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Wagner, R.: Zugang zu Wagner

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peet_g
Stammgast
#51 erstellt: 16. Aug 2005, 17:06

Tantris schrieb:


Das ist mittlerweile längst revidiert. Und der Hauptgrund dafür war, daß Nazis in einigen KZs Juden vor ihrer Ermordung mit Wagners Musik beschallt haben, um sie zu "läutern, reinigen". Historisch muß man daher die Ablehnung derselben akzeptieren, nur hat sie nichts mit der Musik und dem Komponisten zu tun.

Hallo Tantris,

auch wenn ich deine freundliche Töne zu Wagners Musik vollkommen unterstütze, bleibt es zu präzisieren, daß die negative Einstellung in Israel der Musik Wagners gegenüber sehr wohl mit dem Komponisten zu tun hat. Aus einem einfachen historischen Grund, denn er war ein glühender Antisemit. Ein Musikliebhaber kann es verdrängen und vergessen, Israelis werden es aus wiederum verständlichen Gründen ihm anlasten, auch beim Zuhören.

Das nur als "kleine" Korrektur.

Gruß
vanrolf
Inventar
#52 erstellt: 16. Aug 2005, 22:19
Tantris schrieb:

Sein Antisemitismus wurde angeschnitten, aber Hand aufs Herz - wer hat denn wirklich "das Judentum in der Musik" gelesen hier? Das Thema ist zu komplex, hier muß man tief in W. Biographie einsteigen.


Hallo zusammen,

Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" (Leipzig 1850) wird oft im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Wagner/Antisemitismus genannt, doch wie Tantris ganz richtig sagt, haben sie in der Regel nur wenige gelesen. Das lässt sich ändern, hier kann man sie vollständig im Netz einsehen:

http://mydocs.jbunzel.online.de/05845/05845.pdf

Wagner hat die Schrift meines Wissens inhaltlich nie relativiert. Ich habe sie übrigens gelesen und empfehle die Lektüre allen, die das Thema interessiert.

Gruß Rolf


[Beitrag von vanrolf am 16. Aug 2005, 22:33 bearbeitet]
Tantris
Hat sich gelöscht
#53 erstellt: 19. Aug 2005, 11:59
Hallo Peet und Rolf,

wenn man schon einmal beim Quellenstudium ist, kann man sich auch gleich noch über Wagners frühe Pariser Jahre informieren, von dieser Zeit kann man zurecht sagen, daß sein Antisemitismus dort die Wurzeln hatte.

Ob Wagner nun ein "glühender" Antisemit war, darüber darf man diskutieren - vermutlich nicht glühender als andere Zeitgenossen auch. Natürlich hat er die eine dem Titel nach bekannte Hetzschrift verfaßt und nie revidiert - einen umfassenden Judenhaß kann man da allerdings nur schwer herauslesen. Wagner hat auch antisemitische Ressentiments und Verunglimpfungen meist im Zusammenhang mit einzelnen Personen verwendet, nicht allumfassend - das soll nichts entschuldigen, aber in den historischen Kontext einordnen.

Neben der Tatsache, daß die Nazis Wagners Musik geliebt und in ihre Propaganda einbezogen haben (übrigens ohne je etwas davon verstanden zu haben, die Thomas Mann mal trefflich bemerkte), dürften zu dem vorschnellen Urteil "Wagner=besonders antisemitisch" vor allem die Nachfahren Wagners beigetragen haben, denen die Festspielleitung zufiel. Insbesondere die beiden Frauen Cosima Wagner (Gattin) und Winifred Wagner (Schwiegertochter). Bei beiden findet man sehr extreme, bedenkliche Tendenzen. Während z.B. noch 1882 ein Jude (Hermann Levi) unter Gesamtleitung des Komponisten die Uraufführung des "Parsifal" dirigieren durfte, hat Cosima selbst konvertierten Juden den Zugang zum Festspielhaus versagt. Die späten Tagebücher geben da an einigen Stellen interessanterweise schon Aufschluß. Auch ihre Schwiegertochter, bekanntermaßen schon Mitte der 20er Jahre mit Adolf Hitler mehr als befreundet, setzte diesen Kurs fort und blieb bis zu ihrem Tod eine Unbelehrbare.

Daß Wagner heute in Israel abgelehnt wird, muß man im historischen Kontext akzeptieren - man muß allerdings nicht immer die ewig gleichen und zumeist falschen Pauschalurteile vieler Wagnergegner in den Ring werfen, sondern kann die Sache ein bißchen differenzierter sehen.

Gruß, T.
peet_g
Stammgast
#54 erstellt: 20. Aug 2005, 10:10

Tantris schrieb:


<...> Ob Wagner nun ein "glühender" Antisemit war, darüber darf man diskutieren - vermutlich nicht glühender als andere Zeitgenossen auch. Natürlich hat er die eine dem Titel nach bekannte Hetzschrift verfaßt und nie revidiert - einen umfassenden Judenhaß kann man da allerdings nur schwer herauslesen. Wagner hat auch antisemitische Ressentiments und Verunglimpfungen meist im Zusammenhang mit einzelnen Personen verwendet, nicht allumfassend - das soll nichts entschuldigen, aber in den historischen Kontext einordnen.
<...>
Daß Wagner heute in Israel abgelehnt wird, muß man im historischen Kontext akzeptieren - man muß allerdings nicht immer die ewig gleichen und zumeist falschen Pauschalurteile vieler Wagnergegner in den Ring werfen, sondern kann die Sache ein bißchen differenzierter sehen.

Hallo Tantris,

ich wollte nur eine kleine Korrektur einbringen, in der Hoffnung, du wirst es akzeptieren. Du bestehst auf der Relativierung, wozu?

Klar war Wagner ein "glühender" Antisemit, auch im historischen Kontext. Eben mehr als ein typischer Zeitgenosse. Wie viele denn haben solche Schriften vor Marr verfasst?..

Ich finde es bescheuert, daß seine Musik deswegen irgendwo nicht aufgeführt wird. Das wird ganz sicher in der nächsten Zeit sich ändern. Dass du mich in diesem Kontext zu Wagnergegnern zählst, finde ich total amüsant. :-)

Über die Wagner-Rezeption im Bezug auf seinen Antisemitismus gibt es reichlich Literatur, z.B.
http://www.literatur...=1519&ausgabe=200009
http://www.sun.rhbnc.ac.uk/Music/Conferences/98-8-wuj.html
http://www.google.de...4GQ-iyNo2OiALriu2HDg
http://www.omm.de/feuilleton/metzler-wagner-juden.html


Gruß
Tantris
Hat sich gelöscht
#55 erstellt: 24. Aug 2005, 14:14
Hallo Peet,

ich halte die Differenzierung von Wagners Antisemitismus für geboten, gerade weil durch die Nazis und in deren Nachfolge das Thema allzu einfach und pauschal behandelt worden ist. In dem Zusammenhang habe ich übrigens nicht Dich persönlich als Wagnergegner bezeichnet, sondern davor gewarnt, Pauschalurteile der Wagnergegner allzu ungeprüft zu verwenden.

Der in der "Judentum"-Schrift vorhandene Antisemitismus ist viel mehr Aufhänger als Kernaussage von Wagner. Er spricht diejnigen Leser, die ohnehin antisemitische Vorurteile und Klischees hegen, direkt an, um diese auf die eigentlich von ihm verhaßten und zu bekämpfenden Subjekte zu lenken, nämlich den bürgerlichen und rein profitorientierten Musikbetrieb seiner Zeit, namentlich den in Paris. Trotz aller Verblendung vermag er da noch klar zu argumentieren und lag zumindest, was den nicht namentlich erwähnten Meyerbeer betrifft, der aber Hauptziel dieser Hetzschrift ist, noch gar nicht einmal so daneben. Daß er die von ihm so verhaßten Verhältnisse des Musikbetriebs (mit denen sein Freund und späterer Schwiegervater Liszt übrigens hervorragend zu recht kam, was wiederum dessen Tochter und Wagners 2. Frau zur wirklich glühenden Nationalistin und Antisemitin machte) als "charakteristisch jüdisch" zu diffamieren sucht, ist moralisch sicherlich verwerflich, aber ich würde es nicht als glühenden Antisemitismus bezeichnen, es ist doch eher eine persönliche Sache. Man darf nicht vergessen, daß Wagner während seines ersten Paris-Aufenthaltes buchstäblich Hunger litt und in jener Zeit umfangreiche Verschwörungstheorien gegen den "Profitbetrieb" des Pariser Musiklebens entwickelte.

Gestern wurde im DLF das Thema Wagner und Antisemitismus mal wieder angeschnitten, weil es nämlich in BT ein Gedenkkonzert zu Ehren von Cosima, Winifred und Siegfried Wagner gegeben hat (wohlgemerkt im Jahr 2005). Gerade die beiden Frauen dürften, zumal sie den Komponisten persönlich in punkto Antisemitismus und Nationalismus bei weitem überragten, den negativen Klang des Namens "Wagner" so richtig ausgemacht haben.

Gruß, T.
Susanna
Hat sich gelöscht
#56 erstellt: 26. Aug 2005, 15:28

Susanna schrieb:
Barenboim setzt sich vorbildlich für die Versöhnung Israels und der Palästinenser ein, indem er ein paläst.-israel. Jugendorchester leitet und fördert.

Hallo zusammen,

da ein Thema in Richtung "Musik und Politik" hier nicht existiert, ich aber daran interessiert bin, schreibe ich's hierhin:
http://morgenpost.be...uilleton/774914.html

Ich finde diese Aktion großartig!

