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Mahler: Die Sinfonien

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Live-musikhörer
Inventar
#201 erstellt: 14. Okt 2006, 11:20

arnaoutchot schrieb:
Jungs (und Mädels, sollten welche dabei sein), ich bin der Letzte, der hier einen akademischen Streit über wertvoll und wertlos unterstützen will.

Ich hoffe, es geht nicht um streiten.
Wenn jemand mit so schwerwiegenden negativen (oder auch positiven) Beurteilungen im Rampenlicht sich stellen möchte, sollte er auch fähig sein, diese zu begründen. Ich möchte gern wissen, was hinten diese Behauptungen steht.

Es könnte durchaus möglich sein, dass diese Person eine so wertlose (klangbezogen) Anlage hat, dass er auf diese Ergebnisse kommt. Wer weiss aber vielleicht hat er doch Recht.
Miles
Inventar
#202 erstellt: 14. Okt 2006, 11:39

arnaoutchot schrieb:
"Solti's achievement in Mahler has been consistent and impressive, and this reissue [of the complete symphonies] will be hard to beat. ... Solti draws stunning playing from the CSO, often pressed to great viruosity , which adds to the electricity of the music making. If his rather extrovert approach to Mahler means that deeper emotions are sometimes understated, there is no lack of involvement, and his fiery energy and commitment often carry shock waves in their trail."
(Penguin Guide to Compact Discs, 2002 edition, p. 764)

Klingt für mich schon nach Referenzeinspielung. Sicher, die hochwertige Aufnahmequalität der meisten Symphonien tut natürlich ihr übriges.


Ich denke Penguins "hard to beat" bezieht sich nicht auf die absolute musikalische Qualität der Gesamteinspielung, sondern auf den Preis/leistungfaktor der Decca-Box im Vergleich zu anderen Komplettaufnahmen die es 2002 gab. Die meisten davon waren noch im Hoch- und Midpricebereich angesiedelt. Die Solti-Box war preiswert, ist sehr gut aufgenommen und bietet überwiegend sehr gute Interpretationen. Das heisst nicht dass sie Mass aller Dinge sein muss.

Wenn man ein sehr kleines Budget hat dann ist die Inbal-Box "hard to beat".


[Beitrag von Miles am 14. Okt 2006, 11:42 bearbeitet]
s.bummer
Hat sich gelöscht
#203 erstellt: 14. Okt 2006, 12:32
Hallo,
ich empfehle jedem, der sich hier einbringt, den Thread mal von Anfang an zu lesen.
Überhaupt, genaues Lesen hilft mitunter weiter.
Schreibt Agon:

Gerade die Briten sind durch Horenstein, Barbirolli und Tennstedt, Abbado und Sinopoli wahrhaft Besseres gewohnt...

und dann ein paar Zeilen später,

sehen uns an, was ein echter und kompetenter Musikkritiker wie David Hurwitz zu den Mahler-Aufnahmen von Michael Gielen und Riccardo Chailly sagt
.
Er sollte auch mal bei Hurwitz unter Barbirolli, Sinopoli und Horenstein nachschauen. Dann wird er feststellen, dass diese in dessen Augen nix Besonderes abgeliefert haben. Schlimmer noch, Barbirolli und Horenstein werden geradezu zerissen; in Deutschland hat übrigens die Kritik der Hi-Fi Stereophonie an Tennstedt kein gutes Haar gelassen und Sinopoli ist ja nun wirklich was für Hardcore Fans.

Was ist denn nun von davon zu halten?
Ein früheres Mitglied dieses Forums und ausgewiesener Sinopoli Fan hat den einfachen Weg gewählt: Für ihn war Hurwitz ein arroganter Dummkopf.
So geht es auch. Und ich fürchte, die tiefe Ablehnung, die aus manchen Beiträgen über Solti stammt, ist eher angelesen denn angehört.
So mal als Idee.
Gruß S.
Werdan
Ist häufiger hier
#204 erstellt: 15. Okt 2006, 07:35
Unglaublich, welchen totalen Unsinn gewisse Leute in diesem Forum von sich geben.
Wer Solti je live in einem Konzert Mahler dirigieren gehört hat, kann aber solchen kleingeistigen Statements nur den Kopf schütteln.
Mahler und Solti sind ein fester Wert - und dies seit vielen Jahrzehnten.
Gruss W.
Live-musikhörer
Inventar
#205 erstellt: 15. Okt 2006, 08:49

Werdan schrieb:
Wer Solti je live in einem Konzert Mahler dirigieren gehört hat, kann aber solchen kleingeistigen Statements nur den Kopf schütteln.

Leider so sind die meisten möchte_gern_Kritiker. Sie beurteilen (positiv oder negativ) nur auf Basis von ihren Konserven und Mül, die sie zu Hause haben. Da spielt der Name des Interpreters keine Rolle.
Wichtig ist, dass diese möchte_gern_Kritiker durch ihren Aussagen ein starkes Gefühl haben.
In diesem Fall geht es sehr wahrscheinlich in Richtung Streit auslösen.
Miles
Inventar
#206 erstellt: 15. Okt 2006, 10:45
Es geht aber in dieser Diskussion hier nicht darum ob Solti ein guter Mahler-Interpret ist, sondern ob seine Mahler-Gesamteinspielung "das Mass aller Dinge" ist. Das ist nicht dasselbe.
Agon
Hat sich gelöscht
#207 erstellt: 15. Okt 2006, 11:31

Leider so sind die meisten möchte_gern_Kritiker.


Falls ich damit gemeint sein sollte: mag schon sein, daß ich ein "möchte_gern_Kritiker" bin, das ändert aber nichts daran, daß die Solti-Aufnahmen künstlerisch wertlos sind.


Sie beurteilen (positiv oder negativ) nur auf Basis von ihren Konserven und Mül, die sie zu Hause haben. Da spielt der Name des Interpreters keine Rolle.


Wenn Du meine Postings richtig gelesen hättest, wäre Dir sicherlich aufgefallen, daß der "Name des Interpreters" sehr wohl eine "Rolle" für mich spielt. Und gerade weil er für mich eine große Rolle spielt, komme ich auch zu solch durchaus vernichtenden Urteilen wie "künstlerisch wertlos". Solti praktiziert schlichtweg einen kalten Perfektionismus, der allein die technische Seite an Mahlers Musik in den Vordergrund stellt, also auf rein orchestrale Perfektion setzt. Dies bietet das Chicago Symphony Orchestra natürlich, Solti hat es schließlich darauf gedrillt. Aber von einer geistigen und emotionalen Durchdringung des Notentextes kann überhaupt keine Rede sein. Sicher, wenn man nur von der vermeintlichen "Größe" der Mahlerschen Musik erschlagen werden möchte und sich an instrumentaler Präzision erfreuen will, sollte man zu Solti greifen (wegen Letzterem von mir aus auch zu Boulez). Mir reicht dies nicht. Wenn ich z.B. die Vierte Sinfonie in der 1958er Einspielung mit dem CSO unter Fritz Reiner und mit Soltis 80er-Jahre-Aufnahme vergleiche, dann fällt zwar bei Reiner ein gewisser Hang zum "Polierten" auf, dies führt aber nicht zu Glätte und Sterilität, und das ist das Entscheidende. Solti verharrt einfach zu oft darin und passt sich lediglich der sicherlich guten Decca-Klangtechnik an. Solti erzeugt irgendwie eine zwanghafte Dauerhochspannung, die einfach nur entnervend wirkt. Hier fehlt jedes Gefühl für Timing, Ruhepausen und Spannungsbögen. Auf mich wirkt es so, daß Solti im Grunde genommen mit Mahlers Musik nicht viel anfangen kann bzw. keinen Zugang findet. Warum sollte ich mir das dann anhören?


Wichtig ist, dass diese möchte_gern_Kritiker durch ihren Aussagen ein starkes Gefühl haben.


Ich möchte nur das Gefühl haben, daß ich die durch meine intensiven Hörerfahrungen gewonnenen Eindrücke genau darstelle. Dies mag mitunter provokant oder anmaßend wirken, es hat aber nichts mit Rechthaberei zu tun.


In diesem Fall geht es sehr wahrscheinlich in Richtung Streit auslösen.


Diskussion, nicht Streit. Bislang habe ich hier aber noch keine einleuchtenden Argumente für Soltis Mahler gelesen. Was ist denn bitte so "legendär" an diesen Aufnahmen, daß ihnen ein Platz unter den Klassikern eingeräumt wird? Das muß mir doch mal jemand erklären!

Im Übrigen wirkt diese Diskussion auf mich nicht seriös. Einige Solti-Verehrer scheinen sich hier auf die Füsse getreten zu fühlen und schreien jetzt ganz laut "Unverschämtheit" und "Was erlaubt der sich eigentlich".
In diesem Fall bin ich jedenfalls gerne ein Tabubrecher!

Gruß,
Philipp
SirVival
Hat sich gelöscht
#208 erstellt: 15. Okt 2006, 18:27
Hi,

in der Tat darf man Interpret und Komponist nicht verwechseln. Der nun so viel geschmähte Solti hat erkannt, wo die Stärke dieser Kapellmeistermusik herausgearbeitet gehört, nämlich bei der brillianten Instrumentationskunst das Komponisten. Und die Inhaltsleere dieser Musik, die Solti im übrigen geradezu luzide erkannt zu haben scheint, hat er dadurch zu überwinden getrachtet, indem er dem Orchester tüchtig die Sporen gegeben hat.

Nicht Solti kann mit Mahler nichts anfangen, sondern die anderen Dirigenten, einschränkenderweise, die, deren Aufnahmen ich kenne. Tennstedt: Ein lamoryanter Langeweiler. Maazel: Versucht der Musik Bedeutung zu geben und scheitert kläglich. Sinopoli: Krampfartiger Murks. Kubelik sollte besser bei Smetana und Dvorak geblieben sein. Und auch die anderen, oben genannten kriegen Mahler leider nicht hin.
Am ehesten bestehen noch Bruno Walter und Haitink die Herausforderung.

