Sind Lieder altmodisch?

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 23. Okt 2005, 10:32
Im Zusammenhang mit dem Schubertliederthread habe ich noch mal das Linkverzeichnis durchforscht. Eigentlich haben wir uns nur sehr wenig mit Liedern auseinandergesetzt. Ein Thread zur Winterreise, das wars.

In einem Klassikforum fand ich neulich folgende interessante Diskussion. Die Texte vieler Schubertlieder seien ja so unmöglich, da könne man ja nur lachen. Im Grunde genommen habe man da nur die Möglichkeit diese Lieder als absolute Musik zu genießen.

Mir geht das anders. Allerdings war auch für mich dies eine Sache des "Sich einlassens" auf etwas zunächst fremdes, historisch fremd gewordenes. Das gebe ich zu.

Allerdings glaube ich trotzdem, daß die "kulturhistorischen Barrieren" zur Klassikgattung des Liedes heute wirklich am höchsten sind. Da kommt mir unwillkürlich eine Assoziation an Ödipussi von Loriot mit der Brahmslieder jaulenden alten Dame. Da werden viele gelacht haben, aber irgendwie bestätigt dieser Film dann natürlich auch das Klischee kulturbeflissener Liedschwülstigkeiten.

Kitsch, Schwulst, Sentimentalität - damit wird doch für viele das Kunstlied immer noch in Zusammenhang gebracht. Wir sind andere Lieder gewöhnt, auch durch Pop und Rock. Passen da die Texte von Schubertliedern nicht eher in den Musikantenstadl? Nicht meine Meinung, aber ich glaube, daß sich viele, die sich der Klassik doch genähert haben, um Lieder doch noch einen weiten Bogen machen.

Sind also Lieder altmodisch? Die Klassik an sich gilt ja bei vielen als altmodisch, aber Lieder sind nun wirklich der Gipfel alles Altmodischen in der Musik. Und dabei gibt es so herrliche Lieder!

Meinungen?

Gruß Martin
Uwe_Schoof
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 23. Okt 2005, 18:06
Liedkompositionen bergen natürlich die gleiche Möglichkeit, niveauvolle oder -lose Musik zu transportiern wie andere Musikbesetzungen auch (s. Musikgeschiche). Besonders im letzten Jahrhundert wurden ja wirklich gute Sachen in dieser Besetzung komponiert.

Ich persönlich höre Lieder nicht gerne.

Aber zur Frage: Altmodische Lieder sind altmodisch, nicht altmodische Lieder sind nicht altmodisch.

Uwe
bebop
Stammgast
#3 erstellt: 23. Okt 2005, 19:24

Eigentlich haben wir uns nur sehr wenig mit Liedern auseinandergesetzt.


hallo

Obwohl ich aus den 60er Jahren herkomme und Soul gehört habe, später FreeJazz und dann Swing und Bebop, höre ich heute auch sehr gerne Lieder. Weniger der Inhalt der Lieder interessiert mich, als diese Stimmen die diese Lieder singen!
Ich muss zugeben, dass es mir auch schwerfällt, manchem Vortrag mit Begeisterung zu folgen, Bsp. Bryn Terfel und Malcolm Martineau, die Schubert Lieder vorstellen.
Da dort alles in deutscher Sprache gesungen ist, kann ich natürlich auch alles verstehen und bin mir deswegen sicher, dass meine zurückhaltende Aufmerksamkeit daherrührt, dass diese Form eines Lied-Vortrages heute verlangt, das hinzuhören eventuell einfach zu wieder zu üben.

Sehr gerne höre ich hingegen einige Volksliedhaften Gesänge des italienischen Sängers Beniamino Gigli!
Seit einigen Tagen begeistert mich auch von Puccini verschiedenes aus Turandot, Tosca und Madame Butterfly und zwar insbesonders diese
a l t e n Aufnahmen mit Erich Leinsdorf als Dirigent. Leonie Rysanek singt, Birgit Nilsson und Leontyne Price.
Die Aufnahmen waren auf einer Promo CD-Beilage in der Stereoplay vom Oktober.
Eine sehr schöne Stimme hat auch die Sängerin Magda Hain, die ist aber weniger der sogenannten ernsten Musik zu zuordnen.
Diese Puccini Aufnahmen sind als Living Stereo bei RCA wiederveröffentlicht und machen mich echt an.


