Festtagsmusik?

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AladdinWunderlampe
Stammgast
#1 erstellt: 31. Mai 2009, 14:49
Liebe Musikfreunde,

im Dezember steigen in den Klassikforen regelmäßig die Anfragen zu Weihnachtsmusik, vor Ostern kommen (schon nicht mehr ganz so stark) die Passionsvertonungen und die (meist weniger bekannten) Osteroratorien ins Gespräch - aber wie ist es mit Festen wie Christi Himmelfahrt, Fronleichnam und dem heutigen Pfingstfest?

Mir scheinen diese Festtage - die immerhin gesellschaftlich für so wichtig erachtet werden, dass sie als gesetzliche Feiertage festgeschrieben sind - für die meisten viel weniger mit konkreten musikalischen Werken verbunden zu sein. Möglicherweise liegt das auch daran, dass im Falle von Christi Himmelfahrt, Fronleichnam und Pfingsten die großen biblischen Erzählungen fehlen, die eine gleichsam repräsentative oratorische Umsetzung der betreffenden Themen nahelegen würden: Die Weihnachtsgeschichte und die Passionsgeschichte bieten einfach mehr musikalisch umsetzbaren Stoff als das Pfingstereignis - und selbst als die Ostergeschichte, von der es - wenn ich recht sehe - viel weniger repräsentative, im allgemeinen kulturellen Bewusstsein verankerte Vertonungen zu geben scheint als vom Weihnachtsgeschehen (z. B. Bach, Saint-Saens, Rheinberger, Berlioz) oder von den Passionserzählungen (z. B. Bach, Händel, Penderecki) oder deren Reflektionen in Stücken rund um die "sieben letzten Worte" oder Stabat-Mater-Vertonungen (z. B. Pergolesi, Haydn, Poulenc usw.).

Jedenfalls scheint mir beispielsweise selbst Bachs Osteroratorium weitaus weniger populär zu sein als das Weihnachtsoratorium sowie die Johannes- und Matthäus-Passion desselben Komponisten, und ein populäres Werk wie Händels Messias, bei dem das Passions- und Ostergeschehen im Zentrum steht, wird merkwürdigerweise oft als Weihnachtsmusik gehört.

Daher meine Frage: Hört Ihr geistliche Musik jahreszeitbezogen oder würdet Ihr Euch beispielsweise Bachs Matthäus-Passion auch am 27. Dezember anhören wollen?

Und gibt es für Euch eine typische Pfingstmusik?

Ich persönlich höre zu Pfingsten oft Orgelmusik: Nicolas de Grignys wunderbare Vertonung des Pfingsthymnus Veni Creator Spiritus sowie Olivier Messiaens Messe de la Pentecote stehen regelmäßig auf meinem Hörprogramm.

Auffällig finde ich übrigens, dass besonders viele Komponisten des 20. Jahrhunderts sich in bedeutenden Werken mit dem Pfingstgedanken auseinandersetzen, während mir in diesem Zusammenhang aus der romantischen Tradition höchstens Gustav Mahlers 8. Sinfonie einfällt: In der Neuen Musik dagegen denke ich - abgesehen von Messiaen - spontan an Dieter Schnebel (Glossolalie) und Bernd Alois Zimmermann (der den Pfingsthymnus Veni Creator Spiritus immer wieder vearbeitet hat - unter anderem in seinen Dialogen, Monologen und in Photoptosis). Eine mögliche Erklärung wäre, dass das Pfingstwunder der Verständigung im Sprachengewirr aus postmodernen Perspektiven eine neue Aktualität gewonnen haben könnte.

Auf Eure Gedanken und Einschätzungen wäre ich gespannt.



Mit herzlichen Pfingstgrüßen
aus dem sonnigen Köln,
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 31. Mai 2009, 14:58 bearbeitet]
Thomas133
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 31. Mai 2009, 15:23
Hallo Aladdin,

Das Bekannteste für Pfingsten düften wohl Bachs Pfingstkantaten BWV 34,59,74 und 172 sein.