Nun zur Kritk an der Musik: Die 1. ist die erste Mahler-Sinfonie, die ich in der Aufnahme mit Bruno Walter kennenlernte und die mir immer noch gut gefällt, also Aufnahme und Sinfonie.

Die 2. lernte ich im Konzertsaal kennen. Ich habe mich fast schlappgelacht über das Fernorchester im letzten Satz, der im übrigen ein geschwätziges Ungetüm ist. Erst wird die Thematik im Orchester vorgestellt, dann kommen Solisten und Chor nochmal mit demselben Quark. Einzig der Satz Urlicht mochte mich in seiner Schlichtheit zu überzeugen. Allerdings mag ich auch hier eine Neigung zu gewollter Naivität und einen Hang zum Kitsch nicht übersehen.

Die 3.: Beim Einleitungssatz läßt Brahms herzlich grüßen (1. Sinfonie, Hauptthema letzter Satz). Das Ganze könnte vielleicht auch eine Brahmsparodie sein, wer weiß. Der letzte Satz allerdings ist sehr schön, ich gebe es zu, aber die Pauken zum Schluß hauen mir doch etwas zu arg in die Idylle.

Die 4. Sinfonie gefällt mir ebenfalls, wenngleich hier Mahler tüchtig Anleihen bei Haydn und Schubert macht. Der letzte Satz gleitet wieder in das kindlich Naive ab und streift bedenklich kunsthandwerklichen Kitsch. Bemerkenswert an dieser Sinfonie ist die Antizipation der Fanfare des Trauermarsches der 5. im langsamen Satz.

Die 5. habe ich immer als Mahlers Abschied vom Traum der Kindheit und der Jugend empfunden. Aber, hier feiert Wagners Ring fröhliche Urständ. Insgesamt ist die Sinfonie ein grandioser Blödsinn. Zum Adagietto hat sich Adorno schon vielsagend geäußert.

Über die 6. habe ich oben schon gesprochen. Inhalt und Aufwand sind bei dieser Sinfonie leider nicht kongruent.

Die 7. kann man als fröhliches Gegenstück zur 6. auffassen. In dieser Sinfonie bedient sich Mahler instrumentationsmäßig bei Richard Strauß und die aufgesetzte und leere Meistersinger-Festwiesenstimmung des letzten Satzes wirkt einfach nur peinlich.

Der Sinngehalt der 8. bleibt für mich im Dunkeln, daran ändert auch Goethes Faust 2 nichts. Zu dem Veni creator spiritus des Eingangssatzes soll Hans Pfitzner gefragt haben: Und was, wenn er nu nich kommt? Also, insgesamt eine fürchterliche Gemengelage von Hrabanus Maurus bis Goethe.

Die 9. und die 10. (1. Satz) sehe ich positiver (s.o)

Summa summarum stimme ich dem Urteil von Aaron Copland zu. Er sagte: Wenn man Beethoven und Mahler vergleicht, so ist der erstere ein großer Mann. Mahler hingegen gleicht einem Schauspieler, der einen großen Mann spielt.

Ich glaube, mit diesem Urteil ist eigentlich alles zu Mahler gesagt. Und Solti ist und bleibt zusammen mit dem CSO sein bisher unerreichter Interpret. Haitink setzte ich mal an die 2. Stelle als ebenfalls herausragender Mahlerinterpret.

Gruß an alle Diskutanten!
Live-musikhörer
Inventar
#209 erstellt: 15. Okt 2006, 19:24

Agon schrieb:

Wenn Du meine Postings richtig gelesen hättest, wäre Dir sicherlich aufgefallen, daß der "Name des Interpreters" sehr wohl eine "Rolle" für mich spielt. Und gerade weil er für mich eine große Rolle spielt, komme ich auch zu solch durchaus vernichtenden Urteilen wie "künstlerisch wertlos".
Solti praktiziert schlichtweg einen kalten Perfektionismus, der allein die technische Seite an Mahlers Musik in den Vordergrund stellt, also auf rein orchestrale Perfektion setzt. Dies bietet das Chicago Symphony Orchestra natürlich, Solti hat es schließlich darauf gedrillt. Aber von einer geistigen und emotionalen Durchdringung des Notentextes kann überhaupt keine Rede sein. Sicher, wenn man nur von der vermeintlichen "Größe" der Mahlerschen Musik erschlagen werden möchte und sich an instrumentaler Präzision erfreuen will, sollte man zu Solti greifen (wegen Letzterem von mir aus auch zu Boulez). Mir reicht dies nicht. Wenn ich z.B. die Vierte Sinfonie in der 1958er Einspielung mit dem CSO unter Fritz Reiner und mit Soltis 80er-Jahre-Aufnahme vergleiche, dann fällt zwar bei Reiner ein gewisser Hang zum "Polierten" auf, dies führt aber nicht zu Glätte und Sterilität, und das ist das Entscheidende. Solti verharrt einfach zu oft darin und passt sich lediglich der sicherlich guten Decca-Klangtechnik an. Solti erzeugt irgendwie eine zwanghafte Dauerhochspannung, die einfach nur entnervend wirkt. Hier fehlt jedes Gefühl für Timing, Ruhepausen und Spannungsbögen. Auf mich wirkt es so, daß Solti im Grunde genommen mit Mahlers Musik nicht viel anfangen kann bzw. keinen Zugang findet. Warum sollte ich mir das dann anhören?

Das was du beschreibst sind abosute persönliche Empfindungen auf Basis von den Aufnahmen, die du in deiner Stube mit der Einschränkunken von deiner Anlage empfindest. Ein anderer Hörer wird genau, was du für Solti empfindest, für Boulez (= perfekte herzlose "Metronome") oder für Reiner (emotional korrekt) gelten lassen.
Deshalb solche Interpretationen als "künstlerisch wertlos" zu bewerten, zeigt nur wieviel wichtig du deine Empfindungen über alles stellst. Du gibst dich gar nicht die Muhe, solche Interpretationen zu verstehen sonst würdest nicht schreiben "Warum sollte ich mir das dann anhören". Einfach eine absolute arrogante Haltung, die nicht selten bei den Hörer zu finden ist. Ich finde mit der Zeit dass genau das Verstehen von Interpretationen, die mir im ersten Moment nicht gefallen, sehr interessant ist und öffnet viele Türen. Es ist aber anstrengend und fordert viel Zeit. Natürlich es ist viel einfacher Dinge, die man nicht in der Lage ist zu verstehen, einfach als wertlos zu betrachten.
Weiter musste man sich sicher die Frage stellen, ob man überhaupt eine Interpretation aus eine Konserve als Grundlage für eine vernünftige Kritik an den Interpretern benützen sollte. Wer die geliche Interpretation Live und aus der Konserve gehört (angenommen er sass in den besten Plätze) hat, kann oft von "Überraschungen" / "Entdeckungen" sprechen. Dann musste man auch die eigene psychologische mentale und körperliche Verfassung betrachten.
Weiter wäre es empfehlenswert, mehrmals dem gleichen Konzert zu besuchen. Wenn man nicht taub ist, wird man jedesmal andere Details und Leistungsänderungen merken. Genau bei den ersten Sinfonien von Mahler hatte ich die Möglichkeit die Proben, die Hauptprobe und die drei Ausführungen zu hören. Nacher man bekommt ein völlig anderes Bild von den Interpretern und Interpretation.
Wer dann auch mit den Interpretern nach dem Konzert kurz unterhalten kann / will, kann sich damit auch ein Schritt in Richtung "Interpretation verstehen" machen. Für das braucht man Wille und Interesse das zu verstehen. Natürlich ist es deutlich schöner im Sessel von der Anlage oder vor dem Komputer eine Interpretation zu kritisieren und zwischen durch etwas rauchen oder essen und mit jemandem plaudern.
Ich bim kein Solti-Fan aber ich muss auch sagen, dass ich mich bis jetzt nie viel Zeit für das Verstehen seiner Interpretationen aus den Konserven gegeben habe.
Ich habe vor in den nächsten Monaten das zu ändern: Material habe ich genügend (150-200 LPs). Sicher seine Live-Konzerte, die ich besucht habe, haben mir eine sehr sehr gute Eindruck hinterlassen (mild ausgedruckt).


[Beitrag von Live-musikhörer am 15. Okt 2006, 19:31 bearbeitet]
Werdan
Ist häufiger hier
#210 erstellt: 15. Okt 2006, 19:58
Viele Dirigenten der Vergangenheit und auch aus heutiger Zeit waren und sind mit Mahler überfordert.
Solti ist und bleibt einer der besten Anwälte Mahlers.
Selbst der vielgerühmte Karajan hat (ausser bei der 9.) nur Murks hingekriegt.

Gruss W.
Live-musikhörer
Inventar
#211 erstellt: 16. Okt 2006, 08:39

Werdan schrieb:
Viele Dirigenten der Vergangenheit und auch aus heutiger Zeit waren und sind mit Mahler überfordert.

Naja, die Frage ist, ob das Problem bei dem Sender oder Empfänger ist.
Wenn ich mich nur überlege, wer eine bessere musikalische Ausbildung hat, um kompliziertere Musik zu verstehen, dann sehe die Hörer deutlich an der schwächeren Seite.
Der Hörer bei einer Beurteilung bezieht sich meistens auf seine Gefühle, Gewohnheiten und das wenig, das er selektiv liest.
Laubandel
Ist häufiger hier
#212 erstellt: 16. Okt 2006, 13:16

SirVival schrieb:


Nun zur Kritk an der Musik: Die 1. ist die erste Mahler-Sinfonie, die ich in der Aufnahme mit Bruno Walter kennenlernte und die mir immer noch gut gefällt, also Aufnahme und Sinfonie.