Ingo


[Beitrag von bebop am 23. Okt 2005, 19:26 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 23. Okt 2005, 20:20

bebop schrieb:

Eigentlich haben wir uns nur sehr wenig mit Liedern auseinandergesetzt.


Seit einigen Tagen begeistert mich auch von Puccini verschiedenes aus Turandot, Tosca und Madame Butterfly und zwar insbesonders diese
a l t e n Aufnahmen mit Erich Leinsdorf als Dirigent. Leonie Rysanek singt, Birgit Nilsson und Leontyne Price.
Die Aufnahmen waren auf einer Promo CD-Beilage in der Stereoplay vom Oktober.
Eine sehr schöne Stimme hat auch die Sängerin Magda Hain, die ist aber weniger der sogenannten ernsten Musik zu zuordnen.
Diese Puccini Aufnahmen sind als Living Stereo bei RCA wiederveröffentlicht und machen mich echt an.


Ingo


Lieber Ingo,

entschuldige meine Klugscheißerei und vermutlich weißt Du es ja selber, aber Opernarien sind keine Lieder. Worin der Unterschied besteht, außer daß Arien in Opern ihren Platz haben, Lieder meist mit Klavierbegleitung sind? Schwierige Frage. Schubert konnte wunderbare Lieder schreiben, aber die vielen Opern, die er geschrieben hat, haben es nie zu Bekanntheit und Berühmtheit gebracht. Hugo Wolf ist ein bekannter Liedkomponist ( den ich allerdings kaum kenne), aber seine Oper fiel durch, weil angeblich zu liedhaft.

Sicher gibt es liedhafte Arien und opernhafte Lieder. Trotzdem sind Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, obwohl orchestral eben eindeutig Lieder und keine Arien. Es wäre interessant festzustellen, worin nun eigentlich genau die stilistischen Unterschiede zwischen Arien und Liedern bestehen. Ich glaube, echte Lieder haben häufig auch eine Affinität zum Volkslied, "Guten Abend, gute Nacht" von Brahms ist ja sogar zum Volkslied geworden, aber häufig ist das auch nur eine oberflächliche Ähnlichkeit und manche Lieder, wie meinetwegen "Die Stadt" von Schubert sind überhaupt nicht volksliedhaft.

Ich persönlich mag Lieder lieber als Arien. Arien müssen auf dramatische Wirkung bedacht sein, Lieder dagegen könne ruhig ja meditativ sein ( aber das können Arien letzlich auch). Ich bezweifle, daß es wirklich eine klare stilistische Trennunglinie zwischen Liedern und Arien gibt.

Gruß Martin
Martin2
Inventar
#5 erstellt: 23. Okt 2005, 22:34

Uwe_Schoof schrieb:
Liedkompositionen bergen natürlich die gleiche Möglichkeit, niveauvolle oder -lose Musik zu transportiern wie andere Musikbesetzungen auch (s. Musikgeschiche). Besonders im letzten Jahrhundert wurden ja wirklich gute Sachen in dieser Besetzung komponiert.


Könnte es sein, daß Du aus alter Gewohnheit das letzte Jahrhundert mit dem vorletzten verwechselst? Ehrlich gesagt kenne ich nämlich aus dem 20. Jahrhundert nicht gar so viele Lieder, aus dem 19. Jahrhunder aber sehr wohl.


Ich persönlich höre Lieder nicht gerne.


Das ist schade.


Aber zur Frage: Altmodische Lieder sind altmodisch, nicht altmodische Lieder sind nicht altmodisch.


Nun gut, dann versuche ich meine Frage ein wenig zu präzisieren. Zum Beispiel ist eine gewisse Form von Gedichten, etwa die gereimten Liebesgedichte, wo da so schön vom Mond und den Sterne, von Quellen und rauschenden Linden und dergleichen erzählt wird, auch irgendwie unmodern geworden. Welcher Dichter von heute schreibt noch solche Gedichte? Damit ist aber schon gewissermaßen die poetische Grundlage für das entzogen, was einmal ein Lied war, nämlich ein vertontes Gedicht. Diese Grundlage für das romantische Lied, das von Schubert, Schumann, Brahms bis Wolf, Mahler, Strauss reicht, ist doch gewissermaßen weggebrochen.