Ich selber bin jedoch nicht so der Hörer der Werke nach Anlässe und bestimmten Terminen hört, sondern gehe mehr nach meinem momentanen Gefühl. Manchmal bin ich nur für gewisse Werkgattungen, Perioden oder sogar nur spezifische Werke aufgelegt. Den Text zu Oratorien, Kantaten und dergleichen betrachte ich eher als sekundär, wichtig ist für mich vorrangig die musikalische Qualität deswegen kann es auch durchaus mal vorkommen das ich die Matthäuspassion zB zu Weihnachten und das Weihnachtsoratorium zu Ostern oder mitten im Sommer höre. Den Text blende ich dabei aber natürlich nicht vollkommen aus denn er ist ja in gewisser Weise auch mit der Musik verkoppelt und stehen zueinander sozusagen in Wechselwirkung - mich stört es aber dann nicht wenn ich zB im Sommer von Jesus Geburt höre. Genaugenommen weiß man ja sowieso nicht genau wann Christus geboren wurde und der 24.,25., rein symbolischer Natur ist.
Den einzigen Tick den ich manchmal nachgeh und terminbezogen wäre, das ich zu gewissen Gedenktagen bestimmter Komponisten bewußt zum. ein Werk desjenigen höre - das mach ich zum. bei Geburts- und Todestagen von Mozart, Beethoven, Schubert, dieses Jahr natürlich erstmalig auch bei Haydn usw.
gruß
Thomas
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 02. Jun 2009, 00:35

AladdinWunderlampe schrieb:
Hört Ihr geistliche Musik jahreszeitbezogen oder würdet Ihr Euch beispielsweise Bachs Matthäus-Passion auch am 27. Dezember anhören wollen?

Als regelmäßiger Gottesdienstbesucher und Kirchenmusiker höre und musiziere ich im Gottesdienst natürlich (kirchen-)jahreszeitlich geprägte, geistliche "Gebrauchsmusik", vor allem choralgebundene Orgel- und Chormusik. Auch die häusliche Einstudierung dieser Musik und die Chorproben prägen für mich die Jahreszeiten und Festtagsanlässe mit ihrer jeweiligen Musik. Daher höre ich geistliche Musik auch privat grundsätzlich jahreszeit- und anlassbezogen, auch um die Fülle an Musik einigermaßen geordnet bewältigen zu können. Dabei fühle ich jedoch keinerlei Beschränkung oder Einengung in dieser Ordnung, sondern ganz im Gegenteil: Indem die Aussage der textbezogenen Musik des jeweiligen Sonn- oder Feiertages mich ohnehin beschäftigt, erfährt sie eine Vertiefung und Begleitung in der Musik. Daher empfinde ich es oft als besonders störend, wenn Musikprogramme in der Adventszeit (seien es Konzerte, Rundfunkprogramme oder CD-Kompilationen) mit unzeitgemäßer "Weihnachtsmusik" aufgefüllt werden, oft aus Gleichgültigkeit den Inhalten gegenüber, manchmal, weil man die durch Enthaltsamkeit absichtlich aufgebaute Spannung bis zum Fest offenbar nicht erträgt. Es kommt durchaus vor, dass ich eine Passionsmusik außerhalb der Zeit höre, aber dann dient dies meistens der rechtzeitigen Vorbereitung auf eine Aufführung in der Passionszeit und geschieht selten mit Genuss und Verinnerlichung.


AladdinWunderlampe schrieb:
Und gibt es für Euch eine typische Pfingstmusik?

Die von Thomas genannten Bachkantaten gehören für mich zu Pfingsten wie sein Weihnachtsoratorium zum Christfest. Wobei im Leipzig der Bachzeit neben dem Montag auch der Dienstag nach Pfingsten gottesdienstlich begangen wurde. So sind neben Bachs vier Kantaten am Pfingstsonntag (BWV 34, 59, 74, 172) auch drei Kantaten für Pfingstmontag

- BWV 68 "Also hat Gott die Welt geliebt"
- BWV 173 "Erhöhtes Fleisch und Blut"
- BWV 174 "Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte"

und zwei für den Pfingstdienstag überliefert:

- BWV 175 "Er rufet seinen Schafen mit Namen"
- BWV 184 "Erwünschtes Freudenlicht"