Die 2. lernte ich im Konzertsaal kennen. Ich habe mich fast schlappgelacht über das Fernorchester im letzten Satz, der im übrigen ein geschwätziges Ungetüm ist. Erst wird die Thematik im Orchester vorgestellt, dann kommen Solisten und Chor nochmal mit demselben Quark. Einzig der Satz Urlicht mochte mich in seiner Schlichtheit zu überzeugen. Allerdings mag ich auch hier eine Neigung zu gewollter Naivität und einen Hang zum Kitsch nicht übersehen.

etc.pp.


Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist es allemal das Buch? (Lichtenberg?)

Tja, gilt auch für Partituren.
SirVival
Hat sich gelöscht
#213 erstellt: 16. Okt 2006, 15:45
Hi Laubandel,

ich gehe mal davon aus, dass das Lichtenbergzitat in Bezug auf meine Äusserungen abfällig gemeint war. Nun denn, damit kann ich leben. Das ändert dennoch nichts daran, dass Mahlers Musik über weite Strecken nichts anderes als ein aufgedonnerter Quark aus zweiter Hand ist. Handwerklich gut gemacht, zugegeben, aber das war's auch schon.

Aber sie passt in die heutige Zeit, wo der hohlen, auftrumpfenden und oberflächlichen Geste und dem schlechten Geschmack mehr Respekt entgegengebracht wird als dem tiefgründigem Kunstwerk.

Beispiel: Ein von mir besuchtes Konzert, Alban Bergs Violinkonzert und die 1. von Mahler auf dem Programm. Rate mal, nach welchem Stück das Auditorium gebrüllt und gerast hat vor Begeisterung, und nach welchem der Beifall mehr als verhalten ausfiel. Der Solist (ein international gefeierter Geiger) tat mir wirklich leid.

Oder ein anderes Konzert; 7. von Sibelius und 1. von Mahler auf dem Programm. Zum Schluß der 7., ein einsätziges Werk, kein Applaus, ich war der einzige, der klatschte, man drehte sich zu mir hin, oh heilige Einfalt, denn bei einer Sinfonie erwartet man ja 4 Sätze. So ist es halt, unvorbereitet geht der Durchschnittsbanause ins Konzert. Dann drehte sich der Dirigent um, ah, jetzt wußte es jeder, Beifall, aber nicht mehr als die Höflichkeit gebat.

Aber, Bravo-Gebrüll und Getrampel nach der Mahler-Sinfonie. Man möchte echt speien. Hauptsache Krach und Getöse, das gefällt dem auf schrille Reize geilen Konzertbesucher, und wahrscheinlich gilt das auch für den HiFi-Enthusiasten zu Hause.

In meinen Semesterferien hatte ich des öfteren bei einem HiFi-Händler ausgeholfen, der legte zur Vorführung seiner Anlagen nur den Beginn des letzten Satzes der 1. von Mahler auf. Das machte Eindruck und die Kunden kauften genau diesen Verstärker oder jene Box. Mahler half immer, so war er wenigstens zu etwas nutze.

Gruß
Miles
Inventar
#214 erstellt: 16. Okt 2006, 15:54
Dear Sir

Warum gönnst du Mahler diese späte Popularität nicht? Der Publikumserfolg ist doch gut für die ganze Klassikszene.

Ich kenne viele die über Mahler zu Klassikfans wurden, und danach erst die "tiefgründigen" Werke anderer Komponisten, die sie vorher kalt liessen, zu schätzen gelernt haben.


[Beitrag von Miles am 16. Okt 2006, 15:54 bearbeitet]
SirVival
Hat sich gelöscht
#215 erstellt: 16. Okt 2006, 17:26
Hi Miles,

na ja, sei's denn drum. Wat dem einen sien Uhl, is dem andern sien Nachtigall.

Gruß
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#216 erstellt: 16. Okt 2006, 18:19
Hallo allerseits,

SirVival schrieb:
Der nun so viel geschmähte Solti hat erkannt, wo die Stärke dieser Kapellmeistermusik herausgearbeitet gehört, nämlich bei der brillianten Instrumentationskunst das Komponisten. Und die Inhaltsleere dieser Musik, die Solti im übrigen geradezu luzide erkannt zu haben scheint, hat er dadurch zu überwinden getrachtet, indem er dem Orchester tüchtig die Sporen gegeben hat.

Dass es sich bei Mahlers Musik um "leere Kapellmeistermusik" handele, die halt mit Effekt auftrumpfen kann, ist wohl eine beliebte Kritik. Dagegen spricht doch schon mal zumindest, dass Mahler zu seinen Lebzeiten nicht viel Erfolg beschieden war.


Die 2. lernte ich im Konzertsaal kennen. Ich habe mich fast schlappgelacht über das Fernorchester im letzten Satz, der im übrigen ein geschwätziges Ungetüm ist. Erst wird die Thematik im Orchester vorgestellt, dann kommen Solisten und Chor nochmal mit demselben Quark. Einzig der Satz Urlicht mochte mich in seiner Schlichtheit zu überzeugen. Allerdings mag ich auch hier eine Neigung zu gewollter Naivität und einen Hang zum Kitsch nicht übersehen.

Beim letzten Satz gibt es schon das Problem einer gewissen Redundanz. Aber der Einsatz des Chors wirkt auf mich immer noch ergreifend.
Der erste Satz führt auf gelungene Weise die Tradition der c-moll-Kopfsätze weiter und war immerhin bereits so avangardistisch, dass zu Zeiten seiner Uraufführung Richard Strauss einer der wenigen war, die sich dafür begeistern konnten ("Es gibt keine Grenzen des musikalischen Ausdrucks.").

Mitunter gehen die Vorwürfe der Leere oder des Kitsches zwar nicht ganz an der Sache vorbei, aber ich glaube, dass Sie Mahlers Musik nicht richtig verstanden haben. Sie hat oft etwas Collagenhaftes, ja "Eklektisches", weil Sie aus verschiedenen, oft entgegengesetzten Bereichen zitiert. Deshalb muss man nicht alles, was darin vorkommt wörtlich nehmen. Es kann ja auch sein, und das ist eine erstaunliche Erweiterung der musikalischen Sprache, dass Leere und Kitsch zum Thema gemacht und reflektiert werden. Dagegen finde ich das ungebrochene Heldentum bei Wagner ziemlich lächerlich.

Der "Urlicht"-Satz hat es ja nun faustdick hinter den Ohren. Der ist weder naiv noch gewollt naiv, sondern stellt doch eher eine naive Frömmigkeit dar, die gleichzeitig mit ihrer "Bauernschläue" ausplaudert, dass sie von den Beschwerlichkeiten des irdschen Jammertales die Nase voll hat. So direkt darf diese Frömmigkeit das aber nicht sagen, weil es ja eine Kritik am lieben Herrgott wäre, der einen im Jammertal zu prüfen gedenkt. Deshalb ist diese Naivität z. T. nur gespielt.

Ich hoffe, dass meine Deutung des Urlichts etwas verständlich ist. Jedenfalls kommt mir die Musik Mahlers sehr reflektiert und ambivalent vor, was IMO nicht zuletzt ihre Größe ausmacht. Da greift der Vorwurf des Effekts einfach zu kurz.

Gruß Z.
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#217 erstellt: 16. Okt 2006, 18:46
Hallo nochmal,

SirVival schrieb:
Die 4. Sinfonie gefällt mir ebenfalls, wenngleich hier Mahler tüchtig Anleihen bei Haydn und Schubert macht. Der letzte Satz gleitet wieder in das kindlich Naive ab und streift bedenklich kunsthandwerklichen Kitsch.

Die Kritik mit den "Anleihen" verstehe ich nicht. Wenn man sich mal näher mit Werken klassischer Musik beschäftigt, stößt man immer wieder darauf (z. B. Revolutionsmärsche von Cherubini bei Beethoven). Das klingt ja gerade so, als ob Mahler halt nix eingefallen wäre und deshalb bei anderen Komponisten geklaut hätte. Bei dem musikhistorischen Abstand zwischen Mahler und der Wiener Klassik ist doch ganz offensichtlich, dass er nicht "fremde" Musik als seine eigene ausgeben will, sondern hier zitiert wird. Die spannende Frage ist doch nicht "Wer erkennt die Melodie", sondern welchen Sinn das Zitat haben soll.
Der letzte Satz der 4. ist ja wohl nicht einfach Kitsch, wo doch die Strophen durch diese flotte, ja wilde Musik von einander getrennt werden. Und wenn man sich den vertonten Text, die Musik und ihr Verhältnis genauer anguckt, stößt man vielleicht noch auf so manche Subtilität.

Gruß Z.
Laubandel
Ist häufiger hier
#219 erstellt: 16. Okt 2006, 20:29
Hi Sir,


SirVival schrieb:
Hi Laubandel,

ich gehe mal davon aus, dass das Lichtenbergzitat in Bezug auf meine Äusserungen abfällig gemeint war. Nun denn, damit kann ich leben. Das ändert dennoch nichts daran, dass Mahlers Musik über weite Strecken nichts anderes als ein aufgedonnerter Quark aus zweiter Hand ist. Handwerklich gut gemacht, zugegeben, aber das war's auch schon.


das habe ich mit Sicherheit etwas rempelig hingestellt, aber in Anbetracht der Tatsache, daß Sie in Bezug auf Mahler ziemlich apodiktisch Argumente aus der Mottenkiste der Vor-Sechzigerjahre als Wahrheiten hinstellen, ist das ja auch nicht eben abwegig. Es steht mir ferne, irgendjemanden bekehren zu wollen. Mahler ist halt einer meiner musikalischen Hausgötter,und immerhin bekennen Sie sich zumindest zu zwei Komponisten, die das in anderer Weise auch für mich sind, Berg und Sibelius. Nur: "Mahlers Musik ist Kapellmeistermusik" zu sagen, kann nur beantwortet werden mit "ist sie nicht". Punkt.
Der ästhetische Diskurs hat da ja manches an den Tag gebracht, von dem die Zeiten, da man das Verdikt Kapellmeistermusik im Munde führte noch keinen Schimmer hatte. Ich erinnere nur an die brillianten Monographien von Adorno oder Eggebrecht.
"Aufgedonnerter Quark", das ist so eine Haßphrase, die, je nachdem, aus welchem Mund sie kommt, gegen Tschaikowsky, Wagner, Bruckner, Richard Strauss, oder eben Mahler gerichtet erscheint. Also was liegt daran. Ich verstehe es nicht, wenn unter moderenen Kunstjüngern immer wieder und immer noch jeweils ein Meister niedergemacht wird, für den derjenige eben zufälligerweise kein Sensorium hat: wenn Bruckner von Mahleriten geringgeschätzt wird, oder umgekehrt, oder, mit besonderer Leidenschaft und hartnäckig, von einem Mahler-Liebhaber ohne Unterlaß wiederholt wird, wie langweilig doch Sibelius sei. All diese Meister habe für mich das gewisse Etwas, und wenn man etwa von Mahlers emotionalem Gehalt, seiner ins letzte entwickelten Struktur, seinem hohen Ethos nicht mitgerissen wird, weil man eben das Sensorium dafür nicht hat, dann muß man ihn eben in Ruhe lassen.