Gibt es überhaupt noch Komponisten heute, die Lieder komponieren? Und welche Grundlagen benutzen sie? Würde heute ein Komponist ein Gedicht von Eichendorf komponieren, hätte das ein bißchen was antiquarisches. Aber moderne Gedichte sind eben ganz und gar nicht mehr liedhaft, wollen von Versmaß und Reim ( die ja an sich auch sehr fragwürdig sind, weil formale Prinzipien inhaltliche Erwägungen bestimmen) gar nichts mehr wissen. Ist also so gesehen ein Lied im engeren Sinne möglicherweise tatsächlich etwas altmodisches, was einen ein bißchen an den Charme von Poesiealben erinnert?

Gruß Martin
op111
Moderator
#6 erstellt: 24. Okt 2005, 20:27
Hallo Martin,

Martin2 schrieb:
Ehrlich gesagt kenne ich nämlich aus dem 20. Jahrhundert nicht gar so viele Lieder, aus dem 19. Jahrhunder aber sehr wohl.


ich erlaube mir mal dir (mit einer kleinen Akzentverschiebung) zu widersprechen, ohne zu sagen, daß du Unrecht hast;

die Liedform ist vielleicht die, in der die meisten Kompositionen des 20. und vielleicht auch des 21. Jahrhunderts verfasst sind. Wahrscheinlich war sie nie so populär wie heute. Man muß nur die Barriere der E-Musik überspringen.
Der größte Teil der Pop- und Rockmusik, sogar viele Jazztitel sind formal "Lieder".

Das klassische Lied, wie es noch Richard Strauss komponiert hat, da gebe ich dir Recht, bietet immer höhere Hörbarrieren.

Manch ein E-Komponist des 20 Jhd. hat mehr Lieder geschrieben als Orchesterwerke u.a., z.B. Charles Ives (ca. 150 Lieder).

Unter den lebenden Komponisten fallen mir spontan zuächst nur Hans Zender, John Corigliano (7 Lieder auf Texte von Bob Dylan) und Philip Glass (Songs from Liquid Days) ein.

Gruß
Franz


[Beitrag von op111 am 24. Okt 2005, 20:40 bearbeitet]
Susanna
Hat sich gelöscht
#7 erstellt: 24. Okt 2005, 22:48
Hallo,

Franz-J. schrieb:

ich erlaube mir mal dir (mit einer kleinen Akzentverschiebung) zu widersprechen, ohne zu sagen, daß du Unrecht hast;

Wenn also ein Abstecher vom Kunstlied erlaubt ist, möchte ich noch an das geistliche Lied erinnern, das eine große Tradition hat, sowohl als Choral-, als auch Gemeindegesang. Im Sprachgebrauch läuft es unter Kirchenlied.
Im 20. Jahrhundert entstanden auf der Basis der traditionellen Formen neue Kirchenlieder. Ab Mitte letzten Jahrhunderts wurden dann nach anfänglichem Widerstand Pop- und Folkloreelemente aufgenommen, auch Gospels und Spirituals hierzulande beliebt. In der Vorschul - und Grundschularbeit werden viele neue und schöne Kinderlieder verwendet.
Im Kunstlied ist für mich der Gipfel des Schubertschen Schaffens nicht mehr erreicht worden.

Gruß,
Susanna
bebop
Stammgast
#8 erstellt: 26. Okt 2005, 19:59
an Martin


entschuldige meine Klugscheißerei und vermutlich weißt Du es ja selber, aber Opernarien sind keine Lieder.


