Verstärkerschwingen

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Wonisi
Schaut ab und zu mal vorbei
#1 erstellt: 05. Aug 2015, 21:28
Hallo an Alle
Ich habe einige Frage und hoffe jemand kann sie mir beantworten. Ich habe mich in den letzten Wochen mit Verstärkerschaltungen beschäftigt und bei Recherchen bin ich auf Begriffe gestoßen wie: Schwingneigung und generellem Schwingen einer Schaltung. Doch was bedeutet genau das eine Schaltung schwingt? Was passiert mit der Schaltung und welche Auswirkungen kann dies auf den Klang eines Verstärkers haben?
Es wäre super wenn mich Jemand in diesem Thema aufklären und Licht ins Dunkle bringen könnte.
Danke schonmal im Vorraus
Und schönen Abend noch
Wonisi
audiophilanthrop
Inventar
#2 erstellt: 05. Aug 2015, 23:03
Es gibt im wesentlichen zwei Felder der Elektrotechnik, die hier tangiert werden:
1. Die HF-Technik, die an Oszillatoren Interesse hat - also an Dingen, die schwingen.
2. Die Regelungstechnik, die erhebliche Anstrengungen darauf verwendet, daß Sachen gerade nicht schwingen, und hierfür mächtige Analysewerkzeuge entwickelt hat.

Vor allem eine Grundlagenlektüre für die Regelungstechnik sei empfohlen - Bodediagramm, Pole, Nullstellen, Stabilitätskriterien, so Zeug. Was die Schwingneigung konkreter Schaltungen angeht und warum kapazitive Lasten ein Problem sind, das könnte man dann z.B. im Tietze-Schenk nachlesen.

Ein typischer Verstärker ist in guter Näherung ein lineares zeitinvariantes System (LTI) mit einer Vorwärts-Übertragungsfunktion (die "Rohverstärkung", typisch engl. "open-loop gain" bezeichnet) in einer Gegenkopplungsschleife - oft eine Operationsverstärkerschaltung. Er wird schwingen, wenn die Schwingbedingung erfüllt ist:
1. Schleifenverstärkung >= 1
und
2. Gesamt-Phasendrehung 360°

Zunächst einmal soll so ein Verstärker natürlich kräftig verstärken, Punkt 1 ist damit in der Praxis bis in den MHz-Bereich erfüllt. Bei Verwendung einer negativen Rückkopplung geht das Signal erst einmal mit 180° Phasendrehung zurück. Nun ist es rein praktisch unmöglich, einen Vorwärts-Verstärkerteil mit für alle Frequenzen konstanter Verstärkung (Av, 0°) zu bauen. Schon bei relativ niedrigen Frequenzen wird seine Übertragungsfunktion in eine Tiefpaßcharakteristik übergehen, erst einmal eine solche 1. Ordnung - ergibt einen Abfall von 6 dB pro Oktave bei Phasendrehung 90°. Da sind wir dann schon bei 270° gesamt. Kommt noch weiter oben ein weiterer Pol dazu, geht es in Vorwärtsrichtung mit 12 dB pro Oktave und 180° Phasendrehung abwärts. Ups - da war doch was mit Punkt 2. Genau, 360° gesamt. Wenn bei der Frequenz auch die Verstärkung noch hoch genug ist (Punkt 1), dann schwingt das Ding. In jedem realen System findet sich immer genug Rauschen, um die Schwingung anzustoßen.

Was heißt das jetzt in der Praxis? Je nach Amplitude der entstehenden Schwingung können die Auswirkungen reichen von
1. Verschlechterung von Verzerrungsverhalten und Rauschen (bei offen liegenden Schaltungen dabei gern Handempfindlichkeit durch sich leicht ändernde kapazitive Kopplung)
über
2. übermäßige Erwärmung
und
3. Zerstörung von Hochtönern
bis hin zu
4. Beschädigung oder Zerstörung der Verstärkerschaltung selbst.

Dabei kann die Schwingung sogar signalabhängig schwingen.

Kapazitive Lasten sind deswegen kritisch, weil sie die Ausgangsstufe so langsam machen können, daß deren Pol weit nach unten rutscht, und entsprechend auch der Bereich mit Richtung 180° Phasendrehung in der Vorwärts-Übertragungsfunktion - und unten heißt höhere Schleifenverstärkung.

Dann gibt es noch so Sonderfälle wie Schwingen bei Clipping, also wenn das Signal in die unvermeidliche Spannungsbegrenzung läuft (schließlich gibt es keine Verstärker mit unendlich hohen Versorgungsspannungen). Clipping ist wegen der entstehenden hochfrequenten Anteile eh schon nicht hochtönerfreundlich, und sowas macht es noch schlimmer.