Im Übrigen ist die immer wieder angesprochene Naivität bedenkenswert, weil Mahler immer wieder das Paradoxon der konstruierten Naivität gelingt - was sie aber nicht unecht macht. Da berührt er sich mit einem ästhetischen Hauptpunkt des Jugendstils in den bildenden Künsten und in der Literatur.

Genug für heute - wenn ich noch ein Stück echte Kapellmeistermusik empfehlen darf, das mir diesen Sommer über viel Freude bereitet hat: Felix v. Weingartners Dritte Symphonie.

Beste Grüße

Laubandel

(großer Fan der Sechsten Symphonie!)


[Beitrag von Laubandel am 16. Okt 2006, 20:45 bearbeitet]
STR
Ist häufiger hier
#220 erstellt: 16. Okt 2006, 21:01
Hallo zusammen

In letzter Zeit wurden bei Relief einige Aufnahmen mit Wladimir Fedosejew und "seinem" Tschaikowski-Sinfonieorchester veröffentlicht. Mich interessiert vor allem die sechste Sinfonie. Hat zufälligerweise jemand diese CD und kann etwas zur Aufnahme sagen?

Vielen Dank und viele Grüsse

Marc

Edit: Link eingefügt


[Beitrag von STR am 16. Okt 2006, 21:04 bearbeitet]
SirVival
Hat sich gelöscht
#221 erstellt: 17. Okt 2006, 13:56
Hi Zerebraltebra,

ich würde doch gern wissen, wo und an welcher Stelle es ungebrochenes Heldentum bei Wagner gibt. Seine Helden sind durchweg gebrochene Gestalten, ob Holländer, ob Tannhäuser, ob Siegmund (der gebrochenste von allen) ja und sogar Siegfried, den Wagner keineswegs sympathisch zeichnet, sondern als ungehobelten Flegel, der erst, nachdem er Fafner tödlich verwundet hat, erfährt, welch weises Wesen er dort erledigt hat, ist kein Held, sondern nur Opfer seiner hinterwäldrerischen Naivität.

Wotan als Held? Der taugt höchstens als Pantoffelheld. Er scheitert jämmerlich an den Konventionen. (Mahler gleicht gewisermassen Wotan: Zuviel gewollt, nichts erreicht).

Auch Parsifal ist kein Held sui generis. Er gleicht zunächst Siegfried in seiner ungehobelten, mitleidlosen Art. Er schießt auf die heiligen Schwäne, so aus Jux und Dollerei und erst später durch Erfahrungen eigenen Leids kann er mit dem gequälten Amfortas Mitleid empfinden.

Auch Walther von Stolzing muß sich erst vom arroganten Intellektuellen zum echten Künstler entwickeln und Tristan ist nur Opfer.

Wagners Helden sind eigentlich immer die Frauen: Ortrud, (auch wenn böse), Senta, Elisabeth, Sieglinde, Fricka, Brünhilde, Isolde; man spürt immer an der Musik, daß der Komponist seine Frauengestalten geliebt hat.

Und seine Musik ist im Gegensatz zu der von Mahler immer durchströmt von Gefühl und kein bloßes Musikkonstrukt. "Wotans Abschied und Feuerzauber" ist beispielsweise für mich eine der ergreifendsten Szenen der Opernliteratur. Da kann Mahler mit seiner Musik echt einpacken.

Gruß


[Beitrag von SirVival am 17. Okt 2006, 14:13 bearbeitet]
Laubandel
Ist häufiger hier
#222 erstellt: 17. Okt 2006, 16:04
Cliché ick hör dir trappsen
op111
Moderator
#223 erstellt: 18. Okt 2006, 13:29
Hallo SirVival,


SirVival schrieb:
... Wagner ...
Und seine Musik ist im Gegensatz zu der von Mahler immer durchströmt von Gefühl und kein bloßes Musikkonstrukt. "Wotans Abschied und Feuerzauber" ist beispielsweise für mich eine der ergreifendsten Szenen der Opernliteratur.


vom (Nicht-)Gefühl der Komponisten und Musiker wird oft gesprochen.
Wie hast du festgestellt, daß z.B. Mahler ein gefühlloser Konstukteur ist, Wagner dagegen durchströmt von Gefühl?

Gruß
Franz
SirVival
Hat sich gelöscht
#224 erstellt: 18. Okt 2006, 14:12
Hi Franz-J.,

habe wirklich keine Lust mich über eigene noch andere Gefühle auszulassen. Der Satz von Copland zu Mahler, den ich weiter oben zitierte, muß genügen. Das drückt auf feinere Art aus, was ich unter musikalischer Dicketuerei verstehe. Weiter, das sinfonische Konzept und die Instrumentationsbesonderheiten sind von Hans Rott übernommen, die Sätze seiner Sinfonien sind inhaltlich nicht aufeinander bezogen, sondern selbständige Gebilde, die auch in anderem Zusammenhang nebeneiander stehen könnten, und, und, und. Der Kritikpunkte gäbe es viele. Wahrscheinlich liegt die Brüchigkeit der Mahlerschen Sinfonik einfach in der Tatsache begründet, dass er nur im Urlaub Zeit zum Komponieren hatte. Und dann noch eine Frau an seiner Seite, die die totale Nervtüte war. So klingt denn auch seine Musik. Leider.

Gruß
op111
Moderator
#225 erstellt: 18. Okt 2006, 15:04
Hallo SirVival,

SirVival schrieb:
habe wirklich keine Lust mich über eigene noch andere Gefühle auszulassen.

o.k. das akzeptiere ich.

Strawinsky äußerte, er könne sich selbst nicht mehr an die Gefühle bei der Komposition seines "Sacre" erinnern, seine Gefühle seien für das Verständnis seiner Werke, Interpreten und Hörer allerdings auch gänzlich unerheblich.

Mir ging es allgemein darum, daß einerseits vermutlich niemand die Gefühle eines Interpreten / Komponisten sicher bestimmen kann.

War Bernsteins wildes Gefuchtel Show oder Ausdruck von Emotionen (dachte er z.B. an Telefonrechnungen, Börsenkurse oder Musik)?

Kann man aus dem Fehlen dieser exzessiven Gestik schließen, daß z.B. Boulez ein seelenloser Taktschläger ist, Solti "kalten Perfektionismus" hervorbrachte?

Wohl kaum.

Gruß
Franz
sound67-again
Gesperrt
#226 erstellt: 18. Okt 2006, 15:23

SirVival schrieb:

Summa summarum stimme ich dem Urteil von Aaron Copland zu. Er sagte: Wenn man Beethoven und Mahler vergleicht, so ist der erstere ein großer Mann. Mahler hingegen gleicht einem Schauspieler, der einen großen Mann spielt.


Das deckt sich mit Vaughan Williams Urteil über Mahler: "A tolerable imitation of a composer".

Persönlich finde ich auch vieles von Mahler als Schrammelmusik für großes Orchester, oft im schlimmen Sinne sentimentalisch (anders als z.B. die "echte" Tiefe Bruckners, dessen Musik ich aus anderen Gründen nicht so gern höre). Effektvoll, aber auch effekthascherisch. Groß in der Architektur, klein im Einfall. Alles nach dem Motto: Viel hilft viel.

Mit Sicherheit überbewertet und im heutigen Konzertbetrieb geradezu grotesk überrepräsentiert.

Gruß, Thomas
SirVival
Hat sich gelöscht
#227 erstellt: 18. Okt 2006, 17:22
Hi,

Musik ist nun die Sprache des Gefühls. Ich höre Schuberts Unvollendete, ich höre Tschaikowskys 6., dann hab ich den berühmten Kloss im Hals. Ioh höre Beethovens 5. und lasse mich vom unbeirrbaren Vorwärtsdrang im 1. mitreissen, ich bin durchdrungen von der unbändigen Freude, die den letzten Satze durchströmt, "per aspera ad astra" in seinem schönsten kompositorischen Ausdruck, logisch und stringent.

Dann sitze ich in einem Konzert und die Musik lässt mich völlig kalt, ich frage mich, was soll das, und wünsche nichts sehnlicher als den Schlußakkord herbei. Der süße klebrige Seim eines langsamen Mittelsatzes verkleistert mir den Brägen: Ich spreche von Mahlers 5. Sinfonie.

Ein Trauermarsch zu Anfang, über wen oder was trauert er? Ist sein Dackel abgekratzt? Der 2. Satz ein unerträgliches Getöse, wer geglaubt hat, es sei keine weitere Steigerung mehr möglich, hat nicht mit dem Schlußchoral gerechnet, dessen Blechsatz irgendwie an den Ring des Nibelungen gemahnt, aber eigentlich lostrompetet wie eine Herde Elefanten, die vor einer Maus die Flucht ergreift. Elefanten können beim Anblick einer Maus sehr hysterisch und vor allem lautstark reagieren.

Das Scherzo eine Breughelsche Bauerhochzeit, ganz lustig eigentlich, aber zu roh und zu derb, um wirklich Freude zu bereiten.

