11 erstellt: 13. Dez 2012, 13:32 | |
premierenticket
Stammgast |
#12 erstellt: 13. Dez 2012, 20:34 | |
Jugel
Inventar |
#13 erstellt: 20. Dez 2012, 09:53 | |
Die erste, der hier empfohlenen Scheiben ist gestern eingetroffen - und natürlich gleich gehört worden. Danke für den/die Tipp/s + Gruß Jugel Edit: Oh, ich vergaß zu erwähnen: Es handelt sich um die "Praetorius-Chistmette". Und die gefällt mir. [Beitrag von Jugel am 20. Dez 2012, 10:15 bearbeitet] |
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flutedevoix
Stammgast |
#14 erstellt: 22. Dez 2012, 22:38 | |
Johann Schelle war einer der Vorgänger Bachs im Thomaskantorat in Leipzig. Genauer war er Nachfolger von Sebastian Knüpfer und Vorgänger von Johann Kuhnau. Seine Bedeutung als Komponist manifestiert sich auch in seinen Schülern, zu denen Zachow (Lehrer von Händel), Keiser oder Graupner gehören. Er spielt auch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Choralkantate. Aus seinem Kantatenschaffen führt ein direkter Weg zu Bach. Sein Actus musicus auf Weyh-nachten wurde lange auch als direktes Vorgängerwerk des Bachschen Weihnachtsoratorium gesehen, was aber nur bedingt so gedeutet werden kann. Bei diesem Actus musicus handelt es sich um ein ca. 40 minütiges Werk in drei Teilen, die aber musikalisch miteinander verknüpft sind. Im Mittelpunkt steht das Kirchenlied "Vom Himmel hoch", das sich wie ein roter Faden in mannigfaltigsten Kompositionstechniken durch das Werk zieht. Schelles Komposition kann man durchaus mit der populären Weihnachtshistorie von Schütz vergleichen. Sie wirkt allerdings auf uns heute noch weihnachtlicher durch die Zitate noch heute bekannter Weihnachtslieder. Neben Vomm Himmel hoch kann man auch u.a. auch "In dulci jubilo" oder "Gelobet seis du Jesu Christ" wiedererkennen. Besonders interessant macht das Werk daneben die farbige Instrumentation des Werkes mit Violinen, Gamben, Zinken, Trompeten, Posaunen und als besonderheit Schryari (eine Schalmei-Art mit Windkapsel). Die Aufnahme unter Roland Wilson lebt von der Entdeckerfreude der Interpreten und eier dadurch entstehen großen Vitalität. Man sieht quasi die große Freude, die glänzenden Augen der Interpreten ob des reichhaltigen Betätigungsfeldes. In einer zweiten Aufnahme interpretiert die Schütz-Akademie unter Howard Armann das Werk: intonatorisch viel sauber, im Zusammenspiel akkurater, dafür aber auch abgezirkelter, ohne die eben beschriebene Entdeckerfreude. Dafür kann man das Werk direkt mit Schützens Weihnachtshistorie vergleichen, was natrülcih auch einen grüßen Reiz hat. [Beitrag von flutedevoix am 22. Dez 2012, 23:08 bearbeitet] |
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flutedevoix
Stammgast |
#15 erstellt: 02. Jan 2013, 13:38 | |
Auch wenn der ein oder andere schon gehofft haben dürfte, daß Weihnachten schon vorbei ist, dem ist noch lange nicht so. Nach dem Verständnis der katholischen Kirche endet die weihnachtliche Festzeit erst mit Lichtmess am 2. Februar. In diesem Zeitraum werde zumindest ich noch mit weiterer weihnachtlicher "Lieblings-Musik" ergänzen. Lag bisher der Schwerpunkt eher auf der protestntischen Kirchenmusik, so soll auch die katholische Weihnachtsfreude nicht zu kurz kommen. Zentraler Inhalt der kathlischen Meß-Liturgie ist das Ordinarium missae, das mit seinen musikalisch wichtigen Teilen Kyrie, Gloria, Dredo, Sanctus und Agnus Dei für ale Kirchenfest gleichbleibt. Insodern hat es natürlich der Komponist schon etwas scherer, weihnachtliche Feststimmung in seiner Musik zu vermitteln. Auf der anderen Seite sind sowohl im Gloria als auch im Credo direkte textlihe Bezüge zu Weihnachten zu finden, in den anderen Teilen sinngemäße. So hat sich auch in der katholischen Kirche die Gattung der Missa pastoralis herausgebildet. Der hier eingespielte Gattungsbeitrag von Franz Xaver Richter überragt in kompositorischer Hinsicht für mein dafürhalten die ungleich bekannteren Pastoralmessen eines Kempter oder Diabelli um Längen. In seiner Vertonung stehen nicht nur die sanft wiegenden Siciliano-Rhythmen im Vordergrund, er räumt der weihnachtlichen Pracht im relatic groß besetzten Orchester auch den ihr zustehenden Raum ein. Daneben fallen aber vor allem die vielen Zwischentöne auf. Es verwundert nicht, daß nach dem Tode des aus Mähren stammenden, in Mannheim musikalisch einflußreich gewordenen Straßburger Kapellmeisters bei der Frage nach seinem Nachfolger sofort der Name Mozart fiel. Tatsächlich sind in der Orchesterbehandlung und Melodieführung Anklänge nicht zu uberhören. Schließlich fand der junge Mozart auf seiner Reise durch Straßburg viele lobende Worte für Richter. Die Interpretation durch das Wroclaw Baroque Orchestra, den Philharmonischen Chor und die Solisten ist makellos. Rhetorisch präsent überzeugt die klangliche Wärme, mit der sie sich den Werken nähern. Bisweilen könnte man bei den Solisten etwas mehr Sensibilität anmahnen. Man hört aber den Musikern eine große Entdeckerfreude an: hier wird Musik gemacht! [Beitrag von flutedevoix am 02. Jan 2013, 13:47 bearbeitet] |