Gruß,
Susanna
plönlein
Stammgast
#57 erstellt: 27. Aug 2005, 08:41
Guten Morgen,

ich habe diesen Thread mit sehr großem Vergnügen verfolgt. Ich danke allen, die einem interessierten Wagner-Neuling so viel Wissenswertes lesen ließen. Nur möchte ich doch zwei Dinge anmerken, die mein vorgenanntes Vergnügen getrübt haben.
So bei Susanna eine Äußerung, wonach sich die "Ressentiments" gegenüber Wagner in Israel in absehbarer Zeit auf "natürliche Weise" erledigt haben dürften. Das, bitteschön, ist bei einem derart heiklen Thema für mein Empfinden unvertretbar zynisch. Zumal ich dem inhaltlich so auch nicht zustimmen würde. Ich denke, dass Wagner, eben weil er sich auch explizit als politisches Wesen verstanden hat, sich auch seine aus heutiger Sicht irrigen Wege vorhalten lassen muss - und das dies auch so bleiben wird.
Und zu Tantris möchte ich anmerken, dass es mir immer ein wenig bedenklich scheint, wenn man sich darauf beruft, dass andere die in Rede stehende Kunst eben einfach nicht richtig verstanden hätten. Ich denke, dass es ein wenig zu platt ist, den Nazis dies pauschal zu attestieren (auch wenn Thomas Mann natürlich stets ein prima Kronzeuge ist); das bedeutet nicht, dass ich denke, dass die braunen Horden übermäßig mit feinsinnigen Kunstfreunden ausgestattet gewesen wären. Ich denke nur, dass auch eine Nazi-gemäße Rezeption sehr wohl möglich ist. Es ist doch unbestritten, dass Wagners Musik Heldisches, Überlebensgroßes vertont. Der Einzelne, der sich für eine Idee opfert (und seien es Tristan und Isolde, deren Liebe letztlich in ihren Tod führen muss nach Wagners Willen), ist doch wohl das Paradebeispiel für eine Haltung, welche die Nazis als vorbildhaft ansahen. Stets nach dem Motto: Ich bin nichts, Deutschland ist alles - mit den daraus erwachsenen, für die gesamte Welt wahrhaft verheerenden Folgen.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Auch ich höre Wagners Musik ausgesprochen gern. Die Tiefe, das Gebrochene daran empfinde ich als wahrhaft. Nur gibt es eben auch andere Wege, "seinen" Wagner zu vereinnahmen. Dies ist in der Vergangenheit geschehen, und zwar auf eine in sich durchaus stimmige Weise (die mich abstößt). Es sollte aber niemand den Versuch unternehmen, derlei unnötig zu relativieren. Man sollte es als historische Tatsache akzeptieren und gerade als Deutscher nicht verdrängen.
Viele Grüße, Ekkehard.
Kreisler_jun.
Inventar
#58 erstellt: 27. Aug 2005, 11:35

plönlein schrieb:

Ich denke nur, dass auch eine Nazi-gemäße Rezeption sehr wohl möglich ist. Es ist doch unbestritten, dass Wagners Musik Heldisches, Überlebensgroßes vertont. Der Einzelne, der sich für eine Idee opfert (und seien es Tristan und Isolde, deren Liebe letztlich in ihren Tod führen muss nach Wagners Willen), ist doch wohl das Paradebeispiel für eine Haltung, welche die Nazis als vorbildhaft ansahen. Stets nach dem Motto: Ich bin nichts, Deutschland ist alles - mit den daraus erwachsenen, für die gesamte Welt wahrhaft verheerenden Folgen.


So einfach kann man es sich IMO nicht machen.
Ein nazistische Rezeption war nämlich offenbar auch für Bruckner, Beethoven, Bach, sogar Schütz und Sibelius (dessen "nordisches" Violinkonzert das Mendelssohnsche "ersetzen" sollte) möglich.
Wo sich bei Wagner ein einzelner für ein (nationales) Kollektiv opfert, müßtest Du mir zeigen, im Gegenteil scheinen mir die "Helden" immer Einzelgänger zu sein (dass sie fast alle scheitern wurde ja schon weiter oben geagt).
Die einzige "nationale" Oper ist eine komische, die Meistersinger, die völlig ohne Opfer auskommt. Ich will jetzt nicht die Meistersinger interpretieren, aber hier könnte man zB sagen, dass man die berühmte Stelle: "Zerging das heilge römsche Reich in Dunst, so bliebe doch die heilge deutsche Kunst" so deuten könnte, dass hier gerade eine Autonomie der Kunst gegen politische Vereinnahmung gefordert wird.
Wenn man Tristan und Isoldes oder Siegmunds und Siegfrieds Tod als "Opfer für eine Idee" deuten will, kann man das ebensogut mit Romeo&Julia und Hamlet tun: Die Verhältnisse lassen die Erfüllung der Liebe nicht zu bzw. die Welt ist so aus den Fugen geraten, dass einzelne Helden das nichtmal durch ihr Selbstopfer wieder hinbiegen können. (Die "Versöhnung" im Ring geschieht durch Brünnhildes, nicht durch Siegfrieds Selbstopfer).

viele Grüße

JK jr.
Susanna
Hat sich gelöscht
#59 erstellt: 27. Aug 2005, 11:47

plönlein schrieb:
So bei Susanna eine Äußerung, wonach sich die "Ressentiments" gegenüber Wagner in Israel in absehbarer Zeit auf "natürliche Weise" erledigt haben dürften. Das, bitteschön, ist bei einem derart heiklen Thema für mein Empfinden unvertretbar zynisch.

Hallo Ekkehard,

danke für Deine nützlichen Anmerkungen! Aus persönlicher Betroffenheit zu diesem Thema, und um Deine Vorwürfe nicht ins Wochenende mitnehmen zu müssen, aber hauptsächlich, um Deine Vorstellung von mir als Zynikerin zu entkräften, so viel: Die Bemerkung "auf natürliche Weise" verwandte ich wirklich nur demoskopisch, ohne Hintergedanken. Eine israelische Zeitung schrieb sogar etwas Ähnliches. Die Ausdrucksweise war von mir vielleicht ungeschickt gewählt, weil man ja nicht ohne weiteres erkennen kann, wie ich es meinte.

Zumal ich dem inhaltlich so auch nicht zustimmen würde. Ich denke, dass Wagner, eben weil er sich auch explizit als politisches Wesen verstanden hat, sich auch seine aus heutiger Sicht irrigen Wege vorhalten lassen muss - und das dies auch so bleiben wird.

Was das betrifft: Es hat lange gedauert, bis ich mich mit eben diesen Gedanken sozus. versöhnen konnte. Sie haben sogar lange Zeit mein Hören, bzw. Nichthören Wagnerscher Musik beeinflußt, was sich aber glücklicherweise immer mehr zugunsten Wagners (seiner Musik) ändert. Es gab und gibt für mich die Frage, dürfen/ sollen/ können wir den Menschen vom Künstler trennen. Wenn wir es nicht tun, geht uns eine Menge großartiger künstlerischer Leistungen verloren, nicht nur Wagner. (Eben lese ich gerade noch, daß sich Kreisler dazu ähnlich geäußert hat.) Im Fall Wagner wurde auch in diesem Forum schon des öfteren erwähnt, daß er als politisches Wesen ein Kind seiner Zeit, d. h., nicht unbedingt persönlich schuldig war. Daß es irrige Wege waren, ist unbestritten und muß weder vergessen noch verdrängt werden.
Jedenfalls finde ich es gut, daß Wagner in Israel wieder aufgeführt wird. Hoffentlich konnte ich Deine Bedenken, was mich betrifft, ausräumen!

Viele Grüße,
Susanna


[Beitrag von Susanna am 27. Aug 2005, 19:42 bearbeitet]
plönlein
Stammgast
#60 erstellt: 27. Aug 2005, 15:29
Lieber Kreisler jun.,
da hast Du mich wohl leidlich missverstanden. Ich wollte nicht darlegen, warum Wagner unweigerlich von den Nazis rezipiert werden musste, sondern warum er für mein Empfinden rezipiert werden konnte. Mehr nicht.

Auch mögen die Helden scheitern, heldenhaft sind sie ja in jedem Fall, da sie ihren Weg zu Ende gehen, und sei es über das eigene Leben hinaus. Wobei doch auch klar ist, dass der tragische Held weit mehr Wirkung entfaltet als der strahlende, unbesiegbare Schönling - ihn kostet der Triumph ja nichts.

Dass sich bei Wagner kein Held für die Nation/das Kollektiv opfert, ist mir auch klar, doch ging es mir darum auch gar nicht - er muss sich für etwas aufgeben können, das größer ist als er selbst. Wenn man diese Haltung verinnerlicht hat, ist relativ gleichgültig, was denn nun größer ist als das Ich, Hauptsache, man sieht das eigene Leben, das Leben als solches nicht mehr als den wichtigsten Wert überhaupt an (so wie es heutzutage bei uns üblicherweise ja tut).
Das von Dir gewählte Zitat empfinde ich auch nicht als schlagend, denn wenn die Kunst schon unpolitisch ist, warum muss es dann unweigerlich die "heilige deutsche Kunst" sein. Einfach "Kunst" hätte dann doch genügen müssen.

Aber das führt schon wieder alles zu weit. Das Einzige, was ich ursprünglich sagen wollte, ist, dass Wagner eben auch von Nazis vereinnahmt werden konnte. Wer das mit dem Hinweis negiert, dass die ihren Wagner eben nicht verstanden haben, macht es sich für mein Empfinden zu leicht.
Ich bin aber, um das nochmals zu betonen, keineswegs der Ansicht, dass die Vereinahmung durch Nazis zwingend ist. Ich bin kein Nazi und höre Wagner (wenn nun auch nicht gerade die Meistersinger) mit großem Gewinn.

Und, Susanna, vielen Dank für die Reaktion.

Schönes Wochenende,
Ekkehard.
s.bummer
Hat sich gelöscht
#61 erstellt: 28. Aug 2005, 18:03
Hallo,
ich denke das Thema war Zugang zu Wagner und da möchte ich meinen sehr schmalen Zugang zu Wagner kurz beschreiben.
Ich komme in Sachen Klassik aus dem 20. Jahrhundert und habe mir die früheren Jahre Stück um Stück angeeignet.

Insofern bin ich bei Wagner mit Parsifal eingestiegen und finde das Stück, in kleinen Teilen gehört, auch heute noch am besten erträglich.
Wenn auch schwerst mit Pathos und Sahne beladen, ein Rezensent schrieb mal "Weihrauch und Sperma".

Selbst die gestern abend gesendete Version hatte immer wieder diesen weihevollen Zug. Schrecklich!
Da kann man machen was man will, Knapperstbusch, Levine (live in Bayreuth), Barenboim oder Boulez; es ist das Stück das nach ca. 1h Hören mich immer zum Abschalten zwingt, weil dieser pathetisch bedeutungsschwangere Dauerdruck nicht länger zum Aushalten ist

"Krischan und die Olle" (Heinz Erhardt) bleibt mir genauso verschlossen wie die Meistersinger oder weite Teile vom Ring, den ich sicherlich schon 4-5 mal gehört habe, natürlich portionsweise verabreicht, deswegen glaube ich inzwischen, man muss eine Passion für Wagner haben.

Entweder es geht oder nicht.

Ich habe sie nicht. Mir reichen ein paar Ouvertüren und ein paar andere Stücke.

Nun gibt es solche, die sagen: Du bist noch nicht reif dafür oder sonstwas.

Nein, ich fürchte, für sowas werde ich nie reif genug sein.
Herrlich!