Der letzte Satz mit seiner Festwiesenstimmung hat mir eigentlich immer am besten gefallen, weil er sehr kunstvoll und einfallsreich komponiert ist. Aber dann brechen plötzlich die Elefanten wieder aus und Schluß ist. Publikum rast vor Begeisterung, ich gehe nach Hause und denke, was für ein grandioses Nichts.

Gruß
op111
Moderator
#228 erstellt: 18. Okt 2006, 17:58
Hallo SirVival,

ob Mahler nun über Wagners Tod, seinen Dackel, oder weil er im Konsum 3 Schillige zuviel bezahlt hat trauert, weißt du genausowenig wie ich, geschweige denn welche Gefühle die Komposition begleiteten, noch welche sie in allen Hörern hervorrufen.
Tschaikowskys Musik kann auch ganz andere Gefühle evozieren.

Aber es ging ja um Mahlers Gefühle, die kennt niemand und ich behaupte, sie taugen weder zur Qualitätsbeurteilung noch zum Verständnis der Komposition.

Gruß
Franz


[Beitrag von op111 am 18. Okt 2006, 18:03 bearbeitet]
Agon
Hat sich gelöscht
#229 erstellt: 19. Okt 2006, 17:23
Vor allen Dingen findet die Musik doch immer im Kopf des Hörers statt.
Wenn nun "SirVival" die Fünfte Mahlers als "ein grandioses Nichts" empfindet, sollte er sich eventuell einmal fragen, ob dieses "grandiose Nichts" wirklich soviel mit Mahlers Fünfter zu tun hat, oder vielleicht doch eher mit dem "grandiosen Nichts" in seinem Kopf.
Was die Urteile der Herren Copland und Vaughan-Williams über Mahler anbelangt, so kann man nur sagen: wenn sie denn meinen.
Ob man aber für diese Beiden mildere Urteile finden wird, wage ich zu bezweifeln. Vaughan-Williams, der ja (Achtung: subjektiv-anmaßendes Urteil) mindestens 75% heiße Luft komponiert hat und Copland, dessen Bekanntheitsgrad ja höchstens auf "Rodeo" und "Appalachian Spring" beruht, sollten mal ein wenig in sich gehen, bevor sie über Kollegen herziehen.
Aber ich möchte es den Freunden von Copland und Vaughan-Williams lassen, diese höher als Mahler einzuschätzen.
Dies ist Ihr gutes, demokratisches Recht!

Gruß,
Philipp
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#230 erstellt: 19. Okt 2006, 18:47
Hallo SirVival,

SirVival schrieb:
das sinfonische Konzept und die Instrumentationsbesonderheiten sind von Hans Rott übernommen, die Sätze seiner Sinfonien sind inhaltlich nicht aufeinander bezogen, sondern selbständige Gebilde, die auch in anderem Zusammenhang nebeneiander stehen könnten, und, und, und.

Ach, so mahlerisch klingt die Rott-Symphonie nun auch wieder nicht. Und was das sinfonische Konzept angeht, machst du ja widersprüchliche Angaben: entweder Mahler hat es von Rott übernommen oder seine Symphonien sind bloß Ansammlungen willkürlich aufeinander folgender Stücke. Einstweilen lässt sich feststellen, dass Rott eine "klassisch"-viersätzige Symphonie geschrieben hat, während nicht alle Symphonien Mahlers diesem Konzept entsprechen (Nrr. 2, 3, 5, 7, 8).
Nun muss ich gestehen, mir gefallen seine Tendenzen zur Auflösung der klassischen Form (die man ja durchaus auch als Verfeinerungen der Form verstehen kann).
Wenn man sich die Entstehungsgeschichte seiner Symphonien anguckt, stößt man u. a. auch auf den Umstand, dass Mahler den letzten Satz seiner vierten ("Das himmlische Leben"), der ursprünglich als ein einzelnes Lied komponiert worden war, zunächst als letzten Satz seiner dritten vorgesehen hat.
Aber meinst du, diese Entscheidung hat nicht doch etwas mit einem Nachdenken über den Zusammenhang der dritten Symphonie zu tun? Meinst du, die Sätze der Vierten (die sich wieder deutlicher an klassischen Vorbildern orientiert) hätten keinen Zusammenhang? Mein Eindruck ist das gerade Gegenteil.
Autoritätsargumente sind ja immer so 'ne Sache - aber ich glaube, Mahler schließt mit seinen "überzähligen" Sätzen und anderen formalen Besonderheiten an Beethoven an, nicht zuletzt denjenigen der späten Streichquartette.

Gruß, Z.
Kreisler_jun.
Inventar
#231 erstellt: 19. Okt 2006, 19:44

Zerebralzebra schrieb:
Hallo SirVival,

SirVival schrieb:
das sinfonische Konzept und die Instrumentationsbesonderheiten sind von Hans Rott übernommen, die Sätze seiner Sinfonien sind inhaltlich nicht aufeinander bezogen, sondern selbständige Gebilde, die auch in anderem Zusammenhang nebeneiander stehen könnten, und, und, und.

Ach, so mahlerisch klingt die Rott-Symphonie nun auch wieder nicht.


Eben. Ich halte diesen angeblichen Einfluß für absurd überschätzt. Das Klagende Lied ist ein faszinierendes, eigenständiges Meisterwerk, das ganz und gar nichts mit Rott zu tun hat. Außerdem sind solche Einflüsse völlig normal: ist Bach weniger grandios und eigenständig, weil er von Buxtehude und Vivaldi beinflußt wurde?



Und was das sinfonische Konzept angeht, machst du ja widersprüchliche Angaben: entweder Mahler hat es von Rott übernommen oder seine Symphonien sind bloß Ansammlungen willkürlich aufeinander folgender Stücke. Einstweilen lässt sich feststellen, dass Rott eine "klassisch"-viersätzige Symphonie geschrieben hat, während nicht alle Symphonien Mahlers diesem Konzept entsprechen (Nrr. 2, 3, 5, 7,8).


Auch die 9. entspricht nicht wirklich dem klassischen Konzept, auch wenn ein vorbild hier Tschaikowskys 6. sein mag.
Vielfältige motivische Zusammenhönge ziehen sich durch die meisten Sinfonien; die einzige, die mir etwas lose vorkommt, ist die 3.



Aber meinst du, diese Entscheidung hat nicht doch etwas mit einem Nachdenken über den Zusammenhang der dritten Symphonie zu tun? Meinst du, die Sätze der Vierten (die sich wieder deutlicher an klassischen Vorbildern orientiert) hätten keinen Zusammenhang? Mein Eindruck ist das gerade Gegenteil.
Autoritätsargumente sind ja immer so 'ne Sache - aber ich glaube, Mahler schließt mit seinen "überzähligen" Sätzen und anderen formalen Besonderheiten an Beethoven an, nicht zuletzt denjenigen der späten Streichquartette.


Zudem sollte man niemals Aussagen von Künstlern über Kollegen trauen (vgl. zB was Nabokov über Dostojewskij abgelassen hat), besonders wenn wie bei RWV und Copland vermuten könnte, sie seien schlicht neidisch auf Mahlers Fähigkeiten gewesen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die britisch-viktorianische Ästhetik mit der gewissen Exaltiertheit Mahlers nicht recht zurechtkommt, no emotions, please, we're British. Ein ehrlicher Kommentator wie Tovey hat aber Mahlers Rang anerkannt. Allein technisch (und nicht nur was Instrumentation betrifft, es ist ja nicht Strauss) ist Mahler (im Ggs etwa zu Sibelius) über jeden Zweifel erhaben.
Der Vorwurf, es handele sich hier um instrumental-bombastische aufgeblasene heiße Luft wird u.a. durch die Vielzahl der Lieder Mahlers entkräftet, auf die das wohl kaum zutrifft. Und die Sinfonien sind oft nicht weniger dicht, konzentriert und ausdrucksvoll als diese kurzen Stücke.

viele Grüße

JK jr.
Live-musikhörer
Inventar
#232 erstellt: 19. Okt 2006, 20:22

Agon schrieb:
Vor allen Dingen findet die Musik doch immer im Kopf des Hörers statt.
Wenn nun "SirVival" die Fünfte Mahlers als "ein grandioses Nichts" empfindet, sollte er sich eventuell einmal fragen, ob dieses "grandiose Nichts" wirklich soviel mit Mahlers Fünfter zu tun hat, oder vielleicht doch eher mit dem "grandiosen Nichts" in seinem Kopf.

Da gebe ich dir sehr wohl recht. Als Bemerkung: das hätte man auch schreiben sollen, als du deine Aussagen über Solti vorher in diesem Thread geschrieben hast.