ist schon O.K. Klar, Lieder sind keine Arien.
Ich höre auch, dass Lieder ganz anders vorgetragen werden.
Arien die ich gehört habe, und das sind noch nicht so viele,
erscheinen mir gerade wegen der starken Anteilnahme des Sängers oder der Sängerin und deren Ausdruckskraft so anregend und interessant.
Die Lieder von Schubert, die ich nocheinmal gehört habe, gesungen von Bryn Terfel,wollen wohl weniger aufregen als
zur Besinnung ermahnen?
Dem ersten Stück zu folgen fällt gelingt mir nicht gut(Gruppe aus dem Tartarus - Schiller). Der Erlkönig macht dann schon Mut, hin zu hören und Heidenröslein dringt fast bekannt ins Ohr. Mein "Favorit" in dieser Veröffentlichung ist "Wanderers Nachtlied II ( wieso zwei?) und Schäfers Klagelied.
Jetzt habe ich aber gestern abend anderes entdeckt, wovon ich doch hoffe mehr hören zu können.
http://www.meister-der-mandoline.de/deutsch.html


Gruss
Ingo
Kreisler_jun.
Inventar
#9 erstellt: 30. Okt 2005, 17:34
Ich würde unterscheiden, ob eine Form (egal ob Lied oder Gedicht), ihren "historischen Zenit" überschritten hat (das haben Opern und Sinfonie seit ca. 1920 wohl ebenfalls), oder ob die seinerzeit unstrittigen Meisterwerke einer Gattung heuer "unpopulär", gar die Form selbst irgendwie altmodisch wirkt. Ich nehme mal an, Du meinst hauptsächlich letzteres.
Ich glaueb, dass Lieder nie besonders populär waren, abgesehn davon, dass ise im 19. Jhd. teils zur Hausmusik gehörten. Aber für ein breiteres Publikum im Zeitalter von Schallplatte und Rundfunk war das Lied immer ein Nischenrepertoire.
Die Texte mögen eine Rolle spielen, aber da könnte für die Oper ähnliches gelten, Lyrik ohne Musik ist ja heutzutage auch nicht sehr populär, egal ob klassische oder moderne (wenngleich ein paar Hörbuchprojekte jüngster Zeit aufmerken lassen), aber bestimmt nicht die entscheidende.
Ich glaube, dass das klassische Kunstlied trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten zum Pop/Rock oder Folksong in der Tat etwas ist, was sehr konträr zum Zeitgeist steht: es ist sowohl äußerst intim als auch hochgradig artifiziell. In der Oper ist man eher geneigt, dem gefühlsausbruch zu trauen, wegen des theatralisch-dramatischen Rahmens, der Rockstar brüllt direkt seinen Liebeskummer hinaus. Aber solche Emotionen differenziert auszudrücken und dabei in einer sehr "künstlichen" Weise, geht uns sowohl gegen "Coolness" als auch gegen die talkshow-Emotionalität, wo alles öffentlichst breitgetreten werden kann
(Vermutlich muß ich nicht betonen, dass mir gerade wegen dieses contra! Lieder sehr wichtig sind )
Zu den Texten: viele Texte sind ja durchaus meisterhafte Gedichte großer Dichter (Goethe, Heine, Eichendorff), insgesamt trenne ich aber nicht Texte, Musik und Ausdruck: Ähnlich wie Wagners wallendes Wogen funktionieren Texte, die man isoliert genommen als zweitklassig sehen würde, im Zusammenhang (etwa Müller/Schubert oder auch Mahlers Wunderhorntexte) erstaunlich gut.
Ich nehme mal zwei Beispiele: in einem von Schumanns Liedern op. 39 (Eichendorff) ist der Text "ich wollt ich wär ein Vöglein, so flög ich über das Meer, ja übers Meer und noch weiter, bis dass ich im Himmel wär", der gewiß an der Kitschgrenze vorbeischrammt mit solch einem ekstatischen Aufschwung in Melodie und Begleitung gestaltet, dass bei mir zumindest die Gänsehaut nicht ausbleibt.
Oder das auf Schubert u.a. anspielenden, zu Mahlers Zeit gewiß schon etwas abgedroschene Bild des blühende Lindenbaums, an dem der nächtliche Wanderer rastet(4. Gesellenlied). Die glückliche Vision ist hier so gestaltet, dass ihre rührende Vergeblichkeit wohl auch deutlich würde wenn das lakonische dacapo (in den Flöten) des Anfangsmotivs (die zwei blauen Augen) in Moll nicht klarstellte, dass das Glück eben nur ein Traum war.
Außerdem sehe ich nicht ein, mir die "wahre Romantik" von einer Kultur, die ein Hollywoodkitsch-Ersatzleben propagiert, darunter nur noch candlelight-dinner versteht, verderben zu lassen...