Auffällig ist jedoch , dass Bach in keiner dieser Kantaten das Pfingstwunder selbst vertont, wie es in der Apostelgeschichte des Lukas (Kap. 2) biblisch belegt und in der Leseordnung der evangelischen Kirche seit Jahrhunderten für die Epistellesung am Pfingstsonntag verankert ist. Vielmehr gründen Bachs vier Sonntagskantaten auf dem Johannes-Evangelium, das im 14. Kapitel die Verheißung des Heiligen Geistes durch Jesus thematisiert. Dabei böte das Pfingstgeschehen ("Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind", "Zungen zerteilt wie von Feuer", "fingen an zu predigen in andern Sprachen") eine Fülle an dramatischem Potenzial, das sich wunderbar in Musik übersetzen ließe...

Mir ist auch sonst kein oratorisches Werk solchen Inhalts oder konzertfüllenden Ausmaßes bekannt. Neben zahlreichen Pfingstmotetten und -kantaten aus der Renaisssance und dem Frühbarock fällt mir sonst nur noch Bibers Rosenkranzsonate Nr. 13 ein: Ausgießung des Heiligen Geistes.

Musikalisch lohnend scheinen mir diese Kantaten aus dem zeitlichen und regionalen Umfeld Bachs zu sein:


Gottfried Heinrich Stölzel (Gotha): Sechs Kantaten auf Pfingsten (1737)
Telemannisches Collegium Michaelstein, Ludger Rémy
CPO 2004


Gottfried August Homilius (Dresden): Vier Kantaten auf Christi Himmelfahrt, Sonntag Exaudi, Pfingsten und Trinitatis
Dresdner Kreuzchor und Barockorchester, Roderich Kreile
Carus 2005


AladdinWunderlampe schrieb:
Im Dezember steigen in den Klassikforen regelmäßig die Anfragen zu Weihnachtsmusik, vor Ostern kommen (schon nicht mehr ganz so stark) die Passionsvertonungen und die (meist weniger bekannten) Osteroratorien ins Gespräch - aber wie ist es mit Festen wie Christi Himmelfahrt, Fronleichnam und dem heutigen Pfingstfest?

Mir scheinen diese Festtage - die immerhin gesellschaftlich für so wichtig erachtet werden, dass sie als gesetzliche Feiertage festgeschrieben sind - für die meisten viel weniger mit konkreten musikalischen Werken verbunden zu sein.

Mein Erklärungsversuch: Die Geburt Christi (Menschwerdung Gottes!) und Jesu Tod und Auferstehung (als stellvertretendes Opfer Gottes für die Menschheit und Voraussetzung für die Versöhnung mit Gott) sind nun mal die zentralen Ereignisse in der christlichen Heilsgeschichte. Dagegen müssen alle anderen Anlässe verblassen. Aber Du hast schon recht: Gemessen an der Einrichtung gesetzlicher Feiertage ist hier ein Ungleichgewicht entstanden.


reflection schrieb:
Genaugenommen weiß man ja sowieso nicht genau wann Christus geboren wurde und der 24.,25., rein symbolischer Natur ist.

Das ist richtig. Die meisten christlichen Gedenk- und Feiertage sind nicht auf ein spezielles historisches Datum fixiert. Die 12 "Weihe-Nächte" ab dem 24. Dezember beispielsweise, in denen germanische Druiden bestimmte "heidnische" Weihehandlungen vornahmen, hat die römische Kirche um 350 sozusagen umgewidmet und ihnen die Geburt Christi zum Anlass und Hintergrund gegeben. Der Zeitpunkt des Pfingstfestes (50 Tage nach Ostern) - wie der des Osterfestes ("Passah") - existiert hingegen schon im jüdischen (vorchristlichen) Festtagskalender.