Gruss
Laubandel
Ist häufiger hier
#233 erstellt: 19. Okt 2006, 21:16
Ja der Copland. Das stand natürlich lange Zeit in Reclams Konzertführer, der in puncto Mahler gar nicht hilfreich war. Ich habe nachgeguckt, die aktuelle Auflage sieht da schon besser aus. Aber ich muß sagen, als bei mir die Mahlerrezeption anfing, da war ich (1980) ein 16-jähriger Schüler in der bayerischen Provinz und die Quellenlage zur heißgeliebten Musik, die da unverhofft durchs Radio ihren Weg zu mir gefunden hatte, war prekär. Der Konzertführer war bis dahin ein getreuer und zumeist zuverlässiger Begleiter durchs sich nach und nach erschließende klassische und romantische Repertoire gewesen, aber was ich zu Mahler fand, war doch unterm Strich eine krasse Fehlleistung. Da muß der Herr Renner ziemlich lang gesucht haben, ein seinem Unverständnis entsprechendes Zitat zu finden.
Mein Gott, Copland. Nichts gegen seine Kompositionen, aber die Statur, einen Mahler zu deuten, hat er offensichtlich nicht gehabt. Und die Äußerung, Mahler habe großes gewollt, aber nicht erreicht war mir sogleich verdächtig. Diese Musik sprach unmittelbar zu mir und verriet in ihrem ganzen - oft exzentrischen - Wesen, daß sie genau so war, wie sie ihr Schöpfer sich vorgestellt hat.
Eine solche Äüßerung sagt vor allem etwas über den Interpreten aus und sein Verfahren: er macht sich eine Vorstellung darüber, was das besagte Werk sein soll, stellt nachher fest, daß es das nicht ist und schließt daraus messerscharf, daß der Autor versagt hat.
Das hat man hunderte Male im Bereich der modernen Kunst und Musik erlebt, und bei Mahler ist es offensichtlich nicht anders. Man reiche mir den Hammer
Ganz allgemein scheinen mir auch die aussagen von Komponisten zu Kollegen meistens wenig erleuchtend, man denke nur an die wechselseitigen Schmähungen zwischen Brahms und Bruckner oder an das vernichtende Urteil Mahlers über Sibelius (Stimmungsmusik ... nationale Sauce etc.).
Und bitte, den Wagner in einem Wagner-Thread behandeln, er hat doch mit Mahler nicht allzu viel zu tun, und mit den Vergleichen ist es wie mit den berühmten Kernobstsorten

Jetzt aber zu Mahler selbst, bzw. zur Fünften Sinfonie und dem Phänomen der Trauer in den ersten beiden Sätzen. Daß es eine marcia funebre ist, hat man als Hörer ja ziemlich bald begriffen, aber die Frage nach dem traurigen Anlass führt wirklich ins interpretatorische Nichts. Die Fragen, die sich da stellen (sollten), sind geeignet, das (stets indiskrete)Nachbohren nach Autobiographischem ad absurdum zu führen. Ist es nicht merkwürdig, wie militärisch, und zwar ästhetisch nackt und kaputt diese Musik daher kommt? Soweit man zurückdenken kann, sind Trauermärsche in der Sinfonik noch stets "ohne Uniform" aufgetreten. Warum also hier? Wenn man sich ein bißchen im Liedschaffen Mahlers umsieht, stößt man auf Lieder wie Revelge, den Tamboursgsell, andere Soldatenlieder zwischen Tragik und Groteske. Da spielt das militärische Trauermarschidiom (mit - oft gedämpfter - kleiner Trommel) zu Szenen vor der Hinrichtung auf. Es geht nicht nur einmal uim einen Deserteur, der seiner Sehnsucht gefolgt ist und nun vor der Konsequenz der Gewalt steht. Was hat so etwas mit den Gefühlen des Komponisten zu tun? Nichts. Es zeigt, daß das "sinfonische Ich" (analog zum lyrischen Ich in der Dichtkunst) allenfalls Sprachrohr einer viel allgemeineren, umfassenderen Trauer ist, der der Menschheit ob der Gewalt und Ungerechtigkeit. Und im zweiten Satz herrscht dann stellenweise wirklich das Kriegsrecht.
Man darf natürlich jetzt nicht hergehen und eine programmatische Geschichte im kleinsten Detail daraus konstruieren, es ist und bleibt eine Symphonie, mit iheren Spannungen und einzigartigen Lösungen des Taditionsproblems - allein die tonale Konstellation ist preisverdächtig.
Doch bei aller Kunst - es ist, nicht anders als in dem Lied vom "irdischen Leben", eine existentielle Musik, und sie geht dabei mit der hergebrachten Ästhetik manchmal nicht schonend um.
Soweit nur von der "ersten Abtheilung". Gerade hier geht es mir heute noch so, daß ich die Musik als ungeheuer aufwühlend erlebe - in ihren Brüchen und Zusammenbrüchen, in ihrem Schluchzen und ihrer Wut. Dabei ist eigentlich die Fünfte diejenige von Mahlers Symphonien, die mir inzwischen am fernsten steht - zuhause wird sie eher selten aufgelegt. Der Kontext hilft mir allerhand zu erklären, aber die Emotionalität der Musik ist direkt und authentisch.

laubandel
SirVival
Hat sich gelöscht
#234 erstellt: 19. Okt 2006, 22:40
Hi Agon,

persönliche Beleidigungen haben in so einer Diskussion nichts zu suchen. Man sollte sich gewärtigen, dass Beleidigungen immerhin strafbewehrte Delikte sind. Und sie stehen hier "schwarz auf weiss", so dass ich auch den Beweis nicht schuldig bleiben muss. Also reiss dich mal zusammen und mässige deine Ausdrucksweise.

Gut gemeinter Rat und Gruß
Hüb'
Moderator
#235 erstellt: 20. Okt 2006, 06:38
@Agon:
Als Moderator schließe ich mich SirVivals Forderung an.
Hätte ich das eher gesehen, würde ich den Beitrag - eben wg. der bemängelten Formulierung - abgelehnt haben.

Streiten: gerne! - aber ohne Beleidigend zu werden!

Grüße

Frank
sound67-again
Gesperrt
#236 erstellt: 20. Okt 2006, 09:00

Agon schrieb:

Ob man aber für diese Beiden mildere Urteile finden wird, wage ich zu bezweifeln. Vaughan-Williams, der ja (Achtung: subjektiv-anmaßendes Urteil) mindestens 75% heiße Luft komponiert hat und Copland, dessen Bekanntheitsgrad ja höchstens auf "Rodeo" und "Appalachian Spring" beruht


@Philipp,

Aha: 75% heisse Luft da, "höchstens" in Bezug auf Bekanntheitsgrad (wen interessiert der eigentlich? Mahler sicher nicht) dort.

Ich weiss ja, dass es in vielen Lebenssituationen gut sein kann, von Wissen und Erfahrung unbeleckt zu sein: Wenn man die Musik dieser Herrschaften einfach nicht kennt, man sollte diesen Mangel an wissen nicht noch öffentlich demonstrieren.

Gruß, Thomas


[Beitrag von sound67-again am 20. Okt 2006, 09:17 bearbeitet]
sound67-again
Gesperrt
#237 erstellt: 20. Okt 2006, 09:03

Laubandel schrieb:

Mein Gott, Copland. Nichts gegen seine Kompositionen, aber die Statur, einen Mahler zu deuten, hat er offensichtlich nicht gehabt. Und die Äußerung, Mahler habe großes gewollt, aber nicht erreicht war mir sogleich verdächtig.


Copland hasste exzessive Sentimentaltät und Gefühlskitsch, auch Selbstmitleid in der Musik - von allen diesen Eigenschaften bietet Mahler wahrlich genug (zu viel), so dass Coplands Urteil mehr als verständlich ist. Copland und Mahler sind musikalisch wie Öl und Wasser, sie mischen sich nicht: ein objektiviertes Musikverständnis auf der einen, ein zutiefst subjektives (z.B. in der Verarbeitung triefenden Selbstmitleids) auf der anderen Seite; die soziale Funktion vor Augen vs. der rein persönlichen.

Also sollte man Coplands Äußerung im Kontext verstehen. Aber das kann natürlich der nicht, der den Kontext nicht kennt ...

Aber solche Sätze:


Aber ich muß sagen, als bei mir die Mahlerrezeption anfing, da war ich (1980) ein 16-jähriger Schüler in der bayerischen Provinz und die Quellenlage zur heißgeliebten Musik, die da unverhofft durchs Radio ihren Weg zu mir gefunden hatte, war prekär.


lassen schon erkennen, welcher "Seite" Du hier zuneigst - und warum.

Gruß, Thomas


[Beitrag von sound67-again am 20. Okt 2006, 09:19 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#238 erstellt: 20. Okt 2006, 10:32

sound67-again schrieb:

Laubandel schrieb:

Mein Gott, Copland. Nichts gegen seine Kompositionen, aber die Statur, einen Mahler zu deuten, hat er offensichtlich nicht gehabt. Und die Äußerung, Mahler habe großes gewollt, aber nicht erreicht war mir sogleich verdächtig.


Copland hasste exzessive Sentimentaltät und Gefühlskitsch, auch Selbstmitleid in der Musik - von allen diesen Eigenschaften bietet Mahler wahrlich genug (zu viel), so dass


Wenn irgendwas sentimentaler Kitsch ist, dann die Pseudo-Volksmusik von Appalachian Spring u.ä., sie ist obendrein auch noch flach und langweilig. Es stimmt, allerdings, dass Copland klugerweise gar nicht versucht, "einen großen Mann darzustellen". Dass Mahler das tut, ist aber auch nur eine ziemlich dumme Unterstellung.
Ich verstehe auch nicht, warum es Leuten bei Mahler nicht gelingt, die musikalische Darstellung emotionaler Extreme (teils durch gewisse Interpreten ungebührlich übertrieben) nur als "Selbstmitleid", "Ichbezogenheit" was weiß ich auszulegen, während das bei Schubert oder Schumann, wo man ganz analog argumentieren könnte oder wo es sogar besser paßt, kaum jemand macht. Selbst Wagner und Tschaikowsky scheinen hier nicht dem Ressentiment ausgeliefert zu sein wie das bei Mahler der Fall ist. Den viktorianisch-edwardianischen Pastoral- und Nostalgie-Kitsch von Elgar und dem frühen RWV lassen wir mal ganz beiseite. Der Verdacht liegt nahe, dass man einfach nicht willens ist, sich mit der Musik als Musik auseinanderzusetzen, sondern einfach ein billiges Schema sucht, in dem man seine subjektive Abneigung ausdrücken kann.

viele Grüße

JK jr.
sound67-again
Gesperrt
#239 erstellt: 20. Okt 2006, 10:37
Ganz anders natürlich als die differenzierte Ansicht oben,l RVW komponiere zu "75% heisse Luft".

Der übrigens mit der edwardianischen Musik überhauptnichts mehr zu tun hatte, sondern vielmehr mit dem Ende davon nach dem 1. Weltkrieg und der anschließenden Unsicherheit zwischen den Kriegen - und das ist auch deutlich zu hören. Deshalb sind ja auch alle wichtigen Werke - außer der Tallis-Fantasie, die nebenei auch kein bischen pastoral und/oder "kitschig" ist - nach 1914 entstanden - aus der Reflektion dieser Unsicherheit und Anspannung. Wohl zu subtil für Mahler-Anhänger.