Gruß S.
Tantris
Hat sich gelöscht
#62 erstellt: 28. Aug 2005, 20:14
Hallo Plönlein,

ich beschäftige mich schon recht lange mit Wagners Werk und seiner Interpretation. Keineswegs sehe ich Wagner unkritisch, es gibt viele mehr als bedenklich Punkte in seiner Biographie, seiner persönlichen Meinung und in seinen Werken (die drei Dinge stehen oft im Widerspruch zueinander, sollten also nicht gleichgesetzt werden). Aber ich warne vor einer platten, einfachen Interpretation, damit gerät man - wie die Nazis - auf den Holzweg.

Man führe sich allein vor Augen, daß Hitler sich oft mit Lohengrin identifiziert hat - eine auratische Führergestalt, die die militärische Einheit der Deutschen herbeiführen will und "vom Himmel geschickt" zu sein scheint. Daß Lohengrin scheitert - menschliche wie politisch - wie kaum ein anderer Wagnerscher Held, wird jedem klar, der die Geschichte zu Ende gelesen hat, nur Hitler selbst scheint dies nicht aufgefallen zu sein.



Es ist doch unbestritten, dass Wagners Musik Heldisches, Überlebensgroßes vertont.


Nein. Die Musik selbst mag "überlebensgroß" sein, der Umfang seiner Werke, auch seine Visionen. Die Geschichten sind, auf ihren philosophischen Kern reduziert, erstaunlich persönlich, menschlich und unheldisch. Der stärkste Held scheitert an banalen wie tragischen Umständen, keiner ist frei von "Kratzern".



Der Einzelne, der sich für eine Idee opfert (und seien es Tristan und Isolde, deren Liebe letztlich in ihren Tod führen muss nach Wagners Willen), ist doch wohl das Paradebeispiel für eine Haltung, welche die Nazis als vorbildhaft ansahen. Stets nach dem Motto: Ich bin nichts, Deutschland ist alles - mit den daraus erwachsenen, für die gesamte Welt wahrhaft verheerenden Folgen.


Sorry - aber eine Aufopferung der Helden für ein Land o.ä. ist in keinem Werk Wagners der Kern. In vielen Wagnerschen Geschichten sind es die Frauen, die sich aufopfern, aber ganz persönlich, für den Mann, den sie lieben (Senta für den Holländer, Elisabeth für Tannhäuser, ja selbst post mortem Brünnhilde für Siegfried). Tristans Tod wiederum hat nichts mit Opferung zu tun, sondern mit Realitätsflucht, Verneinung des Lebenswillens, Verklärung des gesteigerten Liebesgedankens.

Durch Tod und "Opfer" wird bei Wagner nichts gewonnen, und keiner der Helden opfert sich freiwillig - Siegmund wird Opfer der Ränkespiele seines Vaters, Siegfried der seiner Feinde und seiner nicht entwickelten Persönlichkeit. Die philosophische Essenz des "Parsifals", sozusagen das Schlußwerk, sagt uns, daß Mitleid alles ist.



Auch mögen die Helden scheitern, heldenhaft sind sie ja in jedem Fall, da sie ihren Weg zu Ende gehen, und sei es über das eigene Leben hinaus. Wobei doch auch klar ist, dass der tragische Held weit mehr Wirkung entfaltet als der strahlende, unbesiegbare Schönling - ihn kostet der Triumph ja nichts.


Warum sind gerade deshalb heldenhaft? Kann es nicht vielmehr sein, daß das Heldische auch nur eine Oberflächlichkeit ist, daß es Wagner vielmehr um etwas ganz anderes geht, wenn er einen "Helden" auf die Bühne bringt?

Der "strahlende, unbesiegbare Schönling" begegnet uns bei Wagner 2 1/2 Aufzüge lang im "Siegfried" - danach packen ihn so die Furcht und die Selbstzweifel, daß er im Angesicht seiner Zukünftigen nach seiner Mutter ruft. Das nenne ich nicht gerade einen Helden, der die Wirkung entfaltet, die die Nazis gerne gehabt hätten.



Dass sich bei Wagner kein Held für die Nation/das Kollektiv opfert, ist mir auch klar, doch ging es mir darum auch gar nicht - er muss sich für etwas aufgeben können, das größer ist als er selbst. Wenn man diese Haltung verinnerlicht hat, ist relativ gleichgültig, was denn nun größer ist als das Ich, Hauptsache, man sieht das eigene Leben, das Leben als solches nicht mehr als den wichtigsten Wert überhaupt an


Auch dafür gibt es bei Wagner keinerlei Belegstellen. Der Held, der von seinem Vater geopfert wird, nämlich Siegmund, stirbt wider willen, einsam, aber lebensmutig, und mit dem "Verrat" an ihm geht die ganze politische Utopie Wotans den Bach herunter. Ein stärkeres Plädoyer GEGEN Opferung kann es doch kaum geben. Parsifals "Opfer" ist wohl keines in ihrem Sinne, er vollbringt sein Werk durch Gewalt- und Sexualitätsverzicht in einem, vollendet es durch eine Heilung.

Die Wagnerschen Helden - mit Ausnahme von Tristan und dem Holländer - hängen an ihrem Leben, zumindest aber an ihrem Heil. Ihre These ist einfach nicht stichhaltig.



Das Einzige, was ich ursprünglich sagen wollte, ist, dass Wagner eben auch von Nazis vereinnahmt werden konnte. Wer das mit dem Hinweis negiert, dass die ihren Wagner eben nicht verstanden haben, macht es sich für mein Empfinden zu leicht.


Ich bin da anderer Ansicht - zumal es nicht günstig ist, diese Position dadurch zu stärken, daß man Wagner ebenfalls mißversteht und munter weitere Vorurteile in die Welt streut. Helfen tun nur eine genaue wie kritische Analyse der Werke.

Daß Wagner von den Nazis vereinnahmt worden ist, ist Fakt und Geschichte, da gibt es nichts zu deuteln. Funktionieren konnte das u.a., weil zu wenig Leute versucht haben, Wagner im Inneren zu begreifen, sondern stattdessen sich an Oberflächlichkeiten wie den "Heldengeschichten" und der emotionsgeladenen Musik berauscht haben.

zu Kreisler:

Es gibt deutliche Hinweise, daß die nationalistischen Zeilen in den "Meistersingern" (besonders die eingefügte Passage "Habt Acht! Uns dräuen üble Streiche!...") weniger der Willen des Komponisten waren als vielmehr der seiner Frau.

Gruß, T.
Thomas228
Stammgast
#63 erstellt: 28. Aug 2005, 23:17
Hallo allerseits,

wieder einmal habe ich mit Interesse jeden Beitrag gelesen. Dieses mal aber ist meine Verwunderung darüber, dass kein anderer es geschrieben hat, so groß, dass es aus mir herausbricht:

Zugang zu Wagner findet man in der Oper!!!

Bislang ist hier nahezu ausschließlich die empfehlenswerte Reihenfolge des Hörens der einzelnen Werke besprochen worden, also allein das "Was?" des richtigen Zugangs, nicht das "Wie?". Diese Frage nach dem "Wie?" ist aber unbedingt auch zu beantworten. Meiner Erfahrung nach wirkt Wagners Musik in der Oper nicht nur mehrfach intensiver als zuhause, es werden auch etwaige Längen der Stücke weniger lang-weilig, wenn man sich zwischendurch mit etwas anderem beschäftigen kann (der Inszenierung, dem Spiel der Orchestermusiker, dem Dirigat...).

Sehr oft bin ich in der Vergangenheit mit Opern-Anfängern in Opern - und eben auch in Wagneropern (aber nicht nur) - gegangen. Meine Erfahrung ist immer die gleiche. Die Leute, die sich die 3 CD´s Tannhäuser niemals anhören würden, kommen stets begeistert aus der Vorführung. Dann erst, mit der Aufführung vor dem geistigen Auge, sollte meines Erachtens die nähere Beschäftigung mit dem jeweiligen Werk erfolgen (spätere Besuche desselben Werks natürlich nicht ausgeschlossen). Der Konsum einer DVD ist im Übrigen einem Opernbesuch bei Weitem nicht vergleichbar.

Zu den weiteren angesprochenen Themen:

1) Die Reihenfolge:

Auch meiner Meinung nach gibt es eine klare Reihenfolge, die den Einstieg erleichtert: Holländer, Tannhäuser, 1. Akt Walküre als erstes, Lohengrin, Rheingold, Tristan, Meistersinger als zweites. Parsifal, restlicher Ring als letztes.

Bezogen auf den Opernbesuch ist dabei zu beachten: Der Anfänger hat Schwierigkeiten, den halben Tag (inklusive Pausen) in der Oper bei einer Tristan-Inszenierung zu verbringen. Geeignet sind hier vor allem kürzere Werke (Holländer, auch Tannhäuser geht noch). Der erste Akt der Walküre wird nie für sich gespielt.

2) Wagner und das Judentum, Wagner und Faschismus:

Keine Frage: Die judenfeindlichen Äußerungen von Wagner sind mit Entschiedenheit zu missbilligen. Nur sind mir beim Hören der Opern judenfeindliche Äußerungen in den Texten der Opern bislang nicht aufgefallen (wenn auch das eine oder andere Deutschtümelnde, vor allem in den Meistersingern), schon gar nicht stehen sie in den Noten. Ich halte es wie eine Vorrednerin: Ich trenne zwischen dem musikalischen Werk und der Person Wagner und ihrer Einstellung (anzumerken ist, dass die Person Wagner in vielerlei Hinsicht unerträglich gewesen sein muss: in Bezug auf Juden, in Bezug auf Mitmenschen, insbesondere Frauen, in Bezug auf alles, was mit Verantwortungsbewusstsein und Maß zu tun hat...).

Historische Tatsache ist allerdings, dass Hitler ein Wagnerianer war (bereits als junger Mann in Österreich) und Wagners Werk und der grüne Hügel im Dritten Reich eine geradezu kultische Verehrung genossen haben, was kein Zufall ist. Wagners Opern sind wie keine anderen dazu geeignet mit Massenszenen rauschhafte (Hör)Erfahrungen hervorzurufen. Diese Eignung, dieser Wille zur Massenwirkung ist das Bindeglied zum Faschismus. Und hier wird es bedenklich. Wenn ich als Zuhörer im Tannhäuser begeistert - rauschhaft - "Landgraf Herrmann heil" mitsinge (natürlich nicht im Opernhaus), dann meldet sich stets nach dem Abklingen des Rausches mein schlechtes Gewissen (Heil? War da nicht mal was? Wird man als Einzelner derart von der Masse mitgerissen, dass man mitgrölt, mitmacht, ohne noch zu hinterfragen? War es wegen dieser Funktionsweise (oder besser: Eignung) von Massenszenen möglich, dass die Besucher des Sportpalastes damals auf die Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" begeistert "Ja!" rufen konnten? Handelt es sich bei diesem Rausch angesichts dieser Geschehnisse noch um etwas Harmloses?). Also muss ich zurückrudern: Nein, ganz trennen zwischen Werk und politischem Hintergrund kann ich doch nicht.