Übrigens: Wenn man einfach nur das Ausgangssignal invertiert (180° gedreht) zurückführt, hat der Verstärker eine Closed-Loop-Verstärkung von 1 - Stichwort "unity gain buffer". Für höhere Spannungsverstärkungen ist im Rückwärtszweig eine entsprechende Abschwächung einzubauen. Nach oben hin ist das ganze natürlich letztlich durch die verfügbare Open-Loop-Verstärkung begrenzt. Interessant ist dabei vielleicht, daß die für Stabilitätsbetrachtungen relevante Verstärkung der Differenz entspricht. Bei einer mit verschiedenen Closed-Loop-Verstärkungen (vielleicht sogar bis hinunter zu 1) einsetzbaren Schaltung ist damit die Untergrenze am kritischsten. Wenn man einmal die Datenblätter von Chipverstärkern durchforscht, wird man vielleicht feststellen, daß diese je nach Alter bei minimal z.B. 20, 26 oder 34 dB betrieben werden sollen. Bei einer diskret aufgebauten Schaltung zieht eine Änderung (v.a. Verringerung) der Spannungsverstärkung i.d.R. eine Anpassung der Kompensation nach sich, also letztlich des Open-Loop-Frequenzgangs.

Das mit der Invertierung im Rückwärtszweig macht in der Praxis meist eine entsprechende (Differenzverstärker-)Schaltung.


[Beitrag von audiophilanthrop am 05. Aug 2015, 23:08 bearbeitet]
Wonisi
Schaut ab und zu mal vorbei
#3 erstellt: 06. Aug 2015, 09:48
Morgen
Erstmal einen Dank für die gute Erklärung (hätte nicht erwartet dass, das so schnell geht ;)). Aber ich würde gerne nochmal auf die Gegenkopplung eingehen: In diskret aufgebauten Schaltungen habe ich oft gesehen, wie der Stromverstärkungsstufe das Signal abgenommen wurde, über einen Spannungsteiler verringert und zurück in den "zweiten" Transistor des
Differenzverstärkers geleitet wurde. Ich gehe davon aus das Dies die besagte Gegenkopplung ist? Doch wo wurde das Signal dann "gedreht"? Es ist ja das Ausgangssignal und somit gleich mit dem Eingang. Meines Wissens gibt es in einer diskret aufgebauten Class a/b Schaltung nur einen Part indem das Signal phasengedreht ist: Der Teil nachdem das Signal phasengedreht vom ersten Transistor des Differenzverstärkers abgenommen wurde und irgendwann wieder über eine Emitterschaltung "richtig" gedreht wird? Ich hoffe das auch hier nochmal ein bisschen mehr Licht in die Dämmerung gebracht werden könnte.
Lg Wonisi
ehemals_Mwf
Inventar
#4 erstellt: 06. Aug 2015, 10:48
Hi,
Wonisi (Beitrag #3) schrieb:
...Ich hoffe das auch hier nochmal ein bisschen mehr Licht in die Dämmerung gebracht werden könnte....

...ganz kurz:

der 2. Transistor des Differenzeingangs ist quasi der Minus-Eingang eines OPs,
also sein Emitter wirkt gegenphasig auf den des 1.

Gruss,
Michael


[Beitrag von ehemals_Mwf am 06. Aug 2015, 10:48 bearbeitet]
Wonisi
Schaut ab und zu mal vorbei
#5 erstellt: 06. Aug 2015, 12:31
Hi
Deshalb kann man auch mit dem zweiten Transistor die Leistung des gesamten Verstärkers beeinflussen, da die Differenz verkleinert wird wenn das anliegende Signal am zweiten Transistor fast dem Eingangssignal entsprich und andersherum kann die Leistung erhöht werden. Richtig? Aber was hat das für einen Vorteil? Stabilisierung der linearität und der gesamten Schaltung bzw. Verminderung der Verzerrungen?
Lg wonisi
Bertl100
Inventar
#6 erstellt: 06. Aug 2015, 17:28
Hallo zusammen,

nun genauer gesagt wird die Spannungsverstärkung beeinflusst. So wie bei einer OP-Schaltung.
Spannungsverstärkung = 1 + (R1/R2). R1 und R2 sind die Widerstände in der Gegenkopplung.
Die Ausgangsleistung ergibt sich dann erst, indem man einen Lastwiderstand anschließt - bzw. einen Lautsprecher.

Das ganze macht man zur Linearisierung des Frequenzgangs, zur Reduzierung von Verzerrungen und nicht zuletzt zur Verringerung des wirksamen Innenwiderstands am Ausgang (Stichwort Dämpfungsfaktor).

Wie viele Phasendrehungen es innerhalb einer Endstufe gibt, hängt von der Anzahl und Art der verwendeten Stufen ab. Und sie ist letztlich gleichgültig. Man nimmt halt dann "einfach" den invertierenden Eingang der Differenzstufe her, um die Gegenkopplung anzuschließen.