Und was den "frühen" Vaughan Williams angeht, so gibt es hier überhaupt nur ein paar Werke, die erhalten sind. Und die (z.B. die frühe Kammermusik) haben auch keinen "pastoralen" Bezug.

Und wer z.B. die "Pastoral Symphony", wie Du ja augenscheinlich, als friedliche Landschaftsbeschreibung versteht, der hat rein gar nichts kapiert.

Gruß, Thomas


[Beitrag von sound67-again am 20. Okt 2006, 11:23 bearbeitet]
sound67-again
Gesperrt
#240 erstellt: 20. Okt 2006, 10:45

Kreisler_jun. schrieb:
Wenn irgendwas sentimentaler Kitsch ist, dann die Pseudo-Volksmusik von Appalachian Spring u.ä., sie ist obendrein auch noch flach und langweilig.


Au weia.
Laubandel
Ist häufiger hier
#241 erstellt: 20. Okt 2006, 10:48
Hallo sound


sound67-again schrieb:

Copland hasste exzessive Sentimentaltät und Gefühlskitsch, auch Selbstmitleid in der Musik - von allen diesen Eigenschaften bietet Mahler wahrlich genug (zu viel)


ein verbreitetes Vorurteil. Selbstmitleid ist das nicht. man muß schon unterscheiden zwischen der subjektivistischen Darstellung einersits, im Sinne von Zuspitzung des Ausdrucks, die fraglos ein Stilmerkmal der Zeit war und dem Aufbauschen von Privatsachen (das mag meinetwegen auf manche Stellen bei Tschaikowsky zutreffen, aber nicht auf Mahler). Wenn z.B die Sechste Symphonie auf Selbstmitleid aufgebaut wäre, dann hätte Mahler sie sicher nicht in seiner glücklichsten und erfolgreichsetne Zeit geschrieben. Ich sehe sie als objektive Verkörperung des Tragischen, die zweifellos einen hohen emotionalen Gehalt mit sich führt, aber der musikalischen Logik in beispielloser Strenge folgt.

Exzessive Sentimentalität ist ein Widerspruch in sich selbst, als sentimental bezeichnet man eine gefühlsmäßig flache Verfassung. Unter Kitsch versteht man doch eine kritiklose heile Welt-Ästhetik, bei Mahler hingegen wird eine Welt zu Musik, die in die Brüche geht. Daß Banalitäten wie aus dem Zusammenhang gerissene Alltagsgegenstände im Malstrom dieses Weltgeschehens mitschwimmen, ist eher eine Art Ästhetik der objets trouvés.

Zu Copland: Ich habe mir gerade das trio "Vitebsk" aufgelegt, das auf der CD des Trio Wanderer mit den beiden Schostakowitsch-Trios mitgekommen ist. Ziemlich stimmiges Stück. Was seine Orchestermusik anbelangt, so ist das unheimlich lange her, daß ich welche gehört habe, kann mich aber nicht erinnern, sonderlich beeindruckt gewesen zu sein. Käme auf den Versuch an, ich denke, daß mir prinzipiell das Frühwerk mehr liegt.

Gruß

laubandel

edit: HF-Code Zitat korrigiert Franz-J.


[Beitrag von op111 am 20. Okt 2006, 13:17 bearbeitet]
sound67-again
Gesperrt
#242 erstellt: 20. Okt 2006, 10:57

Laubandel schrieb:

Exzessive Sentimentalität ist ein Widerspruch in sich selbst


Das ist sprachlich überhaupt kein Widerspruch in sich: "Exzessiv" beschreibt den GRAD an Selbstmitleid, an Gefühlskitsch etc. Der kann "minimal" oder auch "exzessiv" sein.

Außerdem: Manche Menschen erfasst das schlimmste Selbstmitleid in Phasen des Glücks. Warum sollte sich das ausschließen?

Gruß, Thomas
Laubandel
Ist häufiger hier
#243 erstellt: 20. Okt 2006, 12:30

sound67-again schrieb:

Laubandel schrieb:

Exzessive Sentimentalität ist ein Widerspruch in sich selbst


Das ist sprachlich überhaupt kein Widerspruch in sich: "Exzessiv" beschreibt den GRAD an Selbstmitleid, an Gefühlskitsch etc. Der kann "minimal" oder auch "exzessiv" sein.

Außerdem: Manche Menschen erfasst das schlimmste Selbstmitleid in Phasen des Glücks. Warum sollte sich das ausschließen?



Das mag sein, jedenfalls kann ich bei Mahler kein Selbstmitleid feststellen. Das paßt überhaupt nicht in seine geistige Welt. Mit-leiden mit den Unterdrückten und Gedemütigten, mit der leidenden Kreatur, das ja. Mahler war sehr geprägt durch seine intensive Dostoevsky-Lektüre, all das erhellt vor allem aus seien frühen Briefen.

Ich denke auch, daß Mahlers permanente Auseinandersetzung mit dem Tod, die Art, wie er den symphonischen Formablauf immer wieder in Katastrophen einlaufen läßt, und nicht zuletzt die genz spezifische Doppelbödigkeit, den Gedanken an Kitsch und flaches Sentiment ausschließen. Man muß wirklich vorsichtig sin mit diesen oft leichthin gebrauchten Begriffen. Es gab Zeiten, da wurde die ganze (literarische) Frühromantik damit behängt, weil man unfähig war, die Ironie, die einem immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht, wahrzunehmen. Vor allem auf diesen Dingen baut Mahlers Modernität auf, er überträgt quasi die frühromantische Sprachskepsis in den Bereich der Musik und setzt damit zentrale Gedanken Nietzsches um.

Gruß

Laubandel

P.S. Über den Vaughan Williams wollen wir nicht streiten, den schätze ich sehr. Natürlich eine ganz andere Welt, und daß ihm Mahler nichts sagt, ist auch klar.
Agon
Hat sich gelöscht
#244 erstellt: 20. Okt 2006, 14:44
O. K. - falls ich mit meiner Formulierung etwas über die Stränge geschlagen haben sollte: SORRY!
Es ging mir aber darum, deutlich zu machen, daß man Musik nicht pauschal als "grandioses Nichts" bezeichnen kann, sozusagen als eine "objektive Wahrheit". Natürlich hat Jedermann das Recht, Mahlers Fünfte als "grandioses Nichts" zu empfinden. Mit anderen Worten ausgedrückt heißt dies ja, daß er keine Verbindung zu der Musik herstellen kann und daß sein Inneres unberührt bleibt. Dies geht mir auch oft so, und ich kann weißgott nicht ständig Mahler hören (wahrscheinlich gerade wegen der hohen Emotionalität). Gerade ein hochemotionaler Filmemacher wie Luchino Visconti wird sich nicht ohne Grund gerade das Adagietto aus der Fünften ausgewählt haben um seinen Film "Tod in Venedig" damit zu untermalen. Und wer sich den Film einmal aufmerksam angesehen hat, wird erkennen, daß diese Musik nicht kitschig oder sentimental wirkt, sondern dem Film eine zusätzliche Dimension gibt, die er ohne die Musik nicht hätte.
Jeder hat ja wohl seine musikalischen "Hausgötter", für mich zählt Mahler dazu. Das heißt nicht, daß ich nicht auch Copland oder RVW hören würde, beide haben sehr hörenswerte Werke geschaffen. Zum Beispiel liebe ich den ersten Satz aus der "London Symphony" von RVW sehr, die anderen drei Sätze sagen mir aber nicht so viel.
Insgesamt bedeutet mir Mahler sehr viel, das hat sicher auch sehr persönliche Gründe.

Gruß,
Philipp
SirVival
Hat sich gelöscht
#245 erstellt: 20. Okt 2006, 16:15
Hi,

wie sound67 treffend bemerkte, sind die Mahler-Sinfonien im heutigen Konzertbetrieb in der Tat grotesk überpräsent. Der Grund liegt allenthalben in dem extrem veräusserlichten Ausdruck der Mahlerschen Musik. Dirigenten greifen deshalb sicherlich nicht unbedingt aus Überzeugung zu diesen Werken, sondern weil sie sich volle Konzertsäle erhoffen, der Konzertgänger goutiert die sinfonische Sensation.

Ich möchte die 9. und die 10. allerdings vom Vorwurf der Äusserlichkeit ausnehmen, weil in diesen beiden letzten Werken endlich vom Komponisten eine Ausdrucksebene, eine musikalische Sprache erreicht wurde, die unser Innerstes berührt und bewegt. Bis dahin wurden aber 8 Sinfonien komponiert, von denen einzig und allein die 1. mich zu überzeugen vermag.

Selbst das Lied von der Erde empfinde ich noch als exotisch angehauchten Edelkitsch. Einzig Fritz Wunderlich war in der Lage, ohne das sonst übliche Löwengebrüll, Musik aus dem ersten Satz zu zaubern, und auch Christa Ludwig veredelte mit ihrer wunderbaren Stimme die etwas erfindungs- und substanzarme Musik. Die zugehörigen Aufnahmen ändern aber nichts daran, dass dieses Werk zu den baldigst vergessenen Mahler-Opera gehören wird.

Ich bin allerdings gar nicht davon überzeugt, dass Mahlers Musik vor Selbstmitleid trieft. Sicher wollte er "die Welt zum Klingen bringen", wie er sich dezidiert über seine 8. äusserte, die Welt mit all ihren Widersprüchen, mit all den Abgründen der menschlichen Existenz. Aber intrumentelle Besonderheiten, wie schrille Klarinetten, wie Trivialmusik a la Militärmarsch oder Wiener Walzer, reissen nicht notwendigerweise vom Hocker und machen noch lange keine überzeugende Sinfonie, wenn die Sätze inhaltlich nicht kongruent sind, wenn sie das, was der Komponist sagen möchte, überhaupt nicht transportieren.