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Szellfan
Hat sich gelöscht |
#16 erstellt: 03. Jan 2013, 11:55 | |
Nachdem ich vor ein paar Tagen gerade den von Johannes beschriebenen Richter gehört habe, ist auch bei mir noch Weihnachten: Auch weitaus mehr als eine "schlichte" Pastoralmesse. Kompositorisch typischer Zelenka, hier aber mit starker Betonung der Hornpartien, die eben das Pastorale vermitteln. Interpretatorisch muss man ja zu Musica Florea und Zelenka kaum mehr ein Wort verlieren. Herzliche Grüße, Mike |
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Kaddel64
Hat sich gelöscht |
#17 erstellt: 04. Jan 2013, 14:51 | |
Weiter geht es mit weihnachtlicher Musik. In eine CPO-Ersteinspielung, die ich seit Erscheinen in den Jahren 1999/2000 besitze und schätze, habe ich in den vergangenen Tagen wiederholt und, wie ich feststellte, mit Genuss und einigem Gewinn hineingehört. Gottfried Heinrich Stölzel: Weihnachstoratorium (Kantaten 1-5 und 6-10) Britta Schwarz, Henning Voss, Jan Kobow, Klaus Mertens, Weimarer Barockensemble, Ludger Rémy (CPO 1999/2000) Gottfried Heinrich Stölzel wirkte als Zeitgenosse Bachs, dessen Bekanntheitsgrad er zeitweilig überstrahlt haben soll, nach Studienaufenthalten in Italien und Prag hauptsächlich in Gera und Gotha als Hofkapellmeister, Musiklehrer und Schriftsteller. Bach führte 1735/36 in Leipzig einen kompletten Jahrgang Stölzelscher Kantaten auf, nahm Bearbeitungen an einigen von dessen Arien vor und fügte diese in eigene Werke ein. Die Musik aus Stölzels umfangreichem Werkkatalog (Opern, Oratorien, div. Kantatenjahrgänge, Orchester- und Kammermusik) gilt zu weiten Teilen als verschollen, weist aber unter anderem eine seit kurzem wieder viel beachtete Passion nach Brockes auf. 1728 komponierte Stölzel ein eigenes Weihnachtsoratorium, das im gleichen Jahr vermutlich in Gera und wahrscheinlich später noch in Sondershausen aufgeführt wurde. Da sich im Nachlass und in Partiturabschriften von fremder Hand jedoch kein Werk mit einem solchem Titel fand, hingegen eine Vielzahl von Weihnachtskantaten mit auffallenden Übereinstimmungen in textlicher wie musikalischer Faktur existieren, rekonstruierte man einen Kantatenzyklus von zehn erhaltenen Weihnachtskantaten, der hier von Ludger Rémy mit gewohnter Sorgfalt mustergültig eingespielt wurde. Erst im Nachhinein hat die Musikwissenschaft den Druck des originalen Textbuches entdeckt, demgemäß das Oratorium tatsächlich auf nunmehr sechs zyklisch angelegte Einzelkantaten hinausläuft, wenngleich abweichend in Auswahl und Reihenfolge. Der originale Begriff Weihnachtsoratorium ist irritierend, weil den Kantaten anders als in Bachs berühmtem Gattungsbeitrag die Weihnachtsgeschichte als entscheidende Konjunktion fehlt. Doch die formale Geschlossenheit (alle Kantaten sind 7-sätzig in identischer, symmetrischer Satzanlage) und die textliche Stringenz (je drei Kantaten beziehen sich auf die Epistel und auf das Evangelium zu den drei Weihnachtsfesttagen) lassen das Werk absolut schlüssig als Einheit erscheinen. Ludger Rémy entschied sich für eine solistische Besetzung der vokalen Stimmen in den ausdrücklich als Chorsatz ausgewiesenen Ecksätzen. Das ist gewiss vertretbar, allerdings scheinen mir die Stimmen nicht ideal besetzt zu sein. Insbesondere das metallische, etwas zur Schärfe neigende Timbre der Sopranistin Britta Schwarz beeinträchtigt leider die klangliche Geschlossenheit in den Chorsätzen. In den Eingangssätzen der mit drei Trompeten oder zwei Hörnern und Pauken besetzten Kantaten fehlt es den Vokalsolisten zudem an Durchsetzungskraft, wenngleich der Gestaltungswille unverkennbar bleibt. Die Arien und zahlreichen Duette gelingen ihnen allen mühelos, schlüssig und wunderbar abgerundet. Die Musik erweist sich als äußerst originell und hörenswert, sie steht meines Erachtens mit ihrem Ideenreichtum und ihrer Klangvielfalt derjenigen der berühmten Kollegen aus Leipzig (Bach) und Dresden (Hasse, Zelenka) in nichts nach. Das ist festliche Barockmusik aus Mitteldeutschland vom Feinsten. |
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Szellfan
Hat sich gelöscht |
#18 erstellt: 04. Jan 2013, 15:08 | |
Hallo Kaddel, bist mir eben zuvorgekommen. Du schreibst aber so ausführlich und trefflich das, was ich hätte schreiben wollen, daß ich Dir einfach nur zustimme. Herzliche Grüße, Mike |
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premierenticket
Stammgast |
#19 erstellt: 04. Jan 2013, 22:17 | |
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