3) Sinngemäßes Zitat von oben: "Ich höre mir meine schlechte Aufnahme erst noch ein bisschen an und entscheide dann, ob es sich lohnt, eine bessere zu kaufen."

Es lohnt sich unbedingt. Das Kennenlernen eines musikalischen Werks mit einer schlechten Aufnahme ist in allerhöchstem Maße von Übel! Die erste Aufnahme ist überaus prägend. Noch heute geht es mir bei manchen Stücken so, dass ich manche Dinge als falsch höre, obwohl sie eigentlich richtig sind, nur weil ich sie anders kennengelernt habe.

Deshalb hier ein, zwei kurze Hinweise auf herausragende und günstige Einspielungen: Der Holländer bei Naxos ist hervorragend. Vergleichsweise günstig und äußerst empfehlenswert ist auch die Aufnahme von Dorati. Bei der Walküre muss es nicht die ganze Oper sein. Bei EMI gibt es eine CD des ersten Aktes, die jeder Wagnerianer heiß und innig liebt. Es handelt sich um eine Aufnahme von 1935 mit Lauritz Melchior (dem Wagner-Tenor schlechthin) und Lotte Lehmann, Dirigent: Walter, die bei JPC für schlappe 6,99 Euro zu haben ist. Wer sich mit Rauschen und Knistern arrangieren kann, sollte diese CD unbedingt anhören!

Zum Abschluss: Ganz wichtig zum Genuss der Wagner´schen Opern ist das Mitlesen des Librettos. Dann kommt das Mitsingen von ganz allein

Thomas
Thomas228
Stammgast
#64 erstellt: 28. Aug 2005, 23:27
Eben fällt mir noch ein:

Vor etwa 10 Jahren habe ich in Berlin eine Inszenierung des Holländers gesehen. Aufbauend auf der Grundidee, dass der Holländer ein Ausgestoßener ist, der sich danach sehnt, von der Gesellschaft wieder aufgenommen zu werden hat, hat der Regisseur das Schiff des Holländers mit dem Namen "Exodus" versehen (Wem das nichts sagt: kurz mal bei Wikipedia unter Exodus nachlesen - es geht um das Schiff). Und plötzlich konnte eine Oper Wagners als Plädoyer für die Aussöhnung mit den Juden, für die Aufnahme von Minderheiten in die Gemeinschaft verstanden werden. Genial!

Und jetzt gute Nacht,

Thomas
Tantris
Hat sich gelöscht
#65 erstellt: 29. Aug 2005, 17:08
Hallo Thomas

die Verbindung Holländer - Ahasver - Jude ist keineswegs neu, die hat Wagner sogar selber schon zur Diskussion gestellt. Jemand, der keine Heimat hat, auf ewig herumreisen muß, kein Seelenheil findet - das waren für Wagner die charakteristischen Punkte für einen Juden, egal ob positiv oder negativ besetzt. In vielen Äußerungen Wagners, z.B. wenn es namentlich um Heine geht, klingt Wagners Mitleid für die Juden an, denen er Identitätslosigkeit zuschreibt - was in der bekannten Hetzschrift wiederum in Haß umschlagen kann. Wie ich bereits schrieb, die Dinge liegen kompliziert.



Deshalb hier ein, zwei kurze Hinweise auf herausragende und günstige Einspielungen: Der Holländer bei Naxos ist hervorragend.


Meiner Meinung nach die schlechteste Einspielung überhaupt (wenn die unter P. Steinberg mit Muff gemeint ist) - das klingt nicht nach Wagner, sondern nach Wewelscher Operettengala.

Wer mit historischem Klang was anfangen kann, dem empfehle ich die Dorati-Einspielung mit George London und Rysanek. Ansonsten die DVD unter Segerstam mit Behrens und Salminen.



Nur sind mir beim Hören der Opern judenfeindliche Äußerungen in den Texten der Opern bislang nicht aufgefallen (wenn auch das eine oder andere Deutschtümelnde, vor allem in den Meistersingern), schon gar nicht stehen sie in den Noten.


Das ist zu kurz gegriffen - Wagners philosophische Statements stehen fast nie explizit in den Noten oder im Text, man muß immer danach suchen, forschen, kombinieren, wissen. Sicher gibt es keine expliziten Judenfeindlichkeiten, aber diffuse wie nicht unproblematische Hinweise und Doppeldeutigkeiten:

1. die Figur des Beckmesser - die sprachliche Ausdrucksform seiner Lieder erinnert zuweilen an das, was Wagner in seinen antijüdischen Hetzkommentaren über jüdischen Umgang mit Sprache und Musik schrieb. Ohne daß es eine explizite Titulierung Beckmessers als Juden gab, notierte Cosima übrigens Proteste von Juden gegen die Oper.

2. Man betrachte den II. Aufzug Parsifal und die Parallelen zu Meyerbeer - es ist nicht weit hergeholt, daß dieser hier sich in der Figur des Klingsor spiegelt und posthum künstlerisch vernichtet werden soll.

3. Kundrys Tod im Finale Parsifal, den Wagner selbst als "Vernichtungsklang" beschrieb. Die Reinheitstheorie des "Parsifal", wie auch intelligentere Zeitgenossen als die Nazis bemerkten, ist nicht so weit von einer Rassentheorie entfernt, wie man meinen sollte.

Kundry und Klingsor selbst geben sich übrigens als Juden zu erkennen, die leibhaftig in Golgatha anwesend waren.



Wenn ich als Zuhörer im Tannhäuser begeistert - rauschhaft - "Landgraf Herrmann heil" mitsinge (natürlich nicht im Opernhaus), dann meldet sich stets nach dem Abklingen des Rausches mein schlechtes Gewissen (Heil? War da nicht mal was?


Interessanter Punkt, zeigt er doch, daß man Wagner erstmal verstehen sollte, bevor man Mißverständnisse beschwört.

Der Einzugschor mit dem "Landgraf Hermann Heil" in Tannhäuser II ist ein Selbstzitat eines Festliedes zu Ehren seines Diensthernn, das Wagner angesichts seiner Dresdner Stellung zu schreiben gezwungen war. Durch seine ewige, einfallslose Wiederholung erscheint es fast als Ironie, dem die neue, überragende Kunst Tannhäusers entgegengesetzt werden soll. Die Wartburggesellschaft ist eine kunstunverständige, in Moral und Religion erstarrte Truppe, die auf Kommando ihrem nicht minder langweiligen Landgrafen "Heil" entgegenruft, das Lied ist also eher als Hohn auf Vasallentreue und höfische Gesellschaft zu verstehen.

Gruß, T.
Martin2
Inventar
#66 erstellt: 29. Aug 2005, 18:01


Deshalb hier ein, zwei kurze Hinweise auf herausragende und günstige Einspielungen: Der Holländer bei Naxos ist hervorragend.



Meiner Meinung nach die schlechteste Einspielung überhaupt (wenn die unter P. Steinberg mit Muff gemeint ist) - das klingt nicht nach Wagner, sondern nach Wewelscher Operettengala.


Lieber Tantris,

ich bin nun absolut kein Wagnerexperte, aber mir gefällt diese Einspielung wie Thomas auch sehr gut. Ich habe keinen Vergleich ( außer Opernbesuchen), das gebe ich zu. Aber sag mal, was ist eine "Wewelsche Operettengala"? Ist Wewel eine Stadt? Und wo liegt sie?

Gruß Martin
Hilda
Stammgast
#67 erstellt: 29. Aug 2005, 18:48
Hallo,

der Steinberg-Holländer ist wirklich schlecht, auch wenn eventuell alle ausser Tantris und mir das Gegenteil behaupten

Wenn ich eine blumige Sprache bemühen müsste, würde ich sagen, daß es bei Steinberg keine Seeluft gibt, es stürmt nicht und man hat keinen Salzgeschmack auf der Zunge

Gruss
Klaus
Tantris
Hat sich gelöscht
#68 erstellt: 29. Aug 2005, 21:18
Hallo Martin,

Günter Wewel ist, wenn ich richtig informiert bin, ein drittklassiger Operettensänger, der gerne im Fernsehen als "Zigeunerbaron" verkleidet auftritt.

Ich gebe Klaus vollkommen recht, vor einiger Zeit habe ich mal eine Kritik zum Steinberg-"Holländer" geschrieben, die vielleicht einige Fragen klärt:

"Wir haben es hier mit einer Studioaufnahme zu tun haben, die, obwohl in den 90er Jahren entstanden, im Verdacht steht, die meisten alten Vorurteile über Studioaufnahmen zu bestätigen. Ein Rundfunkorchester mit einem Chor aus einem anderen Lang kombiniert, keine parallele Live-Aufführung des Werkes, und einige Solisten, die in ihren Rollen dramatisch eher unerfahren sein dürften. Darf man also eine Studioaufnahme erwarten, die "steril" klingt und dem dramatischen Geschehen nur unzureichend Rechnung trägt?

Das trifft zumindest für das Dirigat von Pinchas Steinberg zu. Handwerklich kann man ihm und dem ORF-Orchester kaum Vorwürfe machen, doch vom musikalischen Charakter des "Holländers" sind sie Lichtjahre entfernt: Statt düsterer Schauerromantik und dem Aufblitzen von Wagners "Zukunftsmusik" hören wir einen Hang zum Schönklang, der jeder Operettengala zur Ehre gereichen würde. Schon in der Ouverture trauen sich die Blechbläser kaum, ihre Instrumente beim Holländer-Motiv mal richtig verzerren zu lassen, alles klingt sanft, zurückhaltend und weich. Das geht in den "volkstümlichen" Passagen des Werkes noch in Ordnung, aber bei den großen Szenen mit dem Holländer und Senta fehlt es komplett an dramatischer Glaubwürdigkeit und Spannung. Das gilt auch für den Chor, mit dem die Zusammenarbeit ansonsten erstaunlich gut funktioniert, hier werden mehr richtige Noten abgesungen als den Gehalt des Werkes zu transportieren.