Sicher, als junger Mensch fand ich die Musik Mahlers über alle Massen faszinierend, aber diese Faszination ist im Laufe der Jahre kritischer Distanz gewichen, einer Distanz, die aus der Erkenntnis der Hohlheit und Inhaltslosigkeit der Mahlerschen Musiksprache begründbar ist. Das man mit dieser Meinung die Mahleradepten gegen sich aufbringt, die alles, was dieser Mann hervorgebracht hat, für sakrosankt ersehen, ist mir jetzt klar geworden.

Ich denke aber, dass es völlig sinnlos ist, deswegen einen Glaubenskrieg zu führen. Die Zeit wird entscheiden, was mit diesen Sinfonien passiert. Ich für mein Teil denke, dass die 1. am ehesten bestehen könnte, der Rest dürfte für die Tonne sein. Schade um die 9. und 10.. Aber die Trauer, Tragik, der Sarkasmus und das Wissen um die Sinnlosigkeit allen menschlichen Strebens , die sich in diesen Klängen entäussern, kann uns nicht unberührt, sondern nur tief erschüttert aus dem Konzertsaal gehen lassen. Hier nicht unähnlich der Pathetique von Tschaikowsky. Aber die Sprache Tschaikowskys ist eine andere, sie steht uns näher, ist verständlicher, die Aussage ist klarer: Wie wunderbar und vielschichtig ist das Leben, aber eines Tages werden wir gehen müssen.

Im übrigen ist Mahler eine Einzelerscheinung, deren Einfluß auf die spätere Entwicklung der Sinfonik m.E. nicht nachweisbar ist, und daran ändern auch nichts die Beschwörungsformeln seiner Bewunderer.

Gruß
arnaoutchot
Moderator
#246 erstellt: 20. Okt 2006, 16:29
Gerade weil Mahler heute (zu Recht oder zu Unrecht) so präsent ist auf dem CD- und Konzertmarkt glaube ich kaum, daß er so schnell "in der Tonne verschwinden wird". Das ist m.E. ohnehin ein Faszinosum, welche Faktoren Weltruhm begründen und welche nicht. Das wäre dann aber mal ein anderer Thread ... Grüße Michael
Kreisler_jun.
Inventar
#247 erstellt: 20. Okt 2006, 17:09

SirVival schrieb:

Im übrigen ist Mahler eine Einzelerscheinung, deren Einfluß auf die spätere Entwicklung der Sinfonik m.E. nicht nachweisbar ist, und daran ändern auch nichts die Beschwörungsformeln seiner Bewunderer.


Abgesehen davon, dass vermutlich die meisten zustimmen würden, dass Mahlers Werk eher ein Endpunkt (nämlich der Sinfonik seit Haydn) als ein Ausgangspunkt ist, ist das in dieser Schärfe schlicht falsch. Für Berg (hör mal die 3 Orchesterstücke op.6 an und daneben Mahlers 6. oder 9.) und Schönberg ist Mahler durchaus wichtig, ebenso etwas später für Schostakowitsch.
Ich kann verstehen, wenn man Debussy in vieler Hinsicht für einflußreicher als Mahler hält, auch dass man seine Musik der Mahlers vorzieht. Aber all die Spät- und Postromantiker wie RWV, Sibelius, Nielsen usw. sind verglichen mit Mahler völlig irrelevant für die weitere Musik des 20. Jhds., in der "Sinfonik" im traditionellen Sinne eben größtenteils ein konservatives Nebengleis darstellt.
Und es wäre auch für die Qualitätsbeurteilung unerheblich; Bruckner zB ist wesentlich isolierter und einflußloser als Mahler.

Das erneute Herumreiten auf der angeblichen Sentimentalität führt nicht weiter. Ebenso könnte man Beethovens Sinfonik auf die Dimension lärmender Revolutionsmusik, Chopin auf Salonmusik und Schuberts oder Schumanns Lieder auf biedermeierliches Sentiment reduzieren. Und das wäre ebenso dumm. Gewiß findet man solche Züge, aber sie sind letztlich äußerlich.

viele Grüße

JK jr.
sound67-again
Gesperrt
#248 erstellt: 21. Okt 2006, 15:02

Kreisler_jun. schrieb:
Das erneute Herumreiten auf der angeblichen Sentimentalität führt nicht weiter.


Im Gegensatz zu Deiner "hochwissenschaftlichen" und differenzierten Beobachtung:


Den viktorianisch-edwardianischen Pastoral- und Nostalgie-Kitsch von Elgar und dem frühen RWV


Übrigens: Wenn die Sentimentalität vorkommt, wie Du selbst schreibst, wie kann Sie dann "angeblich" sein????

Gruß, Thomas


[Beitrag von sound67-again am 21. Okt 2006, 15:04 bearbeitet]
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#249 erstellt: 21. Okt 2006, 16:59
Hallo allerseits,

sound67-again schrieb:
Wenn die Sentimentalität vorkommt, wie Du selbst schreibst, wie kann Sie dann "angeblich" sein????

Das ist doch zumindest denkbar - als Rollenprosa, Zitat, Ironie. Warum sollte es das nur in der Literatur geben?

Gruß, Z.
sound67-again
Gesperrt
#250 erstellt: 21. Okt 2006, 19:20
Nein, es war ganz einfach unscharfes Denken.

Gruß, Thomas
Laubandel
Ist häufiger hier
#251 erstellt: 21. Okt 2006, 21:30

Zerebralzebra schrieb:
Hallo allerseits,

sound67-again schrieb:
Wenn die Sentimentalität vorkommt, wie Du selbst schreibst, wie kann Sie dann "angeblich" sein????

Das ist doch zumindest denkbar - als Rollenprosa, Zitat, Ironie. Warum sollte es das nur in der Literatur geben?

Gruß, Z.


Genau so ist es von Mahler gedacht: Ironie, manchmal auch im Zitat oder im Scheinzitat. Das läßt sich an vielen Stellen nachweisen. Das hat teilweise mit Mahlers intensiver Beschäftigung mit der literarischen Romantik zu tun (Jean Paul etwa). Da, wo es plastisch deutlich wird, sind es aber nur Kristallisationspunkte einer Doppelbödigkeit, die latent fast überall vorhanden ist und das scheinbar unmittelbar Verstehbare kommentiert.
Übrigens gibt es tatsächlich eine Stelle mit der Vortragsbezeichnung "sentimental": Dritte Symphone, erster Satz, T.424, das ist das Posaunensolo bei der Wiederkehr der langsamen Einleitung in der Durchführung.
Ansonsten empfehle ich nachdrücklich, das s-Wort nicht mehr zu benutzen, es sagt wirklich ausschließlich etwas über den Hörer aus.

Gruß

laubandel


[Beitrag von Laubandel am 21. Okt 2006, 21:34 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#252 erstellt: 21. Okt 2006, 23:40

sound67-again schrieb:

Kreisler_jun. schrieb:
Das erneute Herumreiten auf der angeblichen Sentimentalität führt nicht weiter.


Im Gegensatz zu Deiner "hochwissenschaftlichen" und differenzierten Beobachtung:


Den viktorianisch-edwardianischen Pastoral- und Nostalgie-Kitsch von Elgar und dem frühen RWV



Woh habe ich diesen Anspruch der Wissenschaftlichkeit geäußert? Ich erlaube mir eben auch mit meinem persönlichen Maß zu messen...Wenn Mahler ein Volkslied zitiert, ist es angeblich sentimental und kitschig, wenn RVW eine halbe Sinfonien mit London-Geräuschen bestreitet, nicht?



Übrigens: Wenn die Sentimentalität vorkommt, wie Du selbst schreibst, wie kann Sie dann "angeblich" sein????


Wo habe ich das geschrieben?
Ich schrieb weiter oben "Darstellung emotionaler Extreme".
(Lies erstmal scharf, bevor Du von deinen Denkgewohnheiten auf die anderer schließt...)

Das ist was anderes als "Sentimentalität", die ich für eine Unterstellung halte, wie ich ebenfalls andeutete. Unter Sentimentalität verstehe ich so etwas wie eine flache, klischeehafte Darstellung von Emotionen

Sirvival fragte sich oben, ob im einleitenden Trauermarsch der 5. Sinf. Mahlers "Dackel" gestorben sei. Das ist zum einen ein bißchen naiv, denn bei einem sinfonischen Trauermarsch muß nicht jemand gestorben sein. Zum andern zeugt es nicht von besonders gutem Zuhören. Denn in den lyrischen Teilen des Satzes klingt eines der Kindertotenlieder an. Wer die sentimental findet, mit dem habe ich schlicht keine gemeinsame Diskussionsbasis, einfach weil ich nicht weiß, wie man diese erschütternde Musik so wahrnehmen kann.

Wie gesagt, man kann diese emotionalen Extreme ebenso wie die oft recht offensichtliche Zitate usw. als sentimental mißverstehen. Daher meine Vergleiche, dass man Chopin ebenso als "sentimentale" Salonmusik mißverstehen kann. Diese Mißverständnisse sind nachvollziehbar, weil sie sich auf wirkliche Züge der Musik, aber einseitig oder verkürzt wahrgenommen beziehen (ebenso wie mein Eindruck der Pastoralnostalgie bei gewissen britischen Komponisten einseitig sein mag).
Wie Laubandel sagte, ist die Doppelbödigkeit, die einen zum Klischee erstarrten Gefühlsausdruck zwar distanziert und ironisch, aber dennoch in gewisser Weise ernst gemeint verwendet, nicht nur bei Mahler überall, auch Schumann ist voll davon. Das enstpricht dort den Heine-Texten, etwa in der Dichterliebe. Auch bei Mahler ist ein Stück wie "Urlicht" völlig ernst gemeint, aber der Ernst entsteht aus der schmerzlichen Distanz, die er zu dem naiven Text einnimmt. Es ist also nicht einfach nur eine ironische Einklammerung, sondern eine Synthese.

viele Grüße

JK jr.
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