Bei Endstufen wird noch oft ein Fußpunktkondensator in die Gegenkopplung eingefügt. Dieser reduziert für sehr kleine Frequenzen und DC die Verstärkung auf 1, und verhindert dadurch, dass die Offsetspannung der Differenzstufe mit verstärkt wird. Bei OP Schaltungen ist das eher nicht nötig, weil dort die Differenzstufe ja zwangsläufig gepaarte Transistoren sind, weil auf ein und demselben Silizium.

Gruß
Bernhard
Wonisi
Schaut ab und zu mal vorbei
#7 erstellt: 06. Aug 2015, 18:51
Hallo
Danke für die guten Erklärungen.
Wo wir einmal bei Problemen von Verstärkern sind. Ein Freund hat ein Problem mit seinem Röhrenverstärker, allerdings handelt es sich hierbei um einen Gitarrenverstärker. Sobald der Standbyschalter auf "An" geschaltet wird, ist ein Piepen im Lautsprecher zu hören. Dieses wird aber vom normalen Gitarrensignal übertönt, bleibt aber während der ganzen Zeit in der der Verstärker an ist hörbar. Es wird nicht lauter und nicht leiser.
Hat einer von euch eine Ahnung was das sein könnte?
Vielen Dank schonmal
Lg Wonisi
detegg
Inventar
#8 erstellt: 06. Aug 2015, 20:01
Tach zusammen,

bevor das Thema durch Halbwissen verwässert wird - hier hin verschoben

Detlef
audiophilanthrop
Inventar
#9 erstellt: 07. Aug 2015, 12:25
So ein Differenzverstärker ist übrigens der einfachstmögliche Operationsverstärker (aber noch kein besonders guter). In der Praxis wird normalerweise dann nochmal eine Spannungsverstärkerstufe sowie oft auch noch eine Pufferstufe für den Ausgang folgen. Wobei die "Spannungsverstärkerstufe" meistens eigentlich ein sog. Transimpedanzverstärker ist (Strom rein, Spannung raus).

Wonisi (Beitrag #7) schrieb:
Wo wir einmal bei Problemen von Verstärkern sind. Ein Freund hat ein Problem mit seinem Röhrenverstärker, allerdings handelt es sich hierbei um einen Gitarrenverstärker. Sobald der Standbyschalter auf "An" geschaltet wird, ist ein Piepen im Lautsprecher zu hören. Dieses wird aber vom normalen Gitarrensignal übertönt, bleibt aber während der ganzen Zeit in der der Verstärker an ist hörbar. Es wird nicht lauter und nicht leiser.
Hat einer von euch eine Ahnung was das sein könnte?

Du meinst aber schon ein hochfrequentes Pfeifen und nicht etwa Surren oder Brummen? (Heutzutage muß man da nachfragen, da die Begrifflichkeiten nicht ganz selten falsch verwendet werden.) Netzbezogenes Surren wäre bei Gitarrenverstärkern nicht ungewöhnlich, diese haben einen hochohmigen Eingang mit viel Verstärkung (der Verstärker soll ja schließlich absichtlich ins Clipping getrieben werden), zudem sind auch Konstruktionsfehler etwa bei der Masseführung möglich.

Hochfrequentes Pfeifen indes müßte von irgendeiner Art Schaltnetzteil kommen (und dann auch eher von irgendwas größerem - normalerweise arbeiten selbst PC-Netzteile schon jenseits der 20 kHz), entweder übers Stromnetz oder aus der Luft, bei konstanter Amplitude eher ersteres. Kann wieder ein Problem bei der Masseführung sein, aber auch ausgetrocknete Elkos sind denkbar, gerade wenn der Amp schon ein paar Jahrzehntchen auf dem Buckel hat. Reagiert er auch empfindlich auf das Betätigen von Lichtschaltern? Das wäre in so einem Fall typisch.
Wonisi
Schaut ab und zu mal vorbei
#10 erstellt: 07. Aug 2015, 12:58
Hallo
Es handelt sich um ein Pfeifen. Der Verstärker von dem ich rede ist auch noch nicht so alt, höchstens ein Jahr. Es ist ein Tiny Terror von Orange. Allerdings wäre es vielleicht noch interessant zu erwähnen, dass dieser Verstärker einen Umschalter besitzt, der es erlaubt die Leistung von 7 auf 15 Watt umzuschalten. Wenn dieser Schalter von 7 auf 15 Watt umgeschaltet wird, verändert sich das Pfeifen. Meiner Einschätzung nach wird es hochfrequenter. Netzbrummen ist es auf keinen Fall. Ach ja, der Verstärker besitzt kein Schaltnetzteil, das kann also nicht das Problem sein.
Grüße
Wonisi
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