Leider haben sich auch die Solisten davon anstecken lassen: Alfred Muff hat stimmlich ausreichendes Format für die Partie des Holländers, aber zu einer Charakterisierung der Person, zu einer glaubwürdigen Darstellung seiner Verzweiflung, dringt er an keiner Stelle der Aufnahme vor, selbst in "Die Frist ist um..." und im Duett hören wir Schöngesang, allzu sehr bedacht auf Meisterung der technischen Finessen inkl. Tiefen und Höhen. Ingrid Haubold leistet sich ebenfalls keine technischen Fehler, aber sie klingt als Senta unglaubwürdig, weil zu alt, und läßt mit starkem Vibrato ihre Stimme manchmal metallisch klingen. Erich Knodt gibt einen blassen Daland, trotz des Gefühls, er würde nur vom Blatt singen, ist er irgendwie unverständlich. Die einzige positive Überraschung in jeder Beziehung ist Peter Seiffert als Erik, der stimmlich wie von der Deklamation her in Höchstform ist und die wenigen Szenen mit seiner Mitwirkung zu Höhepunkten der Aufnahme werden läßt.

Technisch hingegen, und das bestätigt alte Vorurteile, ist die Aufnahme ohne Fehl und Tadel, klingt räumlich und klar bei immer guter Textverständlichkeit.

Empfehlen kann ich sie dennoch nicht, allzu schwer wiegt die Tatsache, daß hier an den Intentionen des Komponisten vorbeimusiziert wurde, wenn auch auf hohem Niveau. Zum Kennenlernen des Werkes für wagnerunerfahrene Hörer kann das ein Vorteil sein, aber führt auf Dauer in die Irre. Zumal starke Konkurrenz aufwartet, ich empfehle nur mal exemplarisch die (vor allem technisch gesehen absolut) historische Aufnahme unter Antal Dorati (die Besetzung London/Rysanek/Tozzi ist definitiv eine andere Liga), und die dramatisch gesehen IMHO packendsten unter Woldemar Nelsson (Bayreuth) und Leif Segerstam (mit Grundheber/Behrens/Salminen, leider nur als Video erhältlich). Da wird Wagners Frühwerk nicht durch die rosa Brille des Studio-Schönklanges gesehen, sondern bis in psychologische Tiefen dargestellt, ja scheinbar fast gelebt. "

gruß, T.
plönlein
Stammgast
#69 erstellt: 29. Aug 2005, 21:22
Lieber Tantris,

ich lese deine Beiträge mit großer Freude. Ich frage mich bloß, warum du alles in verstanden/nicht verstanden einteilst. Dabei ist doch vieles eine Deutungs-, unter Umständen sogar eine Geschmacksfrage. Die Kategorien richtig oder falsch empfinde ich da nicht immer als passend (etwas anderes ist zweifelsohne, wenn man eine These nicht hinreichend belegen kann). Wenn Adorno im Versuch über Wagner schreibt "Eigenlob und Pomp - Züge der gesamten Wagnerschen Produktion und des Faschismus..." ist das eben seine Sicht. Mit der kann ich mich befassen. Mehr nicht.
Insofern bleibt auch das Beklemmende, das Thomas228 über ein Tannhäuser-Erlebnis geschrieben hat, bestehen, auch wenn du schreibst, dass man seinen Wagner erst mal "verstehen" sollte, und dann darlegst, wie das richtigerweise geschehen sollte. Das Problem ist doch: Das Werk steht für sich. Sich ein lexikalisches Wissen anzueignen, sollte nicht Zugangsvoraussetzung sein.
Gruß, Ekkehard.
Tantris
Hat sich gelöscht
#70 erstellt: 29. Aug 2005, 21:36
Hallo Ekkehard,

Du verstehst mich da möglicherweise nicht ganz richtig - ich habe keine Interpretation im Sinn von "richtig oder falsch" dargelegt, sondern ich habe zu landläufigen, sehr oberflächlichen Meinungen über Wagner Hintergrundinformationen und Deutungsmöglichkeiten geliefert. Es geht mir nicht um eine einheitliche Wagner-Deutung, sondern um eine tiefsinnige, dabei wird es natürlich viele geben, die ihn ganz anders interpretieren als ich. Dinge erscheinen in ganz anderen Licht, wenn man die Hintergründe kennt - mehr empfehle ich gar nicht.

Das meiste, was immer wieder gegen Wagner vorgebracht wird, sind leicht zu widerlegende Vorurteile wie etwa die Behauptung, er würde eine Aufopferung seiner Helden propagieren. Dabei gibt es wirklich bedenkliche Aspekte auch in seinem Werk - ich habe Beispiele angeschnitten bzgl. des versteckten Antisemitismus - die eine Diskussion lohnen. Aber um die zu finden, muß man erst einmal sehr viel tiefer eintauchen, Wagner wenigstens zu begreifen versuchen. Die Oberfläche führt bei Wagner fast immer in die Irre.

Du vertritts die These, das Werk stehe für sich. Das kann bei Wagner nicht der Fall sein, sonst hätte er nicht so viele theoretische Überlegungen angestellt - und in sprachlich schwieriger Form veröffentlicht. Man muß diese Überlegungen kennen und wie eine neue Sprache erlernen - führen wir uns vor Augen, daß Wagners Musik zu ihrer Entstehungszeit etwas ungeheuer Neues, Ungehörtes war, daß es Jahrzehnte gedauert hat, bis Gesangs- und Spieltechnik sich durchgesetzt hatten. Wir sind heute mit der Oberfläche des Werkes vertraut, kennen die Geschichten grob aus dem Opernführer, einige Passagen haben in die Populärkultur einzug gehalten. Das wiegt in die trügerische Sicherheit, das Werk als Ganzes ohne weiteres Vorwissen verstehen zu können, aber genau das führt mächtig in die Irre.

Gruß, T.
geniesser_1
Hat sich gelöscht
#71 erstellt: 30. Aug 2005, 12:40
hallo zusammen,

ich moechte mich als absoluter NICHT-Kenner von Wagner auf das Herzlichste bei allen Beteiligten fuer diese excellenten Thread bedanken.

...uebrigens auch bei denjenigen, die die bekannten Vorurteile gegen Wagner hier aeusserten!

Die fruchtbare und segensreiche Komponente eines geaeusserten Vorurteils besteht darin, sie zu aeussern und dadurch sich und anderen die Chance einer Konversation, eines Meinungsaustausches zu geben, Standpunkte zu ueberdenken und ggf. auch freudig-dazulernend einfach zu revidieren - auf der Grundlage verfeinerten Wissens.

Ohne tantris Bemerkungen zu wagner waere ich niemals auf die verwegene Idee gekommen, irgendwann einmal den Kontakt mit seinen werken zu wagen.

gerade die persoenliche geschichte Wagners ("verkanntes genie") , die ja wohl den so garnicht genialen Amateurmaler Hitler geradezu verfuehren musste, sich mit diesem zu identifizieren, laesst einen einiges ahnen.

Die Quelle/Ursache des in einer Weltkatastrophe und in einen fast vollstaendigem Voelkermord muendenden, wahnhaften Hitlerschen Antisemitismus ist ja meines Wissens nach immer noch voellig unklar.

Vielleicht liegt hier ein Koernchen der Wahrheit in hochpathologischer Identifizierung mit Wagner?

Ist einfach nur einer der vielen interessanten Gedanken, die einem beim Lesen des Threads fast automatisch kommen, auch, wenn man wie ich eionfach nichts von wagner bewusst rezipiert hat...

So wie es ja bereits einige hier anklingen liessen, sind wohl einige Techniken der Nazis dramaturgischen Instrumenten Wagners und seinen Opern entlehnt:

Das Gigantische, bewegende Massenerlebnis, das Instrumentalisieren von (verfuehrten?) Helden, die allesamt zu spaet ihre Instrumentalisierung erkennen, das Schaffen von Sagen/Mythen als notwendige Vorstufe zur Verfuehrung der zu Instrumentalisierenden, insbesondere der Mythos der Unbesiegbarkeit, die metapher, dass nur ein Schwert eine Wunde heilen kann (der Zusammenhang mit stark selektiver wahrnehmung der Wagnerschen Opern durch verblendete Nazis in diesem Punkt ist fuer mich beim lesen nur zu offensichtlich), ....

Letztlich ist die gesamte Geschichte der Nazis bzw des Dritten Reiches hier wohl insbesondere auch im Untergang vorgezeichnet ?

Hitler hat sich ja in den letzten Tagen seiner widerlichen Existenz dahingehend geaeussert, wenn das Deutsche Volk nicht siege, so haette es seinen vollstaendigen untergang verdient. Sein selbsthass wandte sich gegen seine "Helden".

Das zeigt seine hochpathologische Todessehnsucht, die er mit einer Konsequenz in vielen Millionen Koepfen vermehrte, der wir heutzutage fassungslos gegenueber stehen.

gerade unter dieser obig skizzierten Fragestellung finde ich es interessant, mich den werken wagners einmal anzunaehern.

Vielleicht noch einige kleine Anmerkungen:

wer die geschichte des deutschen Volkes bzw. des Konglomerates vieler Kleinstaaten im 19. Jahrhundert betrachtet, wird die (verstaendliche) sehnsucht nach einer patriotischen Sammlung, die damals (im 19. Jahrhundert) durchaus mit radikaldemokratischen tendenzen gegen die Unterdrueckung bestand, m.E. besser und vor allem nachsichtiger betrachten. Vielleicht damit auch Wagner ?

meiner meinung nach existieren kaum bessere Moeglichkeiten, sich die damalige Zeit vor Augen zu fuehren als in den packenden geschichtlichen Werken des deutschen Juden Sebastian Haffner, die ich hier auch dann noch empfehlen moechte, wenn das bei den Meisten hier hiesse, "Eulen nach Athen zu tragen" .

Eines der besten mir bekannten Buecher, welches die bewegende Frage "Wie konnte so etwas geschehen?!?" im Allgemeinen und die nach dem Fremdenhass im Speziellen aus psychoanalytischer Sicht (genauer gesagt, der eines juedischen Psychioanalytikers) absolut brilliant zu beleuchten/beantworten sucht, sei allen Interessierten sehr ans Herz gelegt:

Arno Gruen: "Der Fremde in uns"

Vielleicht kommt man auch einigen Facetten der Persoenlichkeit Wagners damit naeher, als man glaubt.... vor allem, aus einer vielleicht sogar neuen Perspektive...

Nochmals: herzlichen Dank fuer diesen hoechst erfreulichen Thread, der hoffentlich erst seinen Anfang nahm und dem ich noch viele interessante Aspekte zur Musik und Person Wagners und den vielen damit verbundenen Spekulationen/Vorurteilen zu entnehmen hoffe.