viele Grüße

JR
op111
Moderator
#10 erstellt: 31. Okt 2005, 15:07
Hallo JR,

Kreisler_jun. schrieb:
... sehe ich nicht ein, mir die "wahre Romantik" von einer Kultur, die ein Hollywoodkitsch-Ersatzleben propagiert, darunter nur noch candlelight-dinner versteht, verderben zu lassen...

danke für deinen engagierten Beitrag.
Mein Eindruck ist, dass kaum einer hier im Klassik-Forum Romantik als rührselige, sentimentale Nostalgie mißversteht.
Offensichtlich es heute schwerer, die Sprache jener Epoche zu verstehen, die Metaphern zu dechiffrieren, Brüche zu erkennen - beim Blues z.B. ist das, weil er uns zeitlich viel näher steht, einfacher.


Gruß
Franz

PS:
Wikipedia Romantik
Tommy_Angel
Inventar
#11 erstellt: 03. Nov 2005, 19:52
Ausgangsfrage: Sind Lieder altmodisch?

Sie sind es definitv nicht weil einerseits

- sie in der "modernen" Musik, ich meine jetzt Blues/Singer/Songwriter fröhliche Urständ feiern

- anderseits grade heut die Sehnsucht nach Ruhe und Innehalten, die besonders im Zusammenspiel von Klavier und Einzelstimme zum Ausdruck kommt, zunimmt.

Und viele Lieder (die meisten1) erzählen ja Geschichten, sozusage eine Minioper in sich selbst, ich denke hier nicht nur an Schubert sondern auch an Silcher (oki, mehr die Chormusik) und vor allen Dingen Loewe, der zweite Mann nach Schubert!
hifi-zwerg
Stammgast
#12 erstellt: 04. Jun 2010, 11:12
Hallo!

Um nicht einen neuen Fred zum ähnlichen Thema zu machen krame ich diesen Uraltthread mal hervor.

Am letzten Wochenende hatte ich bei einer Grillparty eine interessante aber auch etwas wirre Diskussion zum Theme "Das Kunstlied ist eine aussterbende Gattung".

Leider war aus mangelnder Sachkunde vieler Teilnehmer (mich eingeschlossen) die Diskussion etwas im "luftleeren Raum". Viele kannten umd mochten zwar die Winterreise, aber die Diskussionsteilnehmer waren doch ehr aus dem "Pop und Jazz Lager", was dann z. B. zu der etwas abstrusen Aussage führte "Nach Beethoven gab es kein Kunstled mehr", und das von einem, der nur die Wintereise als Kunstliederzyklus kannte.

Nichtsdestoweniger hat mich die Diskussion angeregt, etwas darüber nachzudenken, da es nicht zu tiefer Erkenntniss reichte schreibe ich die Gedankenschnipsel mal als Kurzthesen auf:

1) Nicht "nach Beethoven" sondern "vor Beethoven" gab es kein Kunstlied. Nach Beethoven fallen mir viele Komponisten mit z. T. tollen Liedkompositionen ein (Schubert, Brahms, Elgar, Mahler, Strauss, Schönberg, obwohl sind die Gurrelieder eigentlich Lied oder Oper). Zu Beethoven und davor fällt mir eigentlich nur Mozarts "Komm lieber Mai" und "C-A-F-F-E-E) ein, ist aber sicher nur eine Bildungslücke.

2) Bei Tonträgern fällt mir keine eindeutige Entwicklung in der Aufnahmetätigkeit auf, Winterreise, Vier lezte Lieder und des Knaben Wunderhorn werden in schöner regelmässigkeit aufgenommen, anderes ehr sproadisch aber ohne erkennbare Tendenz.

3) Nach 45 kenne ich einerseits keine Liedkompositionen von E-Musik Komponisten (Bildungslücke), allerdings fällt mir die Abgrenzung von Lied E-Musik zu E-Popmusik schwerer als bei anderen Musikgattungen. Vielleicht war die Grenze nie wirklich existent, es fehlt mir nur die Kenntnis über "Pop-Lieder" des 19 Jahhunderts.