Gruß, Kaddel
Tannoymann
Stammgast
#4 erstellt: 10. Jun 2009, 11:30

Und gibt es für Euch eine typische Pfingstmusik


Eine andere Art "Pfingstmusik"
Peter Maxwell Davis. "Black Pentecost"

"Peter Maxwell Davies' 1979 work for mezzo-soprano, baritone and orchestra, commissioned by the Philharmonia Orchestra, who gave the first performance in May 1992 at the Royal Festival Hall, with Simon Rattle conducting.
The 'Black Pentecost' is the coming of uranium mining, which was a threat to Orkney when the work was written. The text tells of the destruction of old ways of life, the eclipse of the human by the technological. Davies sets it as a gripping dramatic cantata which is also a four-movement symphony, with the songs for imperious baritone and lyrical mezzo-soprano linked by orchestral transitions. The work is a lament, and at the same time a fiercely argued protest."

Grüße
Willi
op111
Moderator
#5 erstellt: 10. Jun 2009, 12:44

Tannoymann schrieb:
Eine andere Art "Pfingstmusik"
Peter Maxwell Davis. "Black Pentecost"


Die 1993er Aufnahme mit
Della Jones, Mezzosop;
David Wilson-Johnson, Bariton;
BBC Philharmonic Orchestra
Sir Peter Maxwell Davies,
Collins 13662
ist seit dem Ende von Collins nur noch antiquarisch zu erhalten.



amg
Kings.Singer
Inventar
#6 erstellt: 10. Jun 2009, 21:00
Hi.

Ich schätze, dass das ein ergiebiges Feld für mich sein könnte. Schließlich bin ich 'in' der Kirchenmusik groß geworden.

Spontan fällt mir allerdings zunächst nur Monteverdis Marienvesper ein. Diese ist zugegebenermaßen nicht speziell auf einen Festtag komponiert, jedoch zu allen Marienfesten im Stundengebet (der Vesper) fest verankert. Das bekannteste dürfte Mariä Himmelfahrt sein. Leider in Hessen kein Feiertag mehr - dafür in Bayern. Weiß nicht wie es in anderen Bundesländern aussieht.

Mehr kommt hoffentlich in Bälde.


Viele Grüße,
Alex.
Tannoymann
Stammgast
#7 erstellt: 11. Jun 2009, 10:32
Hallo!
Eine der schönsten Feiertagsmusiken, die ich unabhängig von Fetstagen immer wieder ergriffen höre, sind Tomas Luis de Victoria's "Tenebrae Responsorien"
Die Referenzgesamtaufnahme: Hilliard Ensemble
Die nicht vollständige aber für meinen Geschmack noch extremere Einspielung: Pro Cantione Antiqua, London
Grüße
Willi
Tannoymann
Stammgast
#8 erstellt: 12. Jun 2009, 05:49
Kleine Korrektur: Ich meine Gesualdos Tenebrae mit den Hilliards. Pro Cantione bezieht sich tatsächlich auf Victoria und ist in seiner implodierenden Verhaltenheit, unterstützt durch die Interpretation ein sehr extremes Werk.
Grüße
Willi
Pilotcutter
Administrator
#9 erstellt: 19. Jun 2009, 02:47

AladdinWunderlampe schrieb:

Daher meine Frage: Hört Ihr geistliche Musik jahreszeitbezogen oder würdet Ihr Euch beispielsweise Bachs Matthäus-Passion auch am 27. Dezember anhören wollen?


Ein gut Teil meiner Musikauswahl gehört dem Vocalwerk - insbesondere der geistlichen Musik - und ich höre es mitnichten feiertags- und jahreszeitbezogen.

Die Matthäus-Passion am 27. Dezember würde sicher schon gehen - Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz, wie auch innerhalb des freikirchlichen Lagers (zu dem ich mich zähle) Luther zitiert wird. Die "Freikirchler" kennen kein lithurgisches Jahr. Die teils von Kaddel gut beschriebenen zentralen Säulen der Heilsgeschichte sind ganzjährig Gegenstand der Verkündigung und werden entsprechend besungen.

Vice versa jedoch, wird im lithurgischen Jahr der "Tag der Ankündigung der Geburt des Herrn" auf den 25. März datiert und fällt somit mitten in die Passionszeit. Gleichwohl Weihnachten quasi dort beginnt, würde es mir vielleicht doch schwerfallen geistliche Weihnachtsmusik ebenda zu hören. Da unterliege ich auch ein wenig dem angeführten "Ungleichgewicht".


[Beitrag von Pilotcutter am 19. Jun 2009, 13:14 bearbeitet]
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