Gruss an Alle

geniesser_1


[Beitrag von geniesser_1 am 30. Aug 2005, 12:47 bearbeitet]
Tantris
Hat sich gelöscht
#72 erstellt: 30. Aug 2005, 14:00
Hallo Geniesser,

Obwohl ich der festen Überzeugung bin, daß Hitler Wagner vollkommen falsch verstanden hat, so kann man doch mit einiger Sicherheit ausschließen, daß er sich mit ihm persönlich identifiziert hat. Dafür gibt es einfach zu offensichtliche Punkte in seiner Biographie, die diametral Hitlers Ansichten entgegenstanden.

Die Nazis haben systematisch versucht, die ihnen unangenehmen Seiten Wagners - seine politischen Ansichten in Richtung Anarchismus/Sozialismus, seinen pompösen und schuldenanhäufenden Lebensstil, aber auch philosophische Kernaussagen seiner Werke wie Gewaltverzicht, Mitleid, Todessehnsucht, Fatalismus, ferner die Homosexualität seines Sohnes - aus den Geschichtsbüchern zu tilgen oder totzuschweigen. Die Oberfläche seiner Werke wurde hervorgekehrt, Germanenverehrung, Heldentum, Deutschtümelei und Judenhass wurde hineininterpretiert, wo immer es ging. Zumindest ahnten die Nazis teilweise Wagners wahre Ansichten, denn mit dem fortschreitenden Weltkrieg wurde alle seine Werke mit Ausnahme der "Meistersinger" von den Bühnen verbannt, man wollte weder Weltuntergang in der "Götterdämmerung" noch Mitleid im "Parsifal" unters Volk bringen.

Betrachten wir vom philosophischen Kern her Wagners Opus Magnum, den "Ring des Nibelungen" - er erzählt von Aufstieg und Fall eines Gottes, der durch Recht, Gesetz und Weisheit die Welt in guter Absicht zu beherrschen und zu ordnen sucht, sich aber in dem Dilemma verstrickt, daß man zur Erlangung von Macht Schulden eingehen und - eigene wir natürliche - Gesetze übertreten muß, wodurch man sich der eigenen Herrschaftsberechtigung beraubt ("Rheingold" und "Die Walküre"). Die scheinbare Lösung liegt darin, daß ein freier, unwissender Held, ein "neuer Mensch" die Welt neu ordnen und beherrschen könnte - doch auch dieser scheitert, an sich selber wie am Prinzip der Macht, wodurch das gesamte System seinem Untergang geweiht ist. Der Besitz von Gold, die Ausübung von Macht als solches (und geschehe sie in bestem Willen bzw. unwissentlich) führt zum Untergang - das ist philosophisch von den Nazis nun unendlich weit weg.

Eine kleine Belegstelle dazu, es handelt sich um einen Teil der Schlußansprache der "Götterdämmerung", die schlußendlich nicht vertont wurde, eine mögliche Deutung aber sehr nahelegt:

"Verging wie ein Hauch der Götter Geschlecht,
laß‘ ohne Walter die Welt ich zurück:
meines heiligsten Wissens Hort
weis‘ ich der Welt nun zu.
Nicht Gut, nicht Gold, noch göttliche Pracht;
nicht Haus, nicht Hof, noch herrischer Prunk;
nicht trüber Verträge trügender Bund,
nicht heuchelnder Sitte hartes Gesetz:
selig in Lust und Leid läßt – die Liebe nur sein"

Mit "Liebe" ist hier unverkennbar das Mitleid gemeint, die Bereitschaft zur persönlich Aufopferung für diejenigen, die wir lieben, bis über den Tod hinaus.



wer die geschichte des deutschen Volkes bzw. des Konglomerates vieler Kleinstaaten im 19. Jahrhundert betrachtet, wird die (verstaendliche) sehnsucht nach einer patriotischen Sammlung, die damals (im 19. Jahrhundert) durchaus mit radikaldemokratischen tendenzen gegen die Unterdrueckung bestand, m.E. besser und vor allem nachsichtiger betrachten. Vielleicht damit auch Wagner ?


Zweifellos. Wagner war in den 1840ern Sympatisant der Demokratie, der "Jungdeutschen" Bewegung, er beteiligte sich aktiv am Dresdner Maiaufstand 1849, aber auch an demokratischen Prozessen. Auf der anderen Seite vertrat er eine radikale Philosophie, die bis zum Anarchismus reicht, wonach alle alten Strukturen zerschlagen und verbrannt gehören und nur auf der Asche des alten sich neues entwickeln kann (Womit die Nazis philosophisch erheblich mehr anfangen konnten, dachten sie doch nicht unähnlich). Durchsetzt sind alle seine Äüßerungen immer wieder mit persönlichen Motiven, wonach dem Berufskünstlertum in einer neuen zu schaffenden Gesellschaft ein Platz eingeräumt werden möge, wie Wagner ihn anstrebte.

Gruß, T.
geniesser_1
Hat sich gelöscht
#73 erstellt: 30. Aug 2005, 14:13
Hallo Tantris,

ich habe mich moeglicherweise missverstaendlich ausgedrueckt:

ich meinte nicht eine vollstaendige Identifizierung Hitlers mit Wagner in allen aspekten, sondern eine in den wichtigen Teilaspekten einer missverstehenden Nazi-schwaermerischen Interpretation der Person Wagners, wohlgemerkt (!) , wobei beide ja ein radikales Denken hatten?

Dass die "Begeisterung" fuer Wagner bzw. dessen Instrumentalisierung nachliess, beruht ja vielleicht auf einem (zunehmenden) Einsehen der Fehlinterpretation und der Ironie, dass er ihren eigenen Untergang ja auf der Buehne vorzeichnet? Einem Einsehen, welches im gefolge des Brechens des Mythos der Nazi-Unbesiegbarkeit an allen Kriegsfronten die Tatsache wuerdigte, dass Wagner das Dritte Reich nunmehr auf der Buehne wie in einer vorweggenommenen Persiflage spiegelte?

Just my 2 cents...

Gruss
geniesser_1


[Beitrag von geniesser_1 am 30. Aug 2005, 14:17 bearbeitet]
Tantris
Hat sich gelöscht
#74 erstellt: 30. Aug 2005, 14:27
Hallo,

so weit ist die Interpretation des Ringes nicht dehnbar, aber bereits das, was ich im Posting eben dazu schrieb, reicht ja aus, um in Kriegszeiten Zuhörer nachdenklich zu machen. Man kann das drehen und wenden wie man will, letztendlich hat es etwas Fatalistisches, daß selbst eine gut gemeinte und durch nichts belastete Herrschaft dem Untergang geweiht ist.

Ich glaube nicht, daß die Begeisterung für Wagners Musik in jenen Jahren nachließ - es war wohl eher die von Goebbels ausgegebene Richtung, daß in Kriegszeiten nur noch Fröhliches und Durchhalteparolen auf die Bühnen sollten. Da kamen von Wagner eben nur noch die "Meistersinger" in Frage. Mit Einsicht dürfte das ebenfalls nicht viel zu tun gehabt haben, eher mit Kalkül.

Wagners Musik ist auch sicher ob ihrer direkten Wirkung selbst auf denjenigern, der sie nicht versteht, von den Nazis gerne verwendet worden. Auf NDSAP-Parteitagen wurde gerne die "Rienzi"-Ouverture gespielt, die "Meistersinger" waren ohnehin Dauerbrenner.

Gruß, T.
peet_g
Stammgast
#75 erstellt: 30. Aug 2005, 16:33
Hallo Tantris,

deine Relativierung kommt bei mir nicht durch, auch wenn du sie als eine "Differenzierung" verstehen willst. Wagner als Autor der Hetzschriften steht im 19 Jht. direkt vor Marr als ein Vertreter der übelsten antisemitischen Schmierereien.

Es ist die "Kernaussage" und kein "Anhänger". Es ist auch der Hintergrund einer jeden antisemitischen Äußerung, nämlich der klare bewußte oder versteckte unbewußte Wunsch, selbst doch groß statt klein und nichtig zu sein. Meyerbeer war für Wagner einer der Gönner und Helfer in seiner Pariser Zeit. Der Junge wollte aber mehr, er wollte Meyerbeer werden und da stand Meyerbeer ihm im Wege. Selbstverständlich ist Wagner größer als Meyerbeer, klar bleibt von ihm viel mehr in der Musikgeschichte. Ohne Meyerbeer hätte es aber keinen Wagner gegeben. Geschichtlich ist es klar, nur für Wagner ging es zu langsam nach oben, um tatsächlich selbst die führende Figur des Opernbetriebs zu werden. Deswegen wird Meyerbeer - die führende Figur des europäischen Opernlebens vor Wagner und Verdi - als Jude diffamiert. Noch antisemitischer geht es nicht.

Dies Thema ist längst in der Wagnerforschung geklärt, eigentlich schon seit Paul Bekker. Cosima spielt hier nur eine biographisch interessante Rolle, ihr persönlicher Beitrag ändert an der Position Wagners nichts.

Die neueste Literatur habe ich dir verlinkt, du ignorierst sie.

Wagners Musik wird nicht reiner oder erhabener oder internationaler, wenn du den Antisemiten Wagner verniedlichst. Sie bleibt großartig, widersprüchlich und geschichtlich vorbelastet. Das kann man nicht wegreden und nicht wegdenken. Man sollte es akzeptieren wie auch die historische Realität. In weiteren Postings des Threads springst du dauernd hin und her, je nachdem welche Position der andere User dir gegenüber vertritt. Geht es hier um Wagner oder darum, das letze Wort zu behalten?..

Viele Grüße und nichts für ungut


[Beitrag von peet_g am 30. Aug 2005, 16:35 bearbeitet]
Tantris
Hat sich gelöscht
#76 erstellt: 30. Aug 2005, 22:49
Hallo Peet,

ich will den Antisemitismus Wagners´ weder leugnen noch relativieren - aber auf spezielle Ausprägungen hinweisen, die das in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ich vertrete die These, daß Wagner den Antisemitismus eher instrumentalisieren denn verstärken wollte.



Meyerbeer war für Wagner einer der Gönner und Helfer in seiner Pariser Zeit. Der Junge wollte aber mehr, er wollte Meyerbeer werden und da stand Meyerbeer ihm im Wege.


Das ist mir zu vereinfachend. Natürlich war Wagner von der Idee beseelt, "der größte Komponist" zu werden, natürlich hat er Meyerbeer in seinen frühen Pariser Jahren "angeschleimt" wie wir heute umgangssprachlich sagen würde. Aber trotzdem hat er von Anfang an den Kunstbetrieb, den Meyerbeer repräsentierte, aufs Schärfste verurteilt und dessen Zerschlagung gefordert. Die antisemitische Komponente bekam dies jedoch erst später. Wagner hat in jenen Jahren von einem Berufskünstlertum geträumt, in dem die Gesellschaft dem Künstler ein Leben seiner Wahl nur kraft seines Genies finanziert, damit er Werke schaffe, die nur ohne Existenznot und Alltagserwerbsleben möglich sind.