4) Die Aufführungshäufigkeit im Konzertsaal kann ich nur aus den letzten 30 Jahren und aus dem Bauch bewerten, aber eine signifikante Änderung die die These "Das Kunstlied ist eine aussterbende Gattung" stützen oder wiederlegen würde habe ich nicht beobachtet.

5) Ein Großteil des Musiklebens, das in Chören und Gesangsvereinen stattfindet ist mir unbekannt, ob es dort und in der Hausmusik eine starke Veränderung gegeben hat die die These stützt ist mir völlig unbekannt.

6) Selbst wenn man nur die "besseren" Kompositionen aus dem Bereich des Akustischen Jazz Folk Chanson Singer/Songwriter als zur Gattung "Lied" mitzählt, wäre das Lied heute lebendiger als je zuvor.

Gruß Zwerg
Joachim49
Inventar
#13 erstellt: 05. Jun 2010, 10:13
Es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, die Gattung Kunstlied habe an Beliebtheit verloren. Was die Frage vor Beethoven betrifft: Mozart hat ca. 30 Sololieder mit Klavierbegleitung geschrieben. Haydn, glaube ich, deutlich mehr, selbst wenn man die zahllosen Bearbeitungen von englischsprachigen Volksliedern nicht mit berücksichtigt.
Bis weit ins 20 Jahrhundert gibt es neue Liedkompositionen. Ich kenne mich da nicht gut aus, aber, z.B. Messiaen oder Duparc. An Neukompositionen für Chöre gibt es, glaube ich, überhaupt keinen Mangel. Bei Schönberg sollte man vielleicht nicht in erster Linie an die Gurrelieder denken, sondern an die 'hängenden gärten' oder an seine Chorkompositionen. (Nicht weil die Gurrelieder unbedeutend wären, aber die grossen symphonischen Werke mit Stimme (Mahlers 'Lied von der Erde', Zemlinskys 'Lyrische Symphonie' ....., sind nicht gerade paradigmatisch, wenn man an das Kunstlied denkt.) Überhaupt scheint mir das frühe 20. Jahrhundert eine riesige Fundgrube für das 'Kunstlied'zu sein: Korngold, Draeseke, Zeisl, Zemlinsky,Krenek, Weill, Diepenbrock ...
Also: kein Grund zur Sorge um das Lied.
Joachim
Hörbert
Inventar
#14 erstellt: 11. Jun 2010, 10:31
Hallo!

Zwar haben Kustlied und Kantate seit dem Niedergang der Hausmusik durch jederzeit verfügbare Musikkonserven und Massemmedien eine tiefgreifende Wandlung erfahren aber sie gibt es nach wie vor.

Von einem Rückgang der Poroduktion kann eigentlich nicht gesprochen werden, allerdings ist die Aufführungspraxis aus der Sphäre des semiproffessionellen mehr und mehr in die Spähre des professionellen verlagert worden.

In der zweiten Hälfte des 20.Jahrhundert gibt es eine Fülle von Kustliedern, respektive Kustliedzyklen. So hat z.B. Ernst Krenek mindestens 12 Liedzyklen geschrieben, der bekannteste ist vermutlich "Spätlese" Op. 218 (1973) das sind sechs Weinlieder.

Von den noch lebenden respektive aktuellen Komponisten wäre hier unter anderem Wolfgang Rihm zu nennen dessen "Wölfli Lieder" recht bekannt sein dürften.

Lieder b.z.w. Liedzyklen wie Henzes Voices um nur mal den Bereich des Orchesterliedes anzureißen oder Hans Jürgens von Boses herrliche Kantate "Sappho-Gesänge" möchte ich nicht unerwähnt lassen obwohl es hier wohl eingentlich im engeren Sinne um das Kustlied mit Klavierbegleitung geht.

Im Prinzip kann ich eigentlich nur sagen "wer suchet-der findet." Alleine bei CPO ist unzählige zeitgenössische Komponisten gelistet und ein Teil ihres Kustliedschaffens ist recht gut dokumentiert.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 11. Jun 2010, 10:33 bearbeitet]
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