Daß Meyerbeer von der Nachwelt als so gering eingeschätzt wurde, hängt sicher auch mit Wagner und seiner Polemik zusammen - nicht nur der antisemitischen, auch direkte Hetzschriften gegen Meyerbeer gibt es, zudem posthum. Die Frage ist, warum Wagner dies nötig gehabt hat, zumal Meyerbeer mit seiner "Africaine", eigentlich in den gesamten 10...15 letzten Jahren, längst künstlerisch überlebt worden war und da eigentlich keinerlei Nachtreten mehr nötig war - musikgeschichtlich ohnehin schon auf dem absteigenden Ast, befand Wagner es für nötig, Meyerbeer vollends zu diskretieren und seine gesamte Kunst für vergessenswürdig zu erachten.



Wagners Musik wird nicht reiner oder erhabener oder internationaler, wenn du den Antisemiten Wagner verniedlichst.


Das tue ich mitnichten, ich ordne seinen Antisemitismus in den Kontext seiner Biographie und Persönlichkeit ein. Das entschuldigt nichts und verniedlicht nichts.

Gruß, T.
peet_g
Stammgast
#77 erstellt: 31. Aug 2005, 14:03
Mit dieser Antwort sehe ich diesen Thread viel entspannter. :-)

Gruß
plönlein
Stammgast
#78 erstellt: 31. Aug 2005, 20:36
Guten Abend,

ich wollte nur kurz mitteilen, dass mir dieser Thread viel Spaß gemacht und in mir die Lust geweckt hat, mich tiefer gehend mit dem "Meister" zu befassen.
Insofern vielen Dank für das Beispiel mit der "Exodus" beim Holländer; so ein Hinweis auf eine landläufig nicht nahe liegende Deutungsmöglichkeit hat mich nachdenklich gemacht.
Das könnte spannend werden.
Gruß, Ekkehard.
plönlein
Stammgast
#79 erstellt: 31. Aug 2005, 23:59
Tantris,

ich hatte eine Antwort von Dir irgendwie überlesen. Deshalb nur noch mal ganz kurz: Dass bei Wagner nicht das Kunstwerk für sich selbst stehen soll, verstehe ich nicht ganz. Das Werk als solches ist doch gerade der Selbstausdruck des Künstlers. Wenn er es nicht bewerkstelligt, in ihm rüberzubringen, was ihm vorschwebt, dann hat er letztlich etwas falsch gemacht oder eben nicht bewältigt. Der Hinweis darauf, dass Wagners Kunst so neu war, kann mich auch nicht überzeugen. Üblicherweise ist es doch die in ihrer Zeit neue Kunst, die bei uns Nachgeborenen überhaupt von Bedeutung sein kann.
Das solls aber auch wirklich dazu gewesen sein. Gute Nacht.
Tantris
Hat sich gelöscht
#80 erstellt: 01. Sep 2005, 09:36
Hallo Ekkehard,

Daß Werk solches ist das zentrale Ausdruckselement eines Künstlers - stimmt. Aber eben nicht das einzige, viele Werke sind von sich aus nicht verständlich, Wagners Kunst war damals so radikal neu und ist heute noch so kompliziert, daß man ohne Vorwissen, ohne Beschäftigung mit Biographie/Intensionen Wagners leider oft unverständlich davorsteht oder auf Deutungen kommt, die bestimmt nicht vom Künstler intendiert waren.

Zu sagen, ein Kunstwerk müsse von sich heraus verständlich sein, greift viel zu kurz - das trifft auf ein Gros der Kunst der letzten 200 Jahre einfach nicht zu.

Dazu kommt, daß Wagner bewußt viel erklärt hat rund um seine Werke - es gibt unendlich viele Briefe an Bekannte, Freunde, theoretische Schriften wie "Oper und Drama", seine Autobiographie "Mein Leben", die leider durch Cosimas Brille getönt ist usw. Wagner war ein Künstler, der sich, seine Kunst und seine Intensionen ständig mitteilen und erklären mußte. Wagner hat aber auch mit Andeutungen, mit seinen Quelltexten und dem Vorwissen der Zuhörer geradezu gespielt.

Es gibt andere - gerade Komponisten - die völlig anders verfahren sind, als Beispiele seien Beethoven und Mahler genannt, letzterer vernichtete sogar Skizzen zur Bedeutung seiner Sinfonien.

Ich denke, ein wesentlicher Grund, weshalb Wagner immer wieder so mißverstanden wurde, aber auch so kontrovers gesehen wird, ist die Tatsache, daß seine Werke sehr viel "Tiefgang" haben, zum Verständnis sehr viel Vorwissen vorausgesetzt wird, auf der anderen Seite aber auch an ihrer Oberfläche eine faszinierende Wirkung haben können. Im Gegensatz zu Nietzsche kritisiere ich letzteres auch gar nicht, man denke etwa an den Gebrauch von Wagnerscher Musik in populären Filmen etc., aber man sollte sich hüten, daraus tiefere Deutungen abzuleiten.

Gruß, T.
ThomasBe
Neuling
#81 erstellt: 06. Feb 2007, 00:20
Hallo an alle,

ich möchte auch kurz berichten, wie ich zum Wagnerfreund (Wagnerianer geht mir etwas zu weit) geworden bin.
Wie auch schon andere in diesem Thread war ich zur rechten Zeit am rechten Ort, nämlich in der Nähe des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Dieses Opernhaus hatte zur damaligen Zeit - muss so um die 70er rum gewesen sein - eine hervorragende Repertoirepolitik, indem man dort von vielen namhaften Opernkomponisten als Zyklus so gut wie das Gesamtwerk auf die Bühne brachte, und das mit teilweise hochkarätigen Sängern, die in Karlsruhe oft ihre ersten großen Rollen sangen und später überall in der Welt auftauchten. Neben einem großartigen Richard-Strauss-Opernzyklus kam dort auch so gut wie der gesamte Wagner, einschließlich der fast nie gespielten absoluten Frühwerke, zur Aufführung. Und zur damaligen Zeit durfte etwa ein Wotan im "Ring" noch als tragischer, aber dennoch nie seine Würde verlierender Held die Bühne betreten und musste sich nicht von seiner Lieblingstochter Brünnhilde am Ende der "Walküre" im Jogginganzug am Pissbecken des Bahnhofsklos verabschieden. Zu dieser Zeit hat mich Wagner gepackt und er hat mich bis heute nicht losgelassen. Jedem, der jetzt Zugang zu Wagner finden möchte und der nicht extrem hart im Nehmen ist, würde ich nicht unbedingt Liveaufführungen empfehlen (siehe Pissbecken ...), sondern etwas ältere DVDs oder CDs. Wenn's trotzdem live sein soll, dann empfehle ich einmal mehr Karlsruhe, und zwar den "Fliegenden Holländer" dort. Aber Beeilung! Wer weiß, wie lange der noch läuft und was danach kommt ...
Jedem, der sich auf das Abenteuer Wagner einlässt, wünsche ich viele berauschende Momente ...
AladdinWunderlampe
Stammgast
#82 erstellt: 06. Feb 2007, 00:44
Hallo ThomasBe,

dass Du Wagners Musik schätzt, ohne zum Wagnerianer zu werden, ehrt Dich.
Aber: Auch ohne jeden zeitgenössischen Regieeinfall kritiklos bejubeln zu wollen, würde ich doch nicht umstandslos die Gesamtheit aktueller Wagner-Inszenierungen gegenüber der guten alten Zeit abqualifizieren wollen. (Frei nach Karl Kraus ist ein gut gemaltes Pissoir mehr wert als ein schlecht gemalter Palast.)

Nebenbei gesagt war für mich gerade die Erfahrung, dass die Welt der Wagnerschen Musikdramen nicht nur aus stets würdevollen tragischen Helden besteht, ein Grund, mich überhaupt näher mit diesen Stücken zu beschäftigen.

In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich auf das Abenteuer Wagner einlassen, weit geöffnete Ohren und Augen sowie inmitten aller berauschenden Momente zugleich einen hellwachen Geist...


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 06. Feb 2007, 11:54 bearbeitet]
babelizer
Stammgast
#83 erstellt: 06. Feb 2007, 14:50
Wagner, .....na klar ....Gigantomanisch, Ehrfurcht einflössend ... aber sorry, ich kann damit leider absolut nichts anfangen. Habe mich schon so oft bemüht, aber es klappt nicht. Vielleicht liegts daran, dass ich nur mit italienischen Opern gross geworden bin
Da geht mein Herz dann auf

Viele Grüße
Torsten
Martin2
Inventar
#84 erstellt: 07. Jun 2008, 12:41
Ich habe diesen sehr alten Thread mal wieder entdeckt. Einiges, aber nicht alles mal wieder gelesen. Die Diskussionen, die hier stattgefunden haben, sind ja durchaus spannend!

Ich habe mir nun vor ein paar Tagen diese Box hier gekauft:



Die ist sehr günstig und - was ich so in den letzten Tagen hörte auch sehr gut.

Ich würde mir wünschen, die Diskussion würde hier weiter gehen, es ist ja hier schon sehr viel kluges und in Einzelfällen vielleicht auch weniger kluges gesagt worden.

Wagner spaltet auf jeden Fall, das merkt man auch an diesem Thread.

Ich würde mir wünschen, daß sich die Diskussion um Wagner doch noch mal entfachen ließe, obwohl hier schon viel gesagt wurde, auch von meiner Seite.

Was hier zum Beispiel auch gesagt wurde, daß man Wagner nur in der Oper wirklich erleben könne. Ich bezweifle dies. Ich habe Wagner schon einigemale in der Oper gehört, aber außer ein paar Highlights ist nie etwas hängen geblieben. Es ist natürlich auch spannend, ein einem völlig unbekanntes Werk in der Oper zu erleben. Es ist spannend, es ist vielleicht auch begeisternd, aber die wirkliche Auseinandersetzung mit einem Werk findet meiner Meinung nach nur durch wiederholtes Hören statt - und da ist die Konserve einfach besser. Und in den Rheingold, der in Hamburg läuft, kommt man zur Zeit gar nicht rein - bis auf unabsehbare Zeit ausgebucht.

Ich muß sagen, daß ich das Genre Oper für mich erst in den letzten Jahren für mich entdeckt habe. Bin zwar trotzdem gerne mal in die Oper gegangen - viel zu selten, die modernen Inszenierungen haben mich abgeschreckt -, aber das hat mich dann eher davon abgehalten, mir auch CDs davon zu kaufen.

Was ich in jedem Fall entdeckt habe, ist, daß Libretti wirklich sehr wichtig sind, sie waren es bei Mozart, dessen große Opern ich auch noch nicht so lange kenne, es sind sie zweifellos auch bei Wagner.

So habe ich mir dann vor drei Tagen auch das Libretto von Wagners Tristan geholt. Den Tristan habe ich in den letzten Tagen zweimal gehört, den ersten Akt heute zum dritten mal. Ich muß sagen, dieser erste Akt hat mir heute, beim dritten mal, schon am besten gefallen.

Das Libretto ist wirklich sehr wichtig. Ich habe in früheren Jahren den Fehler gemacht, Opern als absolute Musik genießen zu wollen, das kann man vermutlich auch, aber dann vermutlich viel später, wenn man sie als Musikdrama erst erlebt und genossen hat. Hört man Opern als absolute Musik, dann erscheinen einem viele Dinge als "unmotiviert".

Tannhäuser habe ich sehr gerne gehört, die Oper habe ich vermutlich mal in der Oper genossen, aber nun doch zum ersten mal eine Konserve. Ich muß aber sagen, daß mich der Tristan doch mehr fasziniert, es ist wirklich eine faszinierende Partitur. Könnte mir vorstellen, den Tristan in nächster Zeit noch öfters zu hören und mich auf ihn ein bißchen "einzuschießen". Auch jetzt überzeugt mich noch nicht alles am Tristan als absolute Musik, aber vieles doch.

Ich sage mir bei Wagner halt: Es ist keine absolute Musik, es ist Oper, es ist Musikdrama. Der Text ist sehr wichtig, das Drama ist sehr wichtig. Es könnte sein, daß ich in den nächsten Jahren allmählich doch zum Opernkenner avanciere.

Von Wagners Ring hatte ich inzwischen den Neuhold, durch den habe ich mich durchgehört. Wobei ich die ersten beiden Akte der Götterdämmerung als äußerst langweilig empfand. Nun habe ich durch diese Box auch noch den Böhm und auf den freue ich mich. Ich hatte aus dieser Aufführung bisher den Querschnitt und der hatte mir gut gefallen.

Ich muß eben auch sagen, daß Wagner stark gewöhnungsbedürftig ist. Wer von der absoluten Musik her kommt, dem liegt die "Nummernoper" zweifellos mehr. Hier eine schöne Arie, dort ein nettes Duett. Das ist bei Wagner eben nicht so, beim Fliegenden Holländer vielleicht noch, bei den noch früheren Opern, die ich nicht kenne, vermutlich auch, aber bei den späteren dann nicht mehr. Das ist verwirrend für jemand, der von der absoluten Musik kommt. Heute, beim Hören von Wagners Tristan dachte ich wieder: Da gibt es doch ein wirklich nette musikalische Ideen, die gar nicht wirklich musikalisch ausgeschlachtet werden. Anderes wiederum wiederholt sich bis zum Erbrechen.

Aber das ist eben das Konzept des Wagnerschen Musikdramas. Wagner spricht ja auch von einem "Gesamtkunstwerk". Dabei ist der Musik zweifellos nicht nur eine "dienende Rolle" zugedacht. Die Musik drückt das "Unbewußte", sie drückt auch das Unausgesprochene aus.

Manchmal geht es mir bei Wagner auch so, daß ich das Gesungene als musikalisch etwas anonym empfinde, wärend das musikalisch entscheidende im Orchester zu passieren scheint. Das ist durchaus nicht immer so, aber häufig. Das ist auch ein musikalisches Konzept, nicht nur die Auflösung der Nummernoper.

Und Wagners Opern sind eben kein wundervoller Melodienreigen, manche Einfälle sind durchaus brilliant, aber eben keine Melodien, sondern eher "Fragmente" und diese Fragmentisierung ist auch etwas Faszinierendes an Wagner. Das ist übrigens etwas, was Wagner wiederum stark mit der absoluten Musik verbindet, finde ich, die ja auch nicht nur ein Melodienreigen ist, sondern, in der Sonatensatzform, durchaus auch ein Kampf der Ideen.

Also laßt uns die Diskussion um Wagner hier mal fortführen. Mich wird Wagner in der nächsten Zeit zweifellos begleiten, auch wenn ich zwischendurch sicher mal etwas anderes hören möchte. Nebenbei ein bißchen über Wagner plaudern zu können, fände ich angenehm.

Gruß Martin
op111
Moderator
#85 erstellt: 08. Jun 2008, 14:06

Martin2 schrieb:
Ich habe in früheren Jahren den Fehler gemacht, Opern als absolute Musik genießen zu wollen, das kann man vermutlich auch, aber dann vermutlich viel später, wenn man sie als Musikdrama erst erlebt und genossen hat. Hört man Opern als absolute Musik, dann erscheinen einem viele Dinge als "unmotiviert".


Hallo Martin,

ich kann Wagner speziell "Tristan", - ganz im Gegensatz zu vielen ital. Opern - sehr gut nur "hören".

Im Grunde konzentriert sich die Bühnenhandlung im "Tristan" auf wenige Minuten vor den Aufzugsschlüssen.
Die Bühnenanweisungen Wagners reichen für mich aus, um mir eine Handlung vorzustellen.

Den genauen Wortlaut muss ich auch nicht kennen, der bietet über weite Strecken genügend Redundanz, so daß ich auch ohne Textheft auskomme. Viele Passagen empfinde ich als reine Vokalisen, die keine neue Text-Information transportieren.
Tristan ist für mich das der absoluten Musik am nächsten kommende Werk.
Joachim49
Inventar
#86 erstellt: 12. Jun 2008, 21:53
Hallo Martin,
ich habe mich lange Zeit überhaupt nicht für Wagner begeistern können, - merkwürdigerweise mit einer Ausnahme: der Holländer, den ich als einzige Wagneroper 4-5 mal live gehört habe. Als Teenager in Offenbach (ja, die hatten mal ein Opernhaus), in Wien, in Frankfurt und 2x in Antwerpen. Der Rest kam viel später. Den Ring habe ich mir auch erst mit der Brilliant-Neuhold Box zu Gemüte geführt, und dann wollte der Zufall dass ich Kontakte zu einem Wagnerfan habe, der mich mit etlichen 'Ringen' (CD oder DVD) versorgt hat. Mir geht's ein bisschen wie dir: Rheingold und Walküre gefallen mir sehr gut, können mich selbst begeistern - aber Siegfried und Götterdämmerung strapazieren meine Geduld (von ein paar highlights abgesehen).
Nach der Neuhold-Brilliant Affaire, habe ich mich an den Rest herangemacht. Tannhäuser hab ich glaube ich nur einmal gehört (Barenboim), Lohengrin hat mir sehr gut gefallen (Abbado - dvd/ Barenboim - cd). Es ist mir immer ein Rätsel geblieben, warum soviele Wagnerfreunde von den Meistersingern begeistert sind. Das libretto finde ich total bescheuert und die Musik ziemlich reizlos. An Solti wird es doch nicht liegen? Durch den Tristan (Furtwängler) habe ich mich bis heute nicht durchgekämpft. Es gelingt mir nicht wirklich konzentriert zu bleiben. Parsifal dagegen (Karajan)verdaue ich leichter.
Bis heute habe ich die Neigung auch Oper als absolute Musik zu hören. Früher war mir die Story ganz egal und ich habe die Gesangsstimmen wie Instrumente gehört. Leider trägt die Kenntnis der Texte nicht immer zum Hôrvergnügen bei. Auch nicht bei Wagner. (Und im Falle der Bachkantaten würde ich für eine 'Neuvertextung' plädieren; da ist der Kontrast zwischen der Grösse der Musik und den unerträglichen Texten wirklich viel zu gross)
DVD hat natürlich Vorteile weil man den Text einblenden kann. Trotzdem habe ich nur wenige opern-dvd gesehen die wirklich einen Mehrwert hatten. Es ist da vielleicht ein bisschen wie bei Buch und Film. Beim Lesen kann man seiner visuellen Phantasie freien Lauf lassen, beim Film wird man ihrer beraubt. Hört man eine CD so ist man quasi selbst - wenn man will - der virtuelle Regisseur. Bei der dvd bekommt man die Regie aufgezwungen. Bei den beiden Parsifals, die ich auf dvd gesehen habe war das Bild völlig überflüssig. Die Leute stehen halt im Wald oder sonstwo rum und singen. Da kann man auf das Bild verzichten. Merkwürdigerweise sind aber dvd's oft deutlich billiger als CD-Opernaufnahmen, aber man kann das Bild ja ausschalten. Aber im Moment sehe/höre ich einen Wozzeck (Hamburg 1970 - Bruno Maderna), der ist ganz toll.
Irgendwann werde ich mich auch durch den Tristan durchgekämpft haben und ihn höher schätzen als im Moment. Aber zur Zeit bereitet mir Stokowskis Synthese mehr Vergnügen als Wagners Version.
Herrzliche Grüsse
Joachim
Martin2
Inventar
#87 erstellt: 13. Jun 2008, 00:58
Hallo Joachim,

ja ich glaube mir gehts ähnlich wie Dir. Nun muß ich sagen, so schlecht finde ich die Wagnerschen Libretti gar nicht. Den Ring der Nibelungen mit Neuhold hätte ich ohne die Libretti kaum durchgestanden. Am Ende hat er mich doch fasziniert. Heute habe ich das Rheingold mit Böhm gehört, bessere Sänger, obwohl mir die Ouvertüre zu schnell ist.

Ich entdecke halt oft, daß die Musik nicht trägt, zumindestens bei Wagner. Mit dem fliegenden Holländer geht es mir ganz wie Dir, habe ich aber auch schon öfter gesagt, tolle Oper, tolle Musik und eine Oper, die nicht das geringste Fett angesetzt hat. Den Tristan empfehle ich Dir aber auch, ist sicher nicht so schlank wie der fliegende Holländer, hat aber seine Faszination, ich habe ihn dreimal gehört und will ihn wieder hören. Tannhäuser finde ich nicht so schlecht, hat faszinierende Passagen aber auch Längen. Meistersinger hat mich - genau wie Du - über weite Passagen ziemlich gelangweilt, hatte auch kein Libretto, was die Langeweile vielleicht etwas aufgefangen hätte. Im zweiten Teil des 3. Aktes hob sich meine Stimmung etwas. Ich werde mir für die Meistersinger bei Gelegenheit mal das Libretto besorgen und sie noch mal hören.

Heute, nach dem Rheingold, hatte ich dann ehrlich gesagt keine Lust mehr auf Wagner. Ich habe jetzt einiges aus der Deccabox gehört und lege den Wagner voerst wieder auf Eis.

Gruß